Essen. Andreas Dresen erzählt in seinem Drama von einer vergessenen NS-Widerstandskämpferin. Kompliment an Liv Lisa Fries („Babylon Berlin“)!

Dies ist die Geschichte einer Liebe, aber sie erzählt auch packend vom Nazi-Deutschland. Dabei taucht kein Hakenkreuz auf und keine NS-Fahne. Keine Waffen-SS, kein Aufmarsch. Dass das Grauen der Diktatur trotzdem immer gegenwärtig ist, gehört zu den Kunstgriffen, die Andreas Dresens neuen Film so sehenswert machen. Bei der Berlinale legte er „In Liebe, Eure Hilde“ als Wettbewerbsbeitrag vor, jetzt kommt das wuchtige deutsche Drama in die Kinos.

Es geht um Hilde Coppi, 1909 in Berlin geboren und 1943 dort hingerichtet; sie zählte zu jener lockeren Gruppierung rebellischer Jugendlicher, die während der NS-Zeit als „Rote Kapelle“ ins Visier der Gestapo gerieten. Sie waren häufig kommunistisch orientiert, klebten nachts Protest-Plakate, verfassten Flugblätter gegen den Krieg, versuchten mit Funkgeräten Kontakt zur „Heimatpost“ des sowjetischen Rundfunks aufzunehmen. Dass von Hilde und Hans Coppi und ihren Freunden genau ein Funkspruch durchkam, ist eine zynische Beinote: „1000 Grüße allen Freunden.“

Kinostart -
„In Liebe, Eure Hilde“: Andreas Dresens neuer Film kommt jetzt ins Kino. Das Foto zeigt Hilde (Liv Lisa Fries) und Pfarrer Harald Poelchau (Alexander Scheer). Ihm diktiert sie ihren letzten Brief. © DPA Images | Frédéric Batier

Es beginnt mit Hildes Verhaftung. Die 32-Jährige, klein, schmal, Nickelbrille, wird eines Tages aus dem Garten geholt und abgeführt. Der Anfang vom Ende, bei Dresen kommt es auf leisen Sohlen daher: ein scheinbar unverbindliches Gespräch in den Amtsstuben, bei dem man der jungen Frau sogar ein Leberwurstbrot anbietet. Dann wird der Ton schärfer. Am Ende klicken die Handschellen: Hilde kommt ins Gefängnis.

„In Liebe, Eure Hilde“: Andreas Dresen erzählt auf zwei Ebenen

Andreas Dresen („Wolke 9“, „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“) erzählt verschachtelt, sorgt so für Spannung: Zum einen geht es um die Monate in Haft, während der Hilde ihren Sohn zu Welt bringt. Er gibt ihr Trost und Kraft. Parallel wird die Geschichte ihrer Liebe zu Hans aufgerollt. Hilde lernt ihn, einen überzeugten Kommunisten, in einem unbeschwerten Sommer kennen. Die beiden kommen einander näher.

Bald übernimmt sie erste Kurierdienste. Die schüchterne junge Frau tippt Flugblätter ab, transportiert das Funkgerät, wird eher aus Liebe als aus einer politischen Haltung heraus Teil der Widerstandsgruppe. Und so schleudert dieser Film über zwei Stunden durch ein Wechselbad der Gefühle. Der Schrecken der Einzelhaft. Dann die heiteren Tage, damals am Strand von Lehnitz. Die Angst in der Todeszelle. Die Freude, als Hilde ihrem Hans von der Schwangerschaft berichtet. Hier der Terror des NS-Apparates. Dort ganz normale, idealistische junge Menschen.

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Die Kameraeinstellungen sind aufreibend lang, auf Musik oder eine andere oberflächliche Kommentierung wird verzichtet. Den Soundtrack bilden das Knallen der Sohlen in den Gefängnisfluren, das Atmen der Liebenden, das Lachen der Freunde, das Knattern von Hans‘ Mofa, das Krachen der Zellentüren. Ganz selten erklingt ein Akkordeon, Begleiter glücklicher Zeiten. Am Ende: der fürchterliche Knall der Guillotine.

„In Liebe, Eure Hilde“: Liv Lisa Fries glänzt im Kino in der Rolle der Hilde Coppi

Und so bleibt Raum fürs Theater. Da ist nicht nur Liv Lisa Fries („Babylon Berlin“), deren Hilde zart ist, stark, ängstlich und tapfer und so eine fesselnde Tiefe entwickelt. Theaterschauspieler (und Filmdebütant) Johannes Hegemann als Hans ist ein junger leichtsinniger Abenteurer. Fritzi Haberlandt spielt die Hebamme im Gefängniskrankenhaus mit Menschenliebe und Herz. Sie wird wie die Zellenwärterin Kühn (Lisa Wagner) zu Hildes Fast-Vertrauten, obwohl beide Frauen das System verkörpern und keinen Moment in Frage stellen. Dies ist auch eine Geschichte der Mitläufer und Mitläuferinnen.

Dresens Film ist tiefmenschlich und sehr traurig. Und er ist erschütternd, weil er Gewalt und Ohnmacht mit einfachen Mitteln spürbar macht. Denn vor allem ist er richtig gut erzählt: Hilde Coppi und ihre mutigen Gleichgesinnten hätten es verdient, dass man zuhört.