Kreis Wesel. Bergsenkungen und ein ehrenamtlich organisierter Hochwasserschutz am Niederrhein: Warum eine Bürgerinititiative Mensch und Region in Gefahr sieht.
Ganze 70 Kilometer Deiche gibt es im Kreis Wesel, nicht nur entlang des Rheins, der Issel und der Lippe. „Ohne Deiche wäre eine Besiedlung des Niederrheins nicht möglich“, ist auf der Seite des Deichverbands Mehrum nachzulesen. Hans-Peter Feldmann von der Initiative Hochwasser- und Infrastrukturschutz am Niederrhein sieht eben diese Besiedlung als hochgradig gefährdet an: durch wirtschaftliche Interessen, die via Bergbaugesetz über den Sicherheitsinteressen der Menschen stehen, ganz legal. Aber auch durch die Tatsache, dass Hochwasserschutz keine staatliche Aufgabe ist.
Versicherung gegen Elementarschäden: Wo bleibt das Verursacherprinzip?
Bergsenkungen durch den Untertagebau im Linksrheinischen und ein Hochwasserschutzmanagement für den gesamten Kreis Wesel, das aus dem Mittelalter stammt und sich auf das Ehrenamt stützt, gefährdeten den Lebensraum am Niederrhein. Seit 25 Jahren werden Feldmann und seine Mitstreiter nicht müde, um mehr Sicherheit zu kämpfen, scheitern aber an Behörden und Politik. Nachdem auch ihre jüngste Petition an Landtag und Bundestag abgelehnt worden ist, mag Feldmann nicht mehr weitermachen, „ich kann die Köpfe der Menschen nicht erreichen“.
„Wann wird am Niederrhein jemand wach?“, fragt auch Landwirt Hans-Henning Schultes aus Alpen. „Es gibt so viel Wissen über die Risiken, aber es folgt kein Handeln daraus.“ Daran habe auch die Hochwasserkatastrophe an der Ahr nichts geändert. Dass jetzt eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden geplant ist, empfinden beide als Hohn. „Zuständig für den Schutz von Mensch, Tier und Infrastruktur müssten doch die Verursacher sein“, sagt Feldmann. Die aber machen Gewinn, für die Schäden sollen die Bürger aufkommen. „Das ist legal. Aber das Bergrecht gefährdet Lebensraum. Insbesondere am potenziell überschwemmungsgefährdeten, abflusslosen und tiefergelegten Niederrhein. Eine lebensbedrohliche Besonderheit in Deutschland“, sagt Feldmann. Für ihn ist der Gesetzgeber am Zuge, und das seit Jahren schon.
Diverse Zuständigkeiten sorgen für einen Flickenteppich der Kompetenzen
Bergsenkungen von bis zu 25 Meter in Kombination mit dem Klimawandel, mehr und mehr Starkregen und steigende Rheinpegel, diese Risiken seien kaum noch berechenbar. Zumal die Deiche einerseits nicht hoch genug seien, andererseits aber gegen das abgesenkte Bergbaugebiet als Staumauern wirkten: Natürliche Abflussmöglichkeiten gibt es nicht. „Der Katastrophenschutz ist außerstande, die betroffenen Menschen, Hab und Gut, den Tierbestand aus überschwemmten Gebieten retten zu können“, heißt es in der Begründung zur nun abgelehnten Petition.
Im Kreis Wesel gebe es auch keinen Hinweis auf Fluchtwege. Auf Anfrage dazu teilt der Kreis mit, dass für alles rund um den Hochwasserschutz die Deichverbände und deren Aufsichtsbehörden zuständig seien. Für Evakuierungsplanungen seien aber die Rheinanliegerkommunen zuständig. Für Feldmann ist das pure Theorie: „Der Sanierungsüberhang widerlegt die einschlägigen Richtlinien und Gesetze“, sagt er. Im Ergebnis steht ein Flickenteppich.
Hochwassermanagement, das betrifft beide Rheinseiten, liegt in der Verantwortung der Deichverbände, nicht alle haben hauptamtliche Mitarbeitende: Deichgräfe, als Vorstand der Deichstuhl und der Erbentag als Parlament. Es ist keine staatliche Aufgabe, Grundstücke und Anlagen vor Hochwasser zu schützen, Deiche und Hochwasserschutzanlagen zu bauen, zu sanieren, zu unterhalten und zu verteidigen. Es ist eine schwere Verantwortung für Laien.
„Heute sind die Deichverbände Bittsteller, um ihre Aufgabe zeitgemäß zu erfüllen zu können. Die Öffentlichkeit wird im Unklaren über den Zustand des Hochwasserschutzes gelassen. Ja, ein Deich-TÜV wird abgelehnt. Dem Staat ist die Lebensraumsicherheit von mehr als 500.000 Menschen nicht von elementarer Bedeutung“, kritisiert Feldmann. Das müssten die Menschen im Kreis Wesel und am Niederrhein verstehen. Er und seine Mitstreiter fordern, das Hochwassermanagement zu professionalisieren, in die Hand des Staates zu legen. Bislang stoßen sie damit auf taube Ohren bei den Verantwortlichen.