Voerde. Kaufmann Andre Stepper aus Eppinghoven sieht sich die Kühlturm-Sprengung am 3. Dezember vom Balkon aus an. Warum bei ihm auch Wehmut mitschwingt.

Nebel wabert über dem Rhein, der gerade Hochwasser führt. Die Sonne hat den Himmel weitflächig in ein warmes Orange getaucht. Als sich Andre Stepper Mitte vergangener Woche beim Blick aus dem Fenster nach dem vielen Regen just dieses ungetrübte Bild mit dem stillgelegten Kraftwerk im Hintergrund bietet, nutzt er die Gunst der Stunde und hält den Moment in einem Foto fest. Diese weithin sichtbare Industriekulisse wird sich in der Form nicht mehr lange als Motiv bieten. Der Bauriese rechts auf dem Foto von Andre Stepper verschwindet am Mittag des ersten Adventssonntags (3. Dezember) von der Bildfläche: Der Kühlturm wird gesprengt.

Stepper, der in Eppinghoven lebt und in den Voerder Stadtteilen Friedrichsfeld und Spellen als selbstständiger Kaufmann einen Edeka-Markt betreibt, wird sich das Ereignis am kommenden Sonntag vom heimischen Balkon aus anschauen. Ein Logenplatz sozusagen: Sein Zuhause bietet ihm einen unverstellten Blick auf das Ende März 2017 stillgelegte Steinkohlekraftwerk, das die Steag in Möllen betrieben hatte und an dem RWE als kleinerer Partner zu 25 Prozent beteiligt war.

RWE hat das Kraftwerksgelände in Voerde übernommen

47 Jahre lang war auf dem Industriegelände mit Steinkohle Strom erzeugt worden – die angestrebte Energiewende mit der Abkehr von klimaschädlichen Energiequellen führte zum Aus. Vier Jahre nachdem der fossile Stromproduzent vom Netz genommen worden war, änderten sich die Besitzverhältnisse. RWE wurde alleinige Eigentümerin des rund 60 Hektar großen Geländes an der Frankfurter Straße. Der Essener Energiekonzern will bekanntlich auf der Fläche „in industriellem Umfang grüner Wasserstoff“ erzeugen.

Ungeachtet der jüngeren Vergangenheit – die Menschen in Voerde, Dinslaken und der Umgebung sprechen von der Steag, wenn sie das Kraftwerk in Möllen meinen. Das ist auch bei Andre Stepper so. Der 39-Jährige, der im benachbarten Eppinghoven aufwuchs, ist „mit der Optik groß geworden“, sagt er. Als er die heute nicht mehr existierende Realschule in Voerde besuchte, hatte er auch bei der Fahrt mit dem Rad das Kraftwerk und den bald fallenden Kühlturm im Blick. Aber nicht nur das verbindet er mit dem großen Stromproduzenten. Noch gut kann sich Andre Stepper an sein dreiwöchiges Praktikum in der neunten Klasse erinnern, das ihn in das Magazin „mit Riesenregalen“ führte.

Das Kraftwerk Voerde als Orientierungspunkt und Landmarke am Niederrhein

Wie für viele Menschen ist das stillgelegte Steinkohlekraftwerk als weithin sichtbare Landmarke für den 39-jährigen Eppinghovener bis heute ein Orientierungspunkt: „Da, wo die Steag ist, ist man Zuhause.“ Denn: „Egal, woher man kommt, das Kraftwerk kann man sehen“, bringt es Stepper auf den Punkt. Bei dem Gedanken an die in wenigen Tagen anstehende Sprengung des Kühlturms, die den wohl spektakulärsten Schritt beim laufenden Rückbau der Anlagen auf dem ausgedienten Kraftwerksgelände markiert, beschleicht ihn durchaus auch ein wenig Wehmut. Es ist ein Gefühl, mit dem der 39-Jährige nicht alleine dasteht: Das Bild vom Kraftwerk „gehört seit der Kindheit dazu“. Für Andre Stepper ist es auch ein „Stück Heimatgefühl“. Bei aller Nostalgie – Stepper findet es gut, dass das Gelände neu genutzt werden soll: „Das muss sein, man kann eine Fläche nicht ewig brach liegen lassen.“

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Wenn sich der Eppinghovener am ersten Adventssonntag die Sprengung von zu Hause auf einem der beiden Balkone anschaut, tut er dies nicht alleine. Auch sein Vater Gregor, der den Aufbau der Steag in Möllen als Jugendlicher miterlebte, wird dabei sein. Und eine Reihe von Freunden, die Andre Stepper zum gemeinsamen Frühstück eingeladen hat. Petrus soll offenbar guten Willens sein. Die Wettervorhersagen für den ersten Adventssonntag sind gut, „kalt und trocken“, sagt Andre Stepper. Wenn es so kommt, steht den letzten gelungenen Fotos aus Eppinghovener Sicht auf die Steag mit Kühlturm und seinem Fall nichts entgegen....