Im Kino dreht sich jetzt alles um Außerirdische in den USA, einen Schotten in England und Obstbauern in Spanien, die um ihr Land fürchten.
Alcarràs – Die letzte Ernte
Aus! Vorbei! Nur einen Sommer noch wird Familie Solé ihre Pfirsichplantage bewirtschaften, dann rächt es sich, dass man sich das Land lediglich per Handschlag von der Grundbesitzfamilie Pinyol zusprechen ließ. Deren jüngster Spross will nun auf dem Agrargelände eine lukrative Photovoltaikanlage errichten. Die Reaktionen der Solés fallen unterschiedlich aus. Großvater Rogelio will sich Pinyol mit Geschenken geneigt machen. Bauer Quimet kämpft um die letzte Ernte und treibt die Familie immer mehr in die Selbstausbeutung.
Die spanisch-italienische Koproduktion, angesiedelt im katalonischen Hinterland auf halber Strecke zwischen Barcelona und Saragossa, autobiografisch grundiert in Buch und Regie und mit Laienakteuren besetzt, gewann den Hauptpreis der diesjährigen Berlinale und wurde von der internationalen Presse als „zärtlich und tief“ (Le Monde), „schwirrend und vibrierend“ (Indiewire) oder gleich als „Wunder“ (El Espanol) bezeichnet. Was für die zweite Regiearbeit (nach dem exzellenten „Fridas Sommer“) der viel versprechenden Carla Simon zu hohe Erwartungen schürt.
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Ja, den Film zeichnen eine superbe Schauspielerführung und präzise Milieuzeichnung aus, aber das Familiendrama bleibt in Charakterskizzen stecken und in der Konfliktzeichnung und -lösung letztlich diffus. Trotzdem: eine bittersüße Studie um Stolz und Sturheit im Zeichen brutalen Wandels.
Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr
Der Titel weckt Assoziationen in Richtung des „Hundertjährigen“, aber hier ist es ein Roadmovie, wenn der 92-jährige Tom Harper mit dem Bus vom nordöstlichsten Punkt Schottlands (John o’ Groats) zum südwestlichsten Punkt Englands (Land’s End) fährt. Es ist ein episodisch gehaltener und besinnlich erzählter Filmtrip entlang der britischen Insel und der Stationen eines Ehelebens. Die Bildwechsel in die frühere Zeit sind originell montiert und Regisseur Gillies Mackinnon („Small Faces“) bleibt immer auf Augenhöhe mit dem greisen Helden.
Der wird gespielt von Timothy Spall, der beim Dreh 64 war, aber so realistisch gebrechlich agiert, dass man beständig darum fürchtet, dass es ihm auf die Unterlippe regnet oder die Beine ihren Dienst versagen. Ganz nebenbei predigt der Film den Glauben ans Gute im Engländer. Für eine schottische Produktion ist dies das Maximum an Völkerverständigung.
Nope
Irgendwo zwischen Hügeln im kalifornischen Hinterland gibt es eine Wolke, die sich auch bei Wind nicht bewegt. Hat dieses Phänomen mit den vielen Stromausfällen zu tun? Und damit, dass Pferde von der Weide verschwinden und unvermittelt Gegenstände vom Himmel fallen? OJ Haywood (Oscar-Preisträger Daniel Kaluuya), der mit seiner Schwester Emerald (Keke Palmer) eine Pferderanch unterhält, kommt der Ursache für das Unerklärliche als Erster auf die Spur, und sie ist nicht von diesem Planeten.
Vor fünf Jahren avancierte Jordan Peele mit dem Südstaaten-Gruselchen „Get Out“ zur Speerspitze eines schwarzamerikanischen Genrekinos mit Ethno-Botschaft. Hier zerdehnt er mit viel Tand einen im Kern simplen Schocker auf über zwei Stunden und wirkt dabei so ratlos wie der ebenfalls zu Anfang überschätzte M. Night Shyamalan nach „The Sixth Sense“.
Für die Gruselfreunde: Es gibt einige schöne Gänsehautmomente und starke Trickeffekte, aber eine stimmige Summe ergibt sich daraus nicht.
>>> Auch neu im Kino: Frida und ihre „süße Katastrophe“ <<<
Frida ist 40 und hat ihr Leben gut im Griff. Als sie bemerkt, dass sie schwanger ist, gerät alles aus den Fugen. Der Kindsvater verlässt sie. Aber Frida kämpft für ihr Glück. Wie sie das hinbekommt und welche Rolle dabei ein Bus voller kleiner Baywatch-Fans spielt, zeigt die finnische Kurzfilmregisseurin Laura Lehmus in ihrem Spielfilmdebüt „Sweet Disaster“: Ergebnis ist eine Sommerkomödie deutscher Produktion, teils heiter, teils tragisch – und alles in allem nett und bieder wie ihre Heldin selbst.
Es beginnt am Berliner Flughafen. Frida (Friederike Kempter, die „Nadeshda“ aus dem „Tatort“ Münster) ist zurück aus Helsinki. Die Kamera begleitet sie mit ihrem roten Rucksack aus der Vogelperspektive; ein Farbklecks zwischen den grauen Koffern, Trolleys und Anzugträgern. In einer Bar lernt sie den smarten Piloten Felix (Florian Lukas) kennen. Ein paar Monate später ist sie schwanger. Und Felix hat sich wieder mit seiner Ex-Freundin versöhnt.
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Frida will Felix zurück. Sie will eine heile Welt; bunt wie die Kleidung, die sie trägt, heiter wie die Farben, die sie als Kunsttherapeutin in einer integrativen Kita einsetzt. Wie es in ihr aussieht, Hoffnungen und Ängste, zeigen kurze Einspieler aus dem Reich der Fantasie. Da tanzt Felix umgeben von Luftballons mit einem Mal seinen Vaterfreuden entgegen. Oder Frida sieht sich selbst, hilflos an einer Steilklippe hängend.
Yolanda will nach Kanada
Neben ihren Problemen muss Frida auch noch das Leben des kleinen Johnny in Ordnung bringen. Ebenso das der 15-jährigen Yolanda (Lena Urzendowsky), die mit ihrer Mutter um ein Studium in Kanada ringt. Yolanda ist ein Technikfreak. Als es darum geht, Fridas Ex zu bespitzeln, ist sie mit ihrer Drohne dabei. Wie die Kinder nehmen die beiden die Verfolgung auf. Und das ist erst der Anfang von Fridas Felix-Feldzug.
Das ist lustig und nachvollziehbar, aber eben nicht sehr aufregend. Wie gern würde man die sanfte Frida mal so richtig ausflippen sehen. Der Baulärm vor ihrer Tür, Symbol für den beginnenden Umbruch, macht sie verrückt. Die Schwangerschaft bereitet nur Probleme. Dann verliert sie ihren Job und auch noch fast die Wohnung. Rückhalt bieten ihre Freunde, darunter ein Damen-Skatkränzchen („Kuchen. Sie braucht Kuchen!!“), fünf lebenskluge Großmütter, die immer erscheinen, wenn man sie benötigt.
Am Ende steht immerhin eine Menge Menschenliebe. Und die Erkenntnis, dass alles gut werden kann, wenn man fest daran glaubt. Und das Staunen darüber, dass David „Baywatch“ Hasselhoff gar nicht so weit entfernt ist, wie man denkt. Sein eingespielter Auftritt ist die größte Überraschung in diesem allzu süffigen „Sweet Disaster“