Gleich drei Bären gehen an Filme der Berliner Schule. Und erst zum zweiten Mal holt ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären.
Ein großer Abend für das deutsche Kino. Bei der Preisverleihung am Samstag (25.2.) im Berlinale-Palast sind gleich drei Bären an deutsche Filme gegangen. "Roter Himmel", Christian Petzolds Freundes- und Liebesdrama, das in einem Waldbrand eskaliert, gewinnt den Großen Preis der Jury – den zweitwichtigsten Preis des Festivals.
Angela Schanelec erhält für ihren Film "Music", der den Ödipus-Stoff in die heutige Zeit verlegt, den Bären für das beste Drehbuch (den sie wegen Unwohlseins nicht persönlich entgegennehmen kann). Und Thea Ehre, die in Christoph Hochhäuslers Film Noir "Bis ans Ende der Nacht" spielt, wird für die beste Darstellung in einer Nebenrolle ausgezeichnet.
Berlinale: Drei Filme der Berliner Schule siegen
Drei Bären für deutsche Filme: Einen solchen Aufschlag gab es zuletzt 2006, als gleich drei deutsche Schauspieler ausgezeichnet wurden – wo es doch nur zwei Darstellerpreise gibt: Sandra Hüller für "Requiem", Moritz Bleibtreu für "Elementarteilchen" und Jürgen Vogel für seine besondere künstlerische Leistung als Schauspieler, Ko-Autor und Produzent von „Der freie Wille“. Drei Bären auf einen Schlag: Das ist ein immenser Erfolg für die hiesige Filmlandschaft. Und ein großartiges Signal, das hoffentlich wieder mehr Zuschauer in die Kinos lockt.
Indes: Im Wettbewerb waren dieses Jahr ja auch gleich fünf deutsche Filme vertreten, bei 19 Beiträgen mehr als ein Viertel. So viel wie noch nie. Was auch Kritik auslöste. Als hätte, so wurde geunkt, der künstlerische Leiter Carlo Chatrian sein Programm nicht voll bekommen und die Lücken mit heimischen Produkten gefüllt.
Und ein kleiner Beigeschmack bleibt auch. Von den fünf deutschen Kandidaten im Wettbewerb gehören drei Regisseure der sogenannten Berliner Schule an – die keine Schule ist, deren Vertreter aber doch für ein anderes, puritanischeres Kino stehen. Dazu zählt aber auch die Regisseurin Valeska Grisebach, die einzige Deutsche in der siebenköpfigen Internationalen Jury um Kristen Stewart. Und es sind genau diese drei Vertreter der Berliner Schule, die nun zu Bären-Ehren kamen.
War da womöglich Kungelei mit im Spiel? Eine gewisse Nähe jedenfalls ist nicht abzusprechen. Und dass Grisebach den Bär an Petzold übergab, verstärkt diesen Eindruck noch. Aber bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen man die in diesem Jahr besonders gut abgeschirmte Jury in der Öffentlichkeit erleben konnte – bei ihrer Pressekonferenz zu Beginn des Festivals, beim Besuch im Roten Rathaus und dann, als alle Sieben zu Gast bei einem Talents-Workshop waren, schien Valeska Grisebach immer die Ruhigste, Verhaltenste in der Jury.
Kristen Stewart und ihre Jury setzen auf Diversität
Während es ganz offensichtliche Spannungen gab zwischen der Präsidentin Kristen Stewart und dem rumänischen Regisseur Radu Jude, der 2021 den Goldenen Bären gewann. Es waren wohl eher diese beiden, die bei der Preisvergabe den Ton angaben. Wobei sich die Präsidentin wohl durchgesetzt hat.
Denn selten gab es eine so dezidiert diverse Preisvergabe wie in diesem Jahr. Der Goldene Bär geht an den feinfühligen Beitrag "Sur l’Aadamant" des französischen Filmemachers Nicolas Philibert über eine Begegnungsstätte für Menschen mit psychischen Problemen, die sonst oft ausgegrenzt werden.
Ein klarer Appell für mehr Miteinander und Inklusion. Es ist erst das zweite Mal, das ein Dokumentarfilm den Hauptpreis der Berlinale erhält - nach "Seefeuer" vor sieben Jahren, Gianfranco Rosis Film über den Alltag auf der italienischen Insel Lampedusa, einem Hotspot der europäischen Flüchtlingskrise.
Und es ist wohl auch kein Zufall, dass gleich beide Darstellerpreise – die ja seit 2021 nicht mehr nach Geschlecht getrennt sind, dafür aber in Haupt- und Nebenrolle – an Filme gehen, die von Transmenschen, vom Leben im falschen Körper handeln.
Berlinale: Zwei Darstellerpreise für Transition
Der erste baskische Beitrag im Wettbewerb, "20.000 especies de Abejas" (20.000 Bienenarten) erzählt das anhand eines kleinen Jungen, der ein Mädchen sein will. Wofür Sofia Otero vermutlich die jüngste Bären-Gewinnerin aller Zeiten ist, war sie doch bei den Dreharbeiten erst acht Jahre alt. Und nun bei der Verleihung neun Jahre alt. Sie stand noch nie zuvor vor einer Kamera. Und brach vor Aufregung in Tränen aus.
Für die beste Darstellung in einer Nebenrolle wurde die Trans-Schauspielerin Tina Ehre ausgezeichnet, die in Christoph Hochhäuslers Film Noir "Bis ans Ende der Nacht" einen Mann in der Transition zu einer Frau spielt. Das ist eigentlich ungerecht. Denn die Österreicherin spielt hier keine Nebenrolle, sondern neben Timocin Ziegler die zweite Hauptrolle. Und sie ist es, die den Film trägt. Aber so wird das Augenmerk auf diese beiden Trans-Rollen gelenkt. Bei gender-neutralen Filmpreisen waren dies wirklich die sinnigsten Leistungen, jenseits der üblichen Männlein-Weiblein-Kategorisierung.
Kristen Stewart, die jüngste aller Jurypräsidenten, die die Berlinale je erlebt hat, hat mit ihrer Jury starke Akzente gesetzt. Für eine diverse, offenere, buntere Gesellschaft. Aber mehr Zeichen konnten sie kaum setzen. Denn so schön es auch ist, dass die Berlinale wieder zurück ist, in alter Form wie vor der Pandemie, und sowohl das Publikum als auch die Stars in Massen zurückkehrten: Bei aller positiver Bilanz gibt es noch immer eine Schwachstelle. Und das ist der Wettbewerb. Ausgerechnet. Wo er doch das Schaufenster eines jeden A-Festivals sein sollte.
Berlinale ist zurück - aber eine Schwachstelle bleibt
Die Stars dieser Berlinale, sie waren nicht im Wettbewerb, sondern bei den Berlinale Specials zu finden. Und die vielen politischen Beiträge, aus der Ukraine, aus dem Iran, mit denen man solidarisch Schwerpunkte setzte, sie liefen in allen anderen Sektionen, nur nicht im Bären-Rennen. Hier pflegt der künstlerische Leiter Carlo Chatrian weiter einen sehr speziellen Filmkunstgeschmack.
Dafür hat er bei seinem Amtsantritt 2020 eigentlich den zweiten Wettbewerb Encounters ins Leben gerufen, in dem solche Filme ihren Platz haben. Er platziert sie aber auch im Wettbewerb. Oder wie der portugiesische Doppelfilm von Joao Canijo in beiden: "Viver mal" bei Encounters, "Mal viver" im Wettbewerb. Und noch weniger als in den Vorjahren war klar, warum dieser Film im Wettbewerb und jener in einer anderen Sektion lief. Damit weichen auch die Profile der einzelnen Sektionen auf. Was nicht in deren Interesse sein kann.
Mancher Preis der Berlinale macht dann doch ratlos
Einige Preise machen in diesem Jahr ratlos. "Mal viver" war der größte Langweiler des Wettbewerbs, wird aber mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Dafür wird der japanische Animationsfilm "Suzume", der das Trauma des Tsunamis 2011 verarbeitet, völlig übergangen. Und Altmeister Philippe Garrel erhält seinen Regie-Bären wohl eher für sein Gesamtwerk als für sein Familiendrama "Le grand chariot".
Doch egal. In diesem Jahr schien es eh, als ob man weniger denn je über den Wettbewerb sprach. Und mehr über die Polit-Beiträge. Und die Star-Specials, die den Wettbewerb ja auch im Berlinale-Palast etwas zur Seite drängten. Die Jury muss man immerhin loben, dass sie mit ihrer Preisvergabe ein paar Akzente gesetzt hat.