Essen. Neu im Kino: David Wnendt inszeniert Felix Lobrechts Roman „Sonne und Beton“. Das Ergebnis ist eine gute Nachricht für den deutschen Film.
Neunte Klasse – und dann? Noch steht die Entscheidung nicht an für Lukas, Gino und Julius. Die drei Jungs, alle zwischen 14 und 16, leben im Berliner Brennpunktviertel Gropiusstadt im Süden von Neukölln. Vielleicht irgendwann das Abitur machen; Lukas hätte das Potenzial dazu, wären nicht die ständigen Probleme zu Hause. Gino hat einen Vater, der Frau und Sohn verprügelt.
Julius ist von Zuhause abgehauen und bewohnt ein Zimmer in der Absteige eines Drogendealers. Seit dem Tod der Mutter steht er mit seinem Vater über Kreuz, weil der sich eine neue Freundin suchte und immer nur predigt, dass der Klügere nachgibt. Dabei herrscht auf den Straßen und im Park das Recht des Stärkeren.
In dieser Welt gibt es nur Täter oder Opfer
Gerade eben erst wurde Lukas von einer arabischen Bande schwer verprügelt und soll nun binnen eines Tages 500 Euro Schutzgeld beschaffen. Am nächsten Tag gibt es einen Neuen in der Klasse. Sanchez ist Deutsch-Latino und er hat eine Idee. Die Schule hat eine Lieferung neuer Computer bekommen. Wenn man die klaut und verscherbelt, kann man sich endlich mal was leisten und alle Probleme wegkaufen. Wie man sich doch täuschen kann.
Es gibt die eine Welt, in der gibt es nach Einschätzung der vier Jungs aus Gropiusstadt nur Täter und Opfer. Lange genug gehörten sie zur zweiten Kategorie, jetzt wollen sie rüber ins Licht.
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So eine Geschichte ist für sich nicht neu, darum geht es aber auch nicht in David Wnendts herausfordernder Verfilmung des gleichnamigen Romans von Felix Lobrecht. Wie bei jedem guten Genrefilm gibt es auch bei der dramatischen Gesellschaftsstudie etablierte Muster im Blick auf Figuren- und Milieuzeichnung, die Konflikte und die Auflösungen.
„Sonne und Beton“ ist voller Kiezdeutsch
Neu ist in aktuellen Fall der exzessive Gebrauch von Kiezdeutsch, das sich auf Feridun Zaimoğlus trendsetzendes Buch „Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ von 1995 und all die Nachahmer aus Rap und HipHop stützt. Wer deutsche Sprache in all ihrer Vielfalt wertschätzt, wird bei diesem Film einer harten Probe unterzogen, wird sich zugleich aber fragen müssen, was in den Elternhäusern schief läuft, wo Alkohol und Drogen, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und geistige Trägheit zum Brandbeschleuniger einer diese Verhältnisse spiegelnden Jugendkultur werden.
David Wnendt („Kriegerin“, „Feuchtgebiete“, „Er ist wieder da“) inszeniert das Jugenddasein mit viel Gespür für aufgeplusterte Posen und die ganz reale Angst von Gewalt und Schmerzen und treibt seine präzise ausgesuchten Laienakteure zu beachtlichen schauspielerischen Leistungen an. Manches ist nah an der Überzeichnung angesiedelt, aber nach Detlevs Bucks „Knallhart“ ist hier endlich wieder ein deutscher Kiezfilm, der anders als Fatih Akins „Rheingold“ weder Statussymbole noch ethnische Herkünfte verherrlicht. Jeder hat seine eigene Geschichte im Asphaltdschungel. Dass darüber nun ein starker Film entstand, ist eine gute Nachricht für den deutschen Film.