Emmerich. „Mafiöse Strukturen“: Minister Karl-Josef Laumann hat Büro für faire Arbeit in Emmerich eröffnet. Wie osteuropäische Leiharbeiter profitieren.
Die Bilder der unwürdigen Wohnverhältnisse, unter denen viele osteuropäische Leiharbeiter in Emmerich hausen mussten und teils noch müssen, haben viele noch vor Augen. Die meisten arbeiten in der niederländischen Fleischindustrie. Aber die Leiharbeiter-Firmen haben sie in der Hand, sie sind ihnen ausgeliefert. „Die Vorgehensweise erinnert an mafiöse Strukturen“, umschreibt es Elena Strato von Arbeit und Leben, den Beratungsstellen für Beschäftige aus EU-Staaten in NRW, passend.
Minister Laumann sieht „eine Riesensauerei“!
Da ist es sehr passend, dass NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann am Donnerstag in der Begegnungsstätte Ebkes an der Steinstraße eine weitere Beratungsstelle von Arbeit und Leben in Emmerich eröffnet hat: Das Büro für faire Arbeit. „Diese Leute arbeiten schwer, die Arbeitgeber betrügen sie, Stunden werden nicht bezahlt, sie zahlen für überteuerte Übernachtungen, der Mindestlohn wird umgangen – das ist eine Riesensauerei!“, unterstreicht Laumann.
Für den Minister geht es langfristig auch darum, dass Deutschland kein schlechtes Image bekommt: „Wir müssen ein Interesse daran haben, dass die Leute, die hier arbeiten, anständig behandelt werden.“
Rumänin berät Leiharbeiter in ihrer Muttersprache
Künftig wird Catalina Guia von Arbeit und Leben für die Arbeitnehmer auch in Emmerich muttersprachlich ansprechbar sein. Für die Rumänin wird es eine Arbeit sein, die jener eines Streetworkers ähnelt, denn die Hemmschwelle der Leiharbeiter ist groß, Hilfe zu suchen. Der Schneeball muss ins Rollen kommen: „Die Menschen freuen sich Rumänisch zu hören, aber ihr Vertrauen müssen wir erst noch gewinnen“, sagt Guia.
„Die Leute öffnen sich schwer. Es sind schwierige Strukturen. Die Vorarbeiter kommen häufig aus den gleichen Dörfern“, berichtete Laumann. Das Ebkes biete für Gespräche auch die Möglichkeit sich mal zurückzuziehen. In ihren Unterkünften könnten die Leiharbeiter sich häufig nicht öffnen.
Zwang, Demütigung, seelische Gewalt
Bereits seit zwei Jahren sei Arbeit und Leben im Kreis Kleve durchaus aktiv, berichtete Pagonis Pagonakis, Koordinator der Beratungsstellen. Man erlebe Dinge, die nicht im Sinne der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit seien. Zwang, Demütigung, seelische Gewalt, Angst um den Arbeitsplatz – wer krank ausfällt oder schwanger werde, werde entsorgt, stehe schnell obdachlos auf der Straße.
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Manchen wird gesagt, wer in dem Monat nicht zum Arzt geht, bekommt Krankenkassenbeiträge ausbezahlt, ergänzt Strato. Auf dem Wohnungsmarkt seien Neuankömmlinge chancenlos, sie müssten die prekären Wohnverhältnisse annehmen. Die Inflation machten sich die Betrüger zu Nutze und nehmen inzwischen 400 Euro für eine Matratze auf engem Raum.
Hoher Leidensdruck der Leiharbeiter
Die Leiharbeiter würden systematisch mundtot gemacht. Der Leidensdruck sei groß, die Familien in der Heimat sollen bloß keine Probleme bekommen. Sie melden sich erst, „wenn das Messer nah am Knochen angelangt ist“, zitiert Elena Strato eine rumänische Redensart.
Die Leiharbeiter sollen das Gefühl bekommen, dass jemand für sie zuständig ist. Und das dürfe nicht jene Person sein, die sich in Emmerich als Rechtsanwalt ausgebe und gegen Bezahlung helfe, so Strato.
Wie kann den Leiharbeitsfirmen das Handwerk gelegt werden?
Die landesweiten Beratungsstellen finden in Emmerich eine besondere Lage vor: Wohnen in Deutschland, Arbeiten in den Niederlanden. Die Zusammenarbeit mit den niederländischen Partnern und dem DGB laufe sehr gut. Das Netzwerk wird immer größer. Auf Ebene des Kreises Kleve entwickle sich gerade ein neues Steuerungsgremium, erklärte Pagonakis. Aber in den Niederlanden seien „keine Gesetzesänderungen in Sicht, die das Problem bei der Wurzel packen“.
Bürgermeister Peter Hinze ist froh über die Anlaufstelle in Emmerich, erinnert aber: „Das ändert noch nichts für jene, die dafür sorgen, dass die Lage so ist. Die nächste Frage ist: Wie können wir den niederländischen Leiharbeitsfirmen das Handwerk legen?“
Anwohner können Hinweise geben
Auch die Ohnmacht der Anwohner, die schon länger in Emmerich heimisch sind, müsse beachtet werden, sagte Pagonakis. Die Hinweise, wo Leiharbeiter untergebracht seien, nehme das Büro für faire Arbeit gerne entgegen. Auch die Stadt Emmerich kann hier vermitteln. Hinze konnte dazu ergänzen, dass es nach anfänglich 55 Sammelunterkünften inzwischen deutlich weniger in Emmerich gebe. Die großen Lasten für Nachbarschaften seien etwas zurück gegangen: „Aber das System Ausbeutung funktioniert noch.“
>> Bei diesen Themen hilft das Büro für faire Arbeit
Catalina Guia wird künftig immer mittwochs in Emmerich anzutreffen sein. Sprechstunde ist von 13 bis 16 Uhr. Nur am vierten Mittwoch im Monat von 11 bis 14 Uhr. Sie ist erreichbar unter 0175/5884291, guia@arbeitundleben.nrw.
Bei diesen Themen kann das Büro für faire Arbeit helfen: unbezahlte Überstunden, Urlaub, Auszahlung des versprochenen Lohnes, Mindestlohn, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen sowie Krankheit und Unfälle am Arbeitsplatz. Praktisches Beispiel: Darf man in Deutschland zum Arzt, wenn man in den Niederlanden krankenversichert ist? Zudem kann im Netzwerk an weitere Hilfsstellen vermittelt werden.
Das Land NRW fördert die Beratungsstellen von Arbeit und Leben mit jährlich acht Millionen Euro aus dem EU-Sozialfonds. Die Mittel werden für drei Jahre bewilligt.
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