Goch. Kontrollaktion führt zur Teil-Schließung von Leiharbeiterunterkünften in Goch. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mietwuchers.

Die Uhr an der kargen, weißen Wand ist stehen geblieben. Der kleine Zeiger weist nach oben, der große steht etwas weiter rechts: Hier ist jetzt immer fünf nach zwölf. Jemand hat bunte Sticker-Schmetterlinge an die Wand des schmalen Zimmers geklebt, in dem zwei einfache Betten zusammengeschoben sind. Nebenan liegt ein rosa-weißes Plüscheinhorn auf der Fensterbank. Der kleine Raum ist so voll gestellt, dass zwischen Doppelbett, kleinen Schränken und einem belegten Wäscheständer kaum Platz zum Laufen bleibt.

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In der verwinkelten alten Villa an der Klever Straße in Goch öffnen sich viele Türe zu Zimmern wie diesen. Wie viele Menschen hier genau hausen – unklar. Aber auf der gesamten Etage gibt es nur ein kleines Badezimmer, die Fußmatte in der verkalkten Dusche ist stark verdreckt. Auf halbem Weg im Treppenhaus zwischen Erd- und Obergeschoss besteht in einer weiteren Toilette die Möglichkeit auszutreten – wenn sich der notdürftig mit braunem Klebeband zusammengehaltene Klodeckel öffnen lässt.

Arbeiten im niederländischen Fleischhof, wohnen in Goch

Polizisten befragen die rumänischen Leiharbeiter am Frühstückstisch.
Polizisten befragen die rumänischen Leiharbeiter am Frühstückstisch. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Es ist Sonntagmorgen, kurz nach acht. An der Klever Straße, einer der Haupteinfallstraßen in die Gocher Innenstadt, parken halb auf dem Gehweg zahlreiche Polizeiautos. Mit einem Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Kleve verschaffen sich Kräfte verschiedener Behörde Zutritt zu dem Haus, in dem rumänische Leiharbeiter leben. Sie sind in niederländischen Fleischhöfen beschäftigt und wohnen auf der anderen Seite der Grenze in Goch – für eine viel zu hohe Miete, wenn man die sehr beengten Verhältnisse und nicht ausreichenden Sanitäranlagen betrachtet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Anfangsverdachts auf gewerbsmäßigen Mietwucher, nachdem die Stadt Goch Strafanzeige gestellt hat. „Es besteht der Verdacht, dass die zwei Beschuldigten als Verantwortliche eines niederländischen Leiharbeitsunternehmens ihren überwiegend aus Rumänien stammenden Mitarbeitern gegen weit überhöhte Zahlungen stark abgewohnten und in einem vernachlässigten Zustand befindlichen Wohnraum zur Verfügung stellen“, teilen die Staatsanwaltschaft Kleve und die Kreispolizei Kleve gemeinsam mit.

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Diese gerichtlich angeordnete Durchsuchung ist eingebettet in eine grenzüberschreitende Kontrollaktion, die das NRW-Bauministerium koordiniert. An diesem sonnigen Morgen werden insgesamt acht Sammelunterkünfte in Goch mit Blick auf Bauvorschriften, Wohnqualität, Überbelegung, Hygienevorschriften und das Arbeitsschutzrecht überprüft. Die rund 70 angetroffenen Bewohner, die mit der niederländischen Leiharbeitsfirma als Eigentümerin der Immobilien einen kombinierten Arbeits- und Mietvertrag geschlossen haben, sind Zeugen in diesem Verfahren. Dolmetscher erklären den Männern und Frauen, was der plötzliche Auflauf zu bedeuten hat.

300 bis 400 Euro für die Miete wird vom Gehalt einbehalten

Dieses Haus an der Klever Straße wurde durchsucht.
Dieses Haus an der Klever Straße wurde durchsucht. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Die Aktion schließt an die beiden Großrazzien im Februar in Emmerich und Geldern an und ist doch anders. Diesmal gibt es bereits ein Ermittlungsverfahren, die Staatsanwaltschaft ist dabei federführend. „300 bis 400 Euro pro Person werden für die Miete direkt vom Gehalt einbehalten“, fasst Polizeisprecherin Manuela Schmickler die ersten Ergebnisse zusammen. Dies bedeutet, dass in der Regel die Hälfte des Nettolohns auf das Konto der Leiharbeiterfirma fließt. Bei der großen Menge an Bewohnern, die zusammen in einem Haus leben, können so beträchtliche Summen zusammenkommen. Weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden zeigen, ob sich der Anfangsverdacht auf Mietwucher erhärtet.

Anders als in Emmerich und Geldern bringt zumindest die Durchsuchung an der Klever Straße keine erschreckenden hygienischen und baulichen Bedingungen zum Vorschein. „Das ist nicht zu vergleichen mit den katastrophalen Missständen, die wir im Februar gesehen haben“, sagt Silke Gorißen. Die Landrätin des Kreises Kleve macht sich vor Ort selbst ein Bild.

Sammelunterkünfte werden teilweise geräumt

Doch auch wenn diesmal kein totes Schwein auf dem Boden liegt, stellt das Bauministerium in einer ersten Bilanz „erhebliche Brandschutzmängel und Überbelegung“ fest. Einzelne Sammelunterkünfte werden teilweise geräumt, die Stadt Goch bringt 20 Personen in Notunterkünften unter.

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„Heute ist uns erneut ein wichtiger Schlag gegen die menschenunwürdige Unterbringung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern gelungen“, lässt Bauministerin Ina Scharrenbach mitteilen. „Wir nutzen das scharfe Schwert des Wohnraumstärkungsgesetzes, um prekäre Miet- und Wohnverhältnisse zu beenden und Menschen zu schützen. Die Methoden dieser Unternehmen sind moderne Sklaverei.“

Landrätin Gorißen: „Wir wollen diesen Sumpf austrocknen“

In dem kleinen Bad hält Klebeband den Toilettendeckel notdürftig zusammen.
In dem kleinen Bad hält Klebeband den Toilettendeckel notdürftig zusammen. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Gochs Bürgermeister Ulrich Knickrehm begrüßt die erweiterten gesetzlichen Eingriffsmöglichkeiten. Er sieht dadurch die jahrelangen Bemühungen seiner Stadt unterstützt, „menschenunwürdige Unterbringung von Leiharbeitern und die daraus entstehenden sozialen Konfliktherde und Beeinträchtigungen der Nachbarschaften zu unterbinden“.

Für Landrätin Gorißen ist auch das „Signal“ wichtig, dass von dieser erneuten Razzia ausgehe: „Wir zeigen den Leiharbeitsfirmen, dass wir die Sammelunterkünfte genau unter die Lupe nehmen und kriminelle Machenschaften aufdecken. Wir wollen diesen Sumpf austrocknen, damit den Unternehmern die Lust vergeht, solche Geschäfte zu machen.“

>>> Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Neben einer Vielzahl von kommunalen Behörden (Bauaufsicht, Wohnungsaufsicht, Ordnungsamt) waren auch die Staatsanwaltschaft Kleve, die Kreispolizei, die Steuerfahndung sowie der staatliche niederländische Arbeitsschutz beteiligt.

„Wir kontrollieren, ob die Arbeitnehmer den Mindestlohn erhalten, versichert und gut versorgt sind und ob die Arbeitssicherheit eingehalten wird“, sagt Thomas van Dijk, Projektleiter beim niederländischen Arbeitsschutz.

Eklatante Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht werden die niederländischen Behörden zusätzlich ahnden“, kündigt das NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung an.