Köln. Zum Heimspiel in der Lanxessarena brachte Jan Böhmermann nicht nur das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld mit. Und lästerte über Bochum.
Die Stimmung in der Kölner Lanxessarena ist schwer zu greifen an diesem Dienstagabend: „Na, Bock auf die Gegenwart zu tanzen?“, fragt Jan Böhmermann eingangs sein Publikum, um sich selbst zu antworten: „Ich auch nicht!“ Nein, zum Tanzen eignen sich an diesem Abend nicht alle Lieder, dafür sind ihre Inhalte viel zu aktuell. Mit dem ersten Song „Faschismus is back“ machen Böhmermann und sein Rundfunktanzorchester Ehrenfeld direkt klar, wo die Reise an diesem „politischen Liederabend“ hingeht. Es ist das zweite der 15 Konzerte umfassenden Tour. Zum Finale geht‘s am 1. Februar in die ausverkaufte Grugahalle nach Essen.
Köln soll besonders werden, ist es doch die eher hassgeliebte Wahlheimat Böhmermanns. Nur wenige Kilometer weiter in Ehrenfeld moderiert er fürs ZDF das „Magazin Royale“. Das nach dem Stadtteil benannte Rundfunktanzorchester ist in Bestform an diesem Abend: Das 15-köpfige Ensemble unter der Leitung von Lorenz Rhode überzeugt im Zusammenspiel und hat darüber hinaus mit Musikerinnen wie Geigerin Akiko Ahrendt und Gitarrist Matze Krämer hervorragende Solisten in seinen Reihen. Die große musikalische Bandbreite der überwiegend aus der Satiresendung zusammengestellten Songs deckt das Orchester mühelos ab, von Hip-Hop („Ich hab‘ Polizei“) bis hin zu Hans-Zimmer-Reminiszenzen („Right Time to Thiel“).
Gleich drei Überraschungsgäste: Giovanni Zarrella, Dendemann und Wolfgang Niedecken
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Und die Musiker lassen die drei Überraschungsgäste des Abends besonders glänzen. Da ist als erstes Giovanni Zarrella, der gemeinsam mit Jan Böhmermann Adriano Celentanos Klassiker „Azzurro“ performt. „Amore für Euch. Seid gut zueinander“, ruft Zarrella dem Publikum zu. Die kleine Einlage bietet eine kurze Verschnaufpause vom dauerhaft erhobenen Zeigefinger, den der Entertainer in so viele Wunden legt. Es zeigt sich: Themen wie die Machenschaften von US-Finanzinvestor Peter Thiel, Faschismus und Polizeigewalt werden nicht erträglicher, wenn man sie in ein opulentes Klanggewand steckt.
Böhmermanns Liebe zum Musical blitzt an diesem Abend an vielen Stellen auf, er genießt den großen Auftritt sichtlich. Etwa als er an langen Seilen bis hoch unters Dach der Lanxess-Arena gezogen wird. Als wenige Augenblicke später ein Körper auf die Bühne prallt, halten die Fans eine Schrecksekunde lang den Atem an. Zum Glück nur eine Puppe. Böhmermann ist nicht tot, er schwebt kurz darauf engelsgleich zurück auf festen Boden. Er habe schließlich auch eine zweite Chance verdient, „so wie Friedrich Merz, Donald Trump, Faschismus in Deutschland und ja, sogar Luke Mockridge“, fleht Böhmermann. Bei seinem Weg zurück ins Diesseits begleitet ihn als „Stimme Gottes“ William Cohn. Die unvergleichliche Bassstimme des 2022 verstorbenen Sprechers und Schauspielers, der lange zum festen Inventar des „Neo Magazin Royale“ gehörte, meldet sich zurück – KI sei Dank.
„„Bochum ist die allerschlimmste Stadt. Abreißen und neu aufbauen mit Radwegen!““
Im Himmel will Böhmermann lauter weiße Fahrräder gesehen haben. Ebenso wie in den Städten erinnerten sie auch überirdisch an die Opfer gescheiterter Verkehrspolitik, kündigt Böhmermann den nächsten Song an, „Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?“ Zuvor aber schimpft der bekennende E-Auto- und Elektrorollerfahrer auf eine autozentrierte Infrastruktur und lässt in diesem Punkt vor allem an einer Ruhrgebietsstadt kein gutes Haar: „Bochum ist die allerschlimmste Stadt. Abreißen und neu aufbauen mit Radwegen!“, empfiehlt Böhmermann, der gewohnt viele Ausrufezeichen verteilt. „Dieser Finger ist ein Call to Action!“, ruft er seine Zuhörerinnen und Zuhörer zum Handeln auf. Schaut man in die Gesichter der hier überwiegend vertretenen Großstädter im Alter von 20 bis Ende 40, entdeckt man da aber vor allem Rat- und Hilflosigkeit. Denn was tun, „wenn die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben wird“, fragt Böhmermann. „Bürgermeister“ ist der Song dazu: „Wenn keiner macht, hat keiner Macht“, heißt es in darin etwa.
Mit Dendemann betritt wenig später ein weiterer Weggefährte der Fernsehshow die Bühne. Er rappte bis 2016 im Neo Magazin Royale, ehe das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld übernahm. In Köln spielt er „Kein Bock auf Parolen“ und „Jubilare“. Die größte Überraschung aber hebt sich Böhmermann für die Zugabe auf: Wolfgang Niedecken stimmt „Verdamp lang her“ an. Und dann wird plötzlich doch getanzt, löst sich die Stimmung. Der BAP-Frontmann hebt für einen kurzen Moment den erdrückenden Schleier politischer Schwermut, der über dem gesamten Abend liegt.