Kreis Wesel. Nutrias vermehren sich unkontrolliert – nicht nur im Kreis Wesel sind die Nager ein Problem – eines, das niemand anpacken will. Warum das so ist.
Sie nagt an den Nerven der Deich- und inzwischen auch der Naturschützer: Die Nutria breitet sich aus und, so die Kritik, niemand scheint sich für ihre Bekämpfung zuständig zu fühlen, obwohl sie die Deiche gefährdet und heimischen Wildtieren den Lebensraum schlicht wegfrisst. Sie zu jagen ist aufwendig und mühsam. Schwerpunkte der Bejagung im Kreis sind laut Kreis Wesel an Rhein, Lippe und Issel sowie linksrheinisch im Bereich der Kendel und Leyen. Die an Riesenmeerschweinchen oder Biber erinnernden Tiere, eigentlich in Südamerika beheimatet und aus Pelztierfarmen entkommen, vermehren sich rasant, zwei bis drei Würfe mit bis zu 13 Jungen sind üblich, die wiederum nach vier bis fünf Monaten geschlechtsreif sind. „Belastbare Zahlen zu Populationsgrößen und - entwicklungen liegen nicht vor und werden auch nicht erhoben“, so der Kreis auf Nachfrage.
Auch lässt die Zahl der erlegten Nager keinen Rückschluss auf ihre Menge vor: Es gibt schlicht kaum Jäger, die Zeit und Aufwand leisten können, die Ausbreitung der invasiven Art zu stoppen. Dabei ist es machbar: Im Altrhein in Rees-Bienen gibt es keine Nutrias mehr. Wenn das da funktioniert, warum nicht auch im Kreis Wesel? „Hier stehen wir quasi nackend in den Erbsen“, sagt Alfred Nimphius, Vorsitzender des Naturschutzbeirates und Kreisjagdberater. „In Bienen sind 200 Lebendfallen aufgestellt worden und ein Berufsjäger kümmert sich um nichts anderes. Hauptamtlich, angestellt für fünf Jahre.“ Weil Nutrias intelligente Tiere sind, lassen sie sich nur durch Fallen fangen, die zwei Mal täglich kontrolliert werden müssen. Dazu aber ist eine Ausnahmegenehmigung des Kreises Wesel und die Zustimmung des Jagdpächters notwendig, bestätigt der Kreis Wesel. Die gefangenen Tiere werden getötet, sie woanders auszusetzen wäre sinnlos.
Die Jagd auf Nutrias ist sehr zeitaufwendig
Laut Nimphius haben nur wenige Menschen diese Genehmigung. „Die Jagd ist extrem zeitaufwendig und jede Falle kostet 200 Euro.“ Zudem sind die Tierchen wehrhaft, im Wasser beispielsweise hat ein Jagdhund keine Chance gegen sie, Nimphius berichtet etwa von einem aufgerissenen Deutsch-Drahthaar. Warum sollten sich die Jäger das antun – kann man die Nutria, die nicht als Wild klassifiziert ist, wenigstens essen? „Kann man, es gibt Rezepte. Sie hat relativ festes Fleisch. Aber ehrlich: Solange ich noch etwas anderes bekommen kann...“, Nimphius winkt ab. Mehr als 2000 Nutrias sind als „Beifang“ der Jagd im Kreis Wesel geschossen worden, „es müssten 10.000 sein um etwas zu erreichen“. Also graben die Tiere weiter Uferböschungen und Deiche kaputt, fressen Schilf im großen Stil weg, zerstören somit die Lebensgrundlage heimischer Wildtiere wie Brutvögel und vermehren sich ungehemmt. „Auf Feldern können sie Schäden anrichten, sodass man glaubt, die Wildschweine wären da gewesen“, nennt Nimphius weitere Probleme mit den Tieren.
Was tun? „Die Fangjagd muss attraktiver werden“, fordert Nimphius, Prämien für erlegte Tiere müssten her. Dafür müsste sich aber erstmal jemand zuständig fühlen: Holger Friedrich, Geschäftsführer des Deichverbands Bislich-Landesgrenze, droht bei diesem Thema der Kragen zu platzen. „In NRW nimmt niemand den Hut auf um die Bekämpfung vernünftig zu organisieren“, sagt er. Immerhin bekomme die Wasserwirtschaft jetzt Unterstützung durch den Naturschutz, wie eine Tagung zum 25-jährigen Bestehen des Arbeitskreises Hochwasserschutz und Gewässer jüngst in Rees gezeigt hat. „Wir brauchen ein großflächiges Instrument wie es in den Niederlanden angewandt wird. An die Erfahrung der Niederländer könnten wir anknüpfen, das ist eine gesellschaftliche Verantwortung.“ Friedrich fordert einen Managementplan gegen die invasive Art, „es kann nicht sein, dass sich alle zurücklehnen“. Staatliches Handeln ist also gefragt.
Menschen füttern aus falsch verstandener Tierliebe
Und da wäre noch der Faktor falsch verstandener Tierliebe. Nicht wenige Menschen finden die Nutrias niedlich, füttern sie gar. Jüngst wurde ein Mann gesehen, der eine Nutria auf dem Schoß hatte und sie mit Möhren fütterte, Alfred Nimphius diskutierte mit einer älteren Dame die meinte: „Die armen Tiere, die tun doch nichts.“ Und selbst auf der Tagung in Rees gab es Stimmen, die die „süßen Tiere“ verteidigten. Bei Fachleuten löst das Kopfschütteln aus. Der Kreis Wesel appelliert an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Sie „müssen dafür Sorge tragen, dass durch geeignete Maßnahmen wie das Aufstellen eines Zaunes ein Eindringen von wild lebenden Tieren auf ihr Grundstück unterbunden wird. Auch sollten Nutrias in Parks oder an naturnahen Gewässern nicht gefüttert werden.“
Das Problem ist nicht lokal, obwohl sowohl Lineg als auch Emschergenossenschaft und Lippeverband die Entwicklung im Auge behalten. „Die Art Nutria fällt seit 2016 unter den Geltungsbereich einer EG -Verordnung (1143/2014), das heißt sie wird europaweit als sogenannte prioritäre invasive Art unionsweiter Bedeutung eingestuft. Damit dürfen die Tiere in der EU nicht eingeführt, gehandelt, gehalten oder transportiert werden“, heißt es dazu vom Kreis. „Für NRW wurde aber bereits festgestellt, dass präventive Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung nicht mehr wirksam sind.“ Die Nutria hat das Land bereits für sich erobert.