Emmerich. Im Zuge des Ruhrkampfs wird vor 100 Jahren auch Emmerich von belgischen Streitkräften besetzt. Was das für die Bürger der Stadt bedeutete.

Belgien ist sicherlich eines der Länder, das am meisten unter den Kriegshandlungen zwischen 1914 und 1918 gelitten hat. Langemark, Ypern und allgemein die so genannten Flandernschlachten sind bis heute Synonyme für den Horror des Ersten Weltkriegs. Kein Wunder, dass das Königreich Belgien – neben Frankreich – nach der Niederlage des Deutschen Kaiserreichs besonderen Wert auf die Reparationszahlungen legte.

Das Foto zeigt belgische Besatzungssoldaten am 12. Oktober 1919 auf der Rheinfähre am linken Rheinufer vor Emmerich.
Das Foto zeigt belgische Besatzungssoldaten am 12. Oktober 1919 auf der Rheinfähre am linken Rheinufer vor Emmerich. © Archiv | Clemens

Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, besetzen belgische Streitkräfte Emmerich. Und das gleich mehrmals. Vor 100 Jahren – am 13. Februar 1923 – rücken die Belgier das dritte Mal in Emmerich ein. Die Inflation hatte Deutschland im Griff, Zahlungen von Reparationen stockten. Daraufhin wurden im Januar 1923 Teile des noch nicht besetzten Ruhrgebiets von Belgiern und Franzosen besetzt.

Ruhrkampf war nach Aufruf zum passiven Widerstand entfesselt

Belgische Soldaten vor dem Stadthaus und der Druckerei Romen in der Steinstraße.
Belgische Soldaten vor dem Stadthaus und der Druckerei Romen in der Steinstraße. © Emmerich | Stadtarchiv

Der parteilose Reichskanzler Wilhelm Cuno rief daraufhin zum passiven Widerstand auf. Der so genannte Ruhrkampf war damit entfesselt. Reparationszahlungen von deutscher Seite wurden nun komplett eingestellt. Das brachte das Fass zum Überlaufen und die belgischen Truppen wurden am Unteren Niederrhein aktiv.

Wie Norbert Kohnen in seinen Standardwerk Emmerich im 20. Jahrhundert schreibt, waren die Emmericher vorbereitet. In der Nacht vor dem 13. Februar wurden Bestände der Reichsbank am Nonnenplatz auf Lkws der benachbarten Schokoladenfabrik Lohmann in Sicherheit gebracht. „Als die Belgier erschienen, stellten sie Posten mit aufgepflanzten Bajonetten vor das Rathaus und andere öffentliche Gebäude“, heißt es bei Kohnen. Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass zehn Offiziere und 90 Mann nach Emmerich gekommen waren.

Belagerungszustand wird am 13. März 1923 verhängt

Eine der ersten Amtshandlungen war die Besetzung der Gebiete rund um die beiden Hauptzollämter Euwer und Hafenkopf. Am 13. März 1923 gab der Kommandant der Besatzungstruppen bekannt, dass über das besetzte Gebiet von Emmerich Belagerungszustand verhängt werde.

Das besetzte Gebiet wurde auch ausgedehnt. Folgende Bereiche von Emmerich waren ab da in belgischer Hand: Hafenstraße, Mennonitenstraße, Hühnerstraße Nummer 26, Kleiner Löwe, Kaßstraße, Kirchstraße, Hinter der Laterne, Neuer Steinweg Nummer 59 und 76, Gasthausstraße, Königstraße, Lilienstraße Nummer 1 und 2, Kurze Straße, Geistmarkt (exklusive Postamt) sowie Steintor bis zur Gemeinde Hüthum. Darüber hinaus auch noch das zwischen den genannten Straßen und dem Fiskalischen Hafen und dem Rhein gelegene Gebiet.

Radios waren verboten

Mit der Verhängung des Belagerungszustandes wurden auch etliche Regelungen eingeführt. So durften die Bewohner der besetzen Gebiete ihre Hände nicht mehr in den Taschen tragen. Uniformierte deutsche Beamte hatten belgische Offiziere zu grüßen. Radios waren verboten, Autos durften nicht mehr auf die andere Rheinseite übergesetzt werden.

Auch wenn nennenswerte Konflikte mit der Emmericher Bevölkerung wohl ausblieben, protestierte die Stadtführung gegen die Maßnahmen der Belgier. Bürgermeister Dr. Alff wurde verhaftet und ins Gerichtsgefängnis in Krefeld eingeliefert. Er kam aber bald wieder frei. Die Besatzer blieben freilich und verhängten eine Ausgangssperre zwischen 22 Uhr und 6 Uhr.

Am 21. Oktober 1924 ziehen die belgischen Truppen aus Emmerich ab

Belgische Truppen 1924 in Emmerich, links das Katholische Jugendheim, rechts die Aldegundiskirche.
Belgische Truppen 1924 in Emmerich, links das Katholische Jugendheim, rechts die Aldegundiskirche. © Emmerich | Stadtarchiv

Der passive Widerstand der deutschen Reichsregierung wurde im September 1923 abgebrochen, da die Inflation sich nicht abgeschwächt hatte, sondern im Gegenteil durch den passiven Widerstand sogar noch weiter angestiegen war.

Ab diesem Zeitpunkt dauerte es dann aber noch mehr als ein Jahr, bis die belgischen Truppen ihr Quartier in Emmerich aufgaben. Am 21. Oktober 1924 zogen sich die Streitkräfte aus Emmerich zurück. Die letzte Rate an Reparationen für den Ersten Weltkrieg zahlte Deutschland übrigens am 3. Oktober 2010.