Bochum. Die Eingemeindung vor 50 Jahren war falsch. Das glauben viele Wattenscheider und sind sich einig: Ohne Bochum ginge es ihnen besser. Ihre Gründe.

Als Kind läuft Dirk Salamon bei Pro-Wattenscheid-Demos mit, mit dem Ziel, die Eingemeindung zu verhindern. Geholfen hat das nicht. Seit dem 1. Januar 1975 ist Wattenscheid offiziell ein Stadtbezirk von Bochum. Für den mittlerweile 57-Jährigen ist auch heute noch klar: „Wattenscheid soll wieder eine eigene Stadt sein.“

Wie Dirk Salamon ist auch seine heutige Frau Cornelia damals bei den Demos mitgelaufen. „Die Eingemeindung war nicht gewollt, das sieht unsere ganze Familie so. Wir sind und bleiben Wattenscheider.“ Es sei nicht demokratisch gewesen, die damalige Stadt einzugemeinden. Wattenscheid habe geblüht, solange bis es Teil von Bochum wurde.

Mehr zum Thema – 50 Jahre Eingemeindung

Wattenscheider Paar fährt für Geburt nach Gelsenkirchen – damit Bochum nicht im Perso steht

„Unsere Stadt war nicht verschuldet, im Gegensatz zur Stadt Bochum. Wir hatten eine wunderschöne Innenstadt mit Sachen für die Kinder. Wir hatten Kinos.“ All das sei geschlossen worden, nach der Einbürgerung. Wattenscheid würde „vergammeln, doch das ist den Bochumern egal“, so Salamon, der lange in der Innenstadt wohnte und mittlerweile nach Höntrop gezogen ist.

Die Tochter von Dirk und Cornelia Salamon sei damals in Gelsenkirchen geboren, eine bewusste Entscheidung des Paares. „Wir wären auch noch weiter gefahren. Es sollte bloß kein Bochum im Ausweis stehen.“ Die 25-Jährige lebt derzeit in einer WG in Essen, sehe sich jedoch ebenfalls als Wattenscheiderin. Da überrascht es nicht, dass die ganze Familie Autos mit Wattenscheider Kennzeichen fährt.

+++ Folgen Sie der WAZ-Lokalredaktion Bochum auf Instagram! +++

War die Eingemeindung die richtige Entscheidung? Viele Wattenscheider sagen: „Nein!“

Bei einer Abfrage unserer Redaktion in den sozialen Medien mit der Frage: „War die Eingemeindung von Wattenscheid richtig?“, hat sich ein klares Meinungsbild ergeben. Ein Großteil der Menschen aus Wattenscheid sagt: „Nein!“.

So auch Nicole Altrogge, die seit ihrem achten Lebensjahr in Leithe lebt und im Osten von Wattenscheid geboren wurde. „Ich komme aus einer alten Wattenscheider Familie“, erzählt sie. Die 43-Jährige ist anders als ihre älteren Schwestern nach der Eingemeindung geboren, was nichts daran geändert hat, dass sie den Lokalpatriotismus der ganzen Familie übernommen hat. „Ich wurde so erzogen, ich wohne in Wattenscheid“, betont sie. Und das sage auch ihre Tochter, die vier Jahre alt ist.

Nicole Altrogge ist in Wattenscheid geboren und aufgewachsen. Sie sagt ganz klar: „Ich bin Wattenscheiderin.“
Nicole Altrogge ist in Wattenscheid geboren und aufgewachsen. Sie sagt ganz klar: „Ich bin Wattenscheiderin.“ © Nicole Altrogge

Ähnlich wie Dirk Salamon vermutet sie, dass ohne die Eingemeindung vieles schöner und besser wäre – „auch wenn ich natürlich nicht weiß, wie es heute wäre.“ Straßen seien marode, mehrere Schwimmbäder wurden dichtgemacht, es gebe kaum Schwimmkurs- oder auch generelle Freizeitangebote, „weil kaum Geld investiert wird“, kritisiert Altrogge. „Ich wünschte wirklich, es würde mehr getan werden.“

Sie und ihre Familie wünschen sich weiterhin ein eigenständiges Wattenscheid. „Aber das wird wohl ein Traum bleiben“, meint die zweifache Mutter.

Diese Texte haben viele Menschen interessiert

Ginge es Wattenscheid ohne Eingemeindung finanziell besser?

Viele Wattenscheider sind sich sicher: Ohne die Eingemeindung würde es der einstigen Stadt finanziell besser gehen. So auch Klaus Müller: „Wattenscheid ging es sehr gut durch Klaus Steilmann. Es war eine reiche Stadt. Bochum war finanziell am Boden. So hat man sich Wattenscheid genommen“, sagt der 59-jährige Eppendorfer. .

Klaus Müller ist in Eppendorf aufgewachsen und lebt noch immer dort.
Klaus Müller ist in Eppendorf aufgewachsen und lebt noch immer dort. © Klaus Müller

Sascha Scherhag arbeitet als Gästeführer in Wattenscheid, bietet im Sommer regelmäßig an, mit ihm auf das Fördergerüst der Zeche Holland zu steigen. Der 50-Jährige ist in Wattenscheid-Eppendorf geboren und lebt mittlerweile in der südlichen Innenstadt in Bochum. „Das sehr gerne, aber ich bin sozialisiert in Wattenscheid und daher ganz klar Wattenscheider“, macht er deutlich. Natürlich hat auch er ein Wattenscheider Kennzeichen. Die Eingemeindung sei für ihn „schon eher ein Niedergang.“

Führung Zeche Holland
Als Gästeführer bietet Sascha Scherhag Führungen am Förderturm der Zeche Holland an. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Wattenscheid ist bis heute der größte Ort der Bundesrepublik Deutschland, der jemals seine Eigenständigkeit abtreten musste“, sagt Andreas Stumpf. Der47-Jährige wohnt schon sein ganzes Leben in Höntrop – und will dort auch niemals wegziehen. Trotzdem: Investiert worden sei in Wattenscheid nie. Stattdessen habe die Stadt Bochum von den schwarzen Zahlen Wattenscheids profitiert.

+++ Mehr Nachrichten aus Wattenscheid finden Sie hier! +++

Viele Investitionen in Bochum, keine in Wattenscheid?

„Seit 1975 flossen alle Steuergelder in die Nachbarstadt, die sich seitdem mit der Errichtung teurer Großprojekte schmücken konnte“, sagt Stumpf und meint damit zum Beispiel Ruhrstadion, Ruhrpark, den Boulevard, den Ruhrcongress, das Musikforum und aktuell das Haus des Wissens. Investitionen in Wattenscheid blieben hingegen Mangelware. „Selbst kleinste Projekte wie die Wiederinbetriebnahme des Brunnens am August-Bebel-Platz benötigen unangemessen viel Zeit“, kritisiert Stumpf.

Andreas Stumpf ist in Wattenscheid-Höntrop aufgewachsen und will auch nicht vor dort wegziehen.
Andreas Stumpf ist in Wattenscheid-Höntrop aufgewachsen und will auch nicht vor dort wegziehen. © Andreas Stumpf