Kreis Wesel. An der Emscher war ein Deich in Gefahr – NRW stellt den Hochwasserschutz jetzt auf den Prüfstand. Was geplant ist und wie viel es kosten soll.

Hochwasserschutz ist spätestens seit der verheerenden Flutkatastrophe ein Thema – Vorfälle wie das Abbrechen des Emscherdeichs auf 300 Metern Länge in Dinslaken und das Absacken der dortigen Eisenbahnbrücke erhöhen die Sorge. Ann-Christin Fürbach und Susanne Zimmermann haben exklusiv mit NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) gesprochen: Wie steht es um den Hochwasserschutz?

Gibt es bereits einen neuen Stand zur Ursachenforschung, was am Emscherdeich passiert ist? Sie hatten vor Ort gesagt, dass der Deich hätte halten müssen.

In der Tat. Der Deich hätte nicht solche Schäden davontragen dürfen. Es gibt jetzt natürlich viele Spekulationen. Ich sehe das an den Mails, die uns erreichen und an Leserbriefen. Es läuft eine Untersuchung im Auftrag der Emschergenossenschaft. Fachleute bewerten das jetzt genau. Wir haben im Moment noch kein Ergebnis. Ich würde das abwarten und dann sehen wir weiter.

Hochwasserschutz ist keine staatliche Aufgabe, sondern zum Teil ehrenamtlich, durch Deichverbände etwa, organisiert. Viele Menschen kritisieren das als nicht mehr zeitgemäß.

Der Hochwasserschutz ist sehr unterschiedlich geregelt, am Niederrhein haben wir etwa ehrenamtliche Deichverbände und als Sonderfall an der Emscher infolge der Bergbau bedingten Absenkungen die Emschergenossenschaft, einen sondergesetzlichen Wasserverband, der durch seine Mitglieder getragen wird. Ich würde sagen, es gibt da kein richtig oder falsch. Die Frage ist am Ende immer, was bringt uns in der Sache voran? Man muss natürlich schon feststellen, dass die Deichsanierung am Niederrhein schon seit langem im Fokus steht, aber nicht in dem Tempo vorangeht, wie es sein sollte. Klar ist aber auch, man muss sich auch die Strukturen ansehen, ob möglicherweise ein Problem vorhanden ist.

Ist das aktuell ein Thema in Ihrem Haus?

Ja, natürlich. Wir haben gut 500 Kilometer Deiche in NRW, nicht nur am Rhein, auch an einer ganzen Reihe weiterer Flüsse. Wir haben vor einigen Monaten damit begonnen, den Zustand der Hochwasserschutzanlagen systematisch zu erfassen, was seit 2017 auch die Vorgabe im Landeswassergesetz ist. Wir stellen fest, dass an einem Großteil der Anlagen Handlungsbedarf besteht, etwa, in dem Deiche saniert und ertüchtigt werden müssen. Da muss man die Frage stellen: Wie kommt das? Wir werden auch schauen müssen, ob es einen Zusammenhang mit den Strukturen der unterschiedlichen Institutionen der Betreiber der Hochwasserschutzanlagen gibt und wo man Prozesse optimieren kann. Mir geht es weniger um Strukturen als vielmehr darum, zu gucken, dass wir bei der Unterhaltung der Hochwasserschutzanlagen gut unterwegs sind und die Anlagen den aktuellen, technischen Anforderungen entsprechen.

Lippeverband und Emschergenossenschaft haben gesagt, dass die Deiche wegen des Klimawandels höher werden müssten, um auch bei Wetterextremen wie Starkregen künftig gut zu schützen. Gibt es Überlegungen, wie man den Hochwasserschutz auf den Klimawandel einstellen kann?

Wir haben 2021 in der Eifel dramatisch erlebt, dass Starkregen und Hochwasser eine ganz neue Dimension bekommen haben. Es hat sich gezeigt, dass hier nicht die großen Flüsse die Verursacher der schweren Hochwasserschäden waren. Das zeigt, dass wir uns alle Gewässer anschauen müssen, nicht nur den Rhein. Wir müssen zuallererst schauen, ob die vorhandenen Anlagen noch den technischen Anforderungen entsprechen, die Überprüfung läuft noch. Was die Deiche angeht, fürchte ich, dass an der Hälfte der Deichkilometer mehr oder weniger großer Handlungsbedarf besteht und das hat natürlich auch mit den Folgen der Klimakrise zu tun. Wir haben Deiche, die nicht die richtige Höhe haben. Wir haben die, die nicht aus dem richtigen Material gebaut sind, um Hochwasserereignissen in jeder Form standhalten zu können. Und wir haben Deiche und andere Hochwasserschutzanlagen, die offensichtlich nicht gut unterhalten sind. Das alles muss aufgearbeitet und am Ende verbessert werden. Das ist eine Aufgabe für die nächsten Jahre, ich würde sagen für die nächsten Jahrzehnte.

Ein Teil des Emscherdeichs in Dinslaken ist nach Starkregen abgerutscht und eine Brücke abgesackt.
Ein Teil des Emscherdeichs in Dinslaken ist nach Starkregen abgerutscht und eine Brücke abgesackt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Haben Sie einen Zeitplan? Wie lange wird diese Untersuchung dauern? Und wann kann man dann sehen, dass etwas geschieht?

Mit den Zeitplänen, das ist immer so eine Sache. Wir versuchen natürlich, die Untersuchung, die eigentlich schon seit 2017 ins Gesetz gekommen ist, so schnell wie möglich abzuschließen. Das ist nicht ganz trivial, weil man zum Beispiel dem Innern von Deichen nicht ansieht, in welchem Zustand er ist. Ich gehe davon aus, dass wir die Untersuchung in jedem Fall in diesem Jahr abschließen können und wir konkret die Deichabschnitte benennen können, die ertüchtigt werden müssen. Die Sanierung ist in der Tat eine Aufgabe, die lange dauern wird, ebenso wie die Sanierung anderer Infrastrukturen – wir haben ja auch bei Brücken, Straßen und Schienen ähnliche Herausforderungen. Sicher sind die anders gelagert, aber wir erleben, dass sich in der Vergangenheit nicht so um die vorhandene Infrastruktur gekümmert worden ist, wie es hätte sein müssen. Das holen Sie nicht in zwei, drei Jahren nach. Wir sehen das beispielsweise beim Fahrplan „Deichsanierung am Niederrhein“. Der ist 2014 mal beschlossen worden, bis 2025 sollten alle Rheindeiche saniert sein. Es ist offen gesagt nicht so, dass wir die damaligen Zeitvorgaben werden erfüllen können. Es wird der Job sein, in der nächsten Zeit mit einem neu aufgesetzten Prioritätenkonzept dafür zu sorgen, dass wir schneller vorankommen. Vielleicht auch dann mit veränderten Strukturen, wenn die sich als Problem erweisen sollten.

Ist es noch zu früh oder kann man jetzt schon etwas dazu sagen, was das alles kosten wird?

Derzeit stellen wir für den Hochwasserschutz Fördermittel von rund 90 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung, so viel wie noch nie. Und wir haben das Personal für den Hochwasserschutz auch bei den Bezirksregierungen aufgestockt. Ich fürchte aber, dass dieser Betrag in Zukunft nicht reichen wird, dass das noch mehr werden muss, um am Ende die Deiche und anderen Hochwasserschutzanlagen zu sanieren. Es ist im Moment viel zu früh zu sagen, was das kosten wird, weil wir noch nicht richtig einschätzen können, was etwa an den Deichen im Einzelnen zu machen ist. Aber dass wir uns hier mindestens in höheren dreistelligen Millionenbeträgen bewegen in der Gesamtsumme, davon kann man wohl ausgehen.

Schafbeweidung ist für die Deichpflege das beste Mittel. An der Emscher wurde angesprochen, dass dort schon länger keine Schafe mehr auf den Deichen waren. Wenn Deiche die besten Deichpfleger sind, auch mit Blick auf die Biodiversität, müssten die Schafhalter nicht stärker unterstützt werden? Es ist nicht üblich, dass sie entlohnt werden.

Darin sind sich die Fachleute einig, Schafbeweidung ist das bessere Mittel, um die Stabilität eines Deiches sicher zu halten, als wenn gemäht wird. Ich habe das Problem auch von Schafhaltern gehört. Ob das Einzelfälle sind oder es ein generelles Problem gibt, können wir jetzt von Düsseldorf aus noch nicht einschätzen. Aber wenn von Schafbeweidung aus Kostengründen abgesehen wird – dem werden wir nachgehen müssen. Wir müssen schauen, wie wir die Schafhalter unterstützen und die Deichverbände dazu bewegen können, das wo immer möglich mit Schafhaltung zu machen.

Schafe am Deich in Voerde-Mehrum. Die Tere gelten als ideale Deichpfleger.
Schafe am Deich in Voerde-Mehrum. Die Tere gelten als ideale Deichpfleger. © Funke Foto Services GmbH | Lars Fröhlich

Schafhalter wünschen sich, dass ihre Belange auf den Deichen besser berücksichtigt werden. Statt dessen steht das Thema Freizeit beim Deichbau im Vordergrund.

Es ist klar, dass der Deich in allererster Linie eine Hochwasserschutzeinrichtung ist und alles, was diesem Zweck dient, hat erstmal Priorität. Wenn das die Schafbeweidung ist, bin ich dafür, dass alle anderen Nutzungsinteressen, so schön sie dann im Zweifelsfall auch sein mögen, zurückstehen. Ich bin ja auch Verkehrsminister und freue mich über jeden Radweg auf dem Deich. Aber wenn das im Einzelfall ein Problem ist, hat natürlich der Hochwasserschutz Vorrang.

Die Deichverbände beklagen, dass sich im Grunde niemand für die Nutrias zuständig fühlt.

Ja, in der Tat ist das auch eine Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Daran sieht man, wie komplex das Thema Hochwasserschutz ist und wie facettenreich. Nutrias sind nicht überall ein Thema, aber wir haben manche Bereiche, wo in der Tat diese invasiven Arten, Nutria und Bisamratte, Probleme an den Deichen verursachen. Und es ist natürlich so, dass sich die Verantwortlichen für die Deiche darum kümmern müssen, wenn das Problem ein ernsthaftes Problem ist. Wenn das nicht läuft, werden wir auch darüber reden müssen. Wo sind die Schäden, die die Tiere verursachen, so groß, dass man viel aktiver vorgehen muss? Ich kenne das aus den Niederlanden: Die haben die Bejagung staatlich organisiert mit professionellen Jägern. Davon sind wir in Deutschland noch weit weg. Ich glaube auch, dass das in dem Ausmaß nicht notwendig ist. Aber wir werden gucken müssen, wie wir Jäger und Jägerinnen und andere, die dazu in der Lage sind, so unterstützen und so in die Lage versetzen, dass sie gegen die Nutrias etwas unternehmen können.