Damaskus. Geheime Röntgenaufnahmen, Spiele und Filme: Unser Reporter hat sich in Assads Residenz umgesehen. Das Haus offenbart, wie die Familie tickt.

  • Über Jahre herrschten die al-Assads als Diktatoren über Syrien
  • Nun ist Bashar al-Assad gestürzt, sein Palast wurde geplündert
  • Unser Reporter hat sich die einstige Residenz angesehen

Ende Februar 1990 plagten Hafiz al-Assad offenbar starke Bauchschmerzen. Auf einem der Röntgenbilder, die in einem wüsten Haufen medizinischer Unterlagen auf dem Boden liegen, ist der ungesund aussehende Darm des früheren syrischen Präsidenten zu sehen, der 2000 starb und dessen Sohn Baschar al-Assad nun gestürzt wurde. Derart intime Einblicke in das Diktatoren-Leben hatten früher nur sehr wenige, ausgesuchte Menschen. Jetzt laufen Syrerinnen und Syrer durch die Paläste, Residenzen, Büros und Privathäuser der Familie, die sie so lange unterjocht hat.

Am Eingang der Auffahrt zu Assads Palast haben sich drei Bewaffnete auf Campingstühle gefläzt. Junge Männer aus der Provinz Idlib, Kämpfer der islamistischen Haiat-Tahrir-al-Scham. Journalist? Aus Deutschland? Sie posieren mit dem Siegeszeichen, öffnen das Tor. Eine palmengesäumte Straße führt zu dem prächtigen Bau über den Dächern von Damaskus. Von hier ober hat man einen atemberaubenden Blick über die Stadt. Der Palast aber ist in einem kläglichen Zustand.

Jan Jessen in Syrien
Kriegsreporter Jan Jessen vor Ort im verwüsteten Empfangssaal des Präsidentenpalastes. © FMG | Jan Jessen

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Syrien: Gesundheitszustand der Diktatoren war früher ein Staatsgeheimnis

Nach der Flucht Assads haben die Sieger geplündert und gebrandschatzt. Der große Empfangssaal ist ausgebrannt. Glas knirscht unter den Schuhen, es riecht nach kaltem Rauch und Asche. Von der Decke baumeln noch einige schwarz verrußte Kristallglas-Kronleuchter, man kann erahnen, wie prächtig dieser Raum war. Assad hatte in jeder der syrischen Provinzen einen Palast, in diesem hat er Gäste empfangen. Sein Regierungspalast ist heute nicht betretbar, sagen die Islamisten.

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In den Schlafzimmern und Büros stehen schwere Möbel aus teurem Holz. Die Betten für die Gäste sind üppig. Purer Luxus in einem Land, in dem weite Teile der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben müssen. In einem der Räume liegt ein in Plastik eingehüllter großer Perserteppich. Vermutlich war es den Plünderern zu lästig, ihn mitzuschleppen. Elektronische Geräte findet man hier aber nicht mehr. Sie sind alle gestohlen worden.

Es ist der Raum, der offenbar das Archiv für die Krankenunterlagen der Assads war. Früher war der Gesundheitszustand der Diktatoren ein wohl gehütetes Staatsgeheimnis. Jetzt liegen da die Röntgenaufnahmen, die Echokardiografien, die ärztlichen Berichte einfach auf dem trümmerübersäten Boden. Wo sonst der Patientenname steht, steht auf diesen Unterlagen einfach nur „Mr. President“.

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Syrien im Umbruch: Jubel, Hoffnung und neue Gefahren

Im Krisenmodus

Assad: Islamist listet Gräueltaten auf – und tritt ein Foto des Diktators mit Füßen

Nicht weit entfernt vom Palast steht im Nobel-Viertel Al-Maliki eines der Privathäuser Assads. Hier leben die Reichen und Einflussreichen. Die prächtigen Häuser sind unerschwinglich teuer. Früher trauten sich einfache Bürger nicht in dieses Viertel hinein, zu scharf waren die Kontrollen, zu intensiv die Fragen, so schlimm die möglichen Konsequenzen, wenn man verhaftet worden wäre.

Das Viertel ist völlig intakt und es ist ein krasser Widerspruch zu der Situation in Jobar im Nordwesten von Damaskus. Jobar, wo einst über 100.000 Menschen lebten, ist nur noch eine Ruinenlandschaft, in den Jahren 2013 bis 2017 völlig zerbombt in den Kämpfen zwischen dem Regime und den Aufständischen.

Jan Jessen in Syrien
Das Bürogebäude von Assads Frau Asma in Damaskus © FMG | Jan Jessen

Assads Privatdomizil hier ist eine fünfstöckige Villa, modern, edel, lichtdurchflutet, umgeben von einem gepflegten Garten. Ahmad Fadschir passt hier auf, auch er ein Kämpfer der Islamisten, auch er aus Idlib. „Wir sind sehr froh, dass wir dieses Regime gestürzt haben, das sein Volk nicht respektiert hat“, sagt er mit einem breiten Lachen. Er listet wütend Gräueltaten Assads auf, tritt mit den Füßen auf ein Foto des Diktators.

Syrien: Diktatorenfamilie mit Vorliebe für Blockbuster

Die Villa ist ebenfalls bereits ausgeplündert worden. Es sieht chaotisch aus. Das Eck-Aquarium im Eingangsbereich ist zerstört und ausgelaufen. Die Eindringlinge haben ihre rasende Wut auf den verhassten Diktator auch an seinen Möbeln ausgelassen, Sofas, Stühle und Tische sind zerfetzt und zerschlagen. Auch hier ist nichts mehr zu finden, was die Plünderer für wertvoll erachteten. Die Bücher Assads haben sie aber nicht angerührt, sie stapeln sich an einer Wand im ersten Stock. Es sind viele akademische Werke, unter anderem über die arabische Geschichte und den Islam.

Jan Jessen in Syrien
Zerstörtes Aquarium in Assads Anwesen. © FMG | Jan Jessen

Offenbar mochte der Diktator Gesellschaftsspiele und amerikanische Filme. Im Erdgeschoss liegt auf dem verdreckten Fußboden eine englische Ausgabe von „Risiko“, dem Strategiespiel, bei dem es darum geht, mit den eigenen Armeen die Welt zu erobern. Im vierten Stock liegt auf dem Boden eine DVD des Boxer-Dramas „Rocky“. Aus einem mannshohen Bild Assads haben die Eindringlinge sein Gesicht herausgeschnitten, ein großes Foto seiner Frau Asma ist zerfetzt. Unterlagen und Briefe liegen in fast allen Räumen verstreut. Geheime Papiere scheinen nicht darunter zu sein. Es ist aber deutlich, dass der Diktator völlig von den Ereignissen überrascht worden ist.

Assad: Verwüsteter Palast offenbart Geheimnisse

Jan Jessen in Syrien
Verwüsteter Palast der Assad-Familie. © FMG | Jan Jessen
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Zerschnittenes Bild des Herrschers inmitten vieler Dokumente. © FMG | Jan Jessen
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Die Assads mögen offenbar Gesellschaftsspiele: In ihrem Palast liegt eine Ausgabe von „Risiko“ herum. © FMG | Jan Jessen
Jan Jessen in Syrien
Syrer feiern den Sturz der Assads – und machen in ihren Räumlichkeiten Selfies. © FMG | Jan Jessen
Jan Jessen in Syrien
Schweres, dunkles Holz: Der Luxus, in dem die Familie lebte, ist nicht zu übersehen. © FMG | Jan Jessen
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Schulnotizen, mutmaßlich von Assads Tochter Zein. © FMG | Jan Jessen
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Zerstörtes Badezimmer der Assads. © FMG | Jan Jessen
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Röntgenaufnahme von Hafiz al-Assad. © FMG | Jan Jessen
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Absolutes Dokumenten-Chaos in Assads früheren Räumen. © FMG | Jan Jessen
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Syrien versinkt im Chaos – die Assads führen ein normales Familienleben

Einer der Räume im fünften Stock scheint das Zimmer von Assads Tochter Zein gewesen zu sein. Hier liegt ein Heft, das die mittlerweile 21-Jährige als Kind in ihrer Zeit in der Baath-Jugend angelegt hat. In fein säuberlicher Handschrift hat sie Parolen des Regimes und wissenschaftliche Notizen aufgeschrieben. Die eingeklebten Bilder von Vater und Großvater hat sie mit Herzchen versehen, ebenso die Regime-Fahnen, die sie gemalt hat. Eines der drei Assad-Kinder scheint ein Fan der Comicbuch-Serie „Gregs Tagebuch“ gewesen zu sein, eine englischsprachige Ausgabe liegt in den Regalen. Während ihr Land in Trümmern versank und Zehntausende in dunklen Gefängnissen litten, scheinen die Assads ein ziemlich normales Familienleben gelebt zu haben.

Auch Asma Assads Bürohaus liegt im Al-Maliki-Viertel. Ein schneeweißer, zweistöckiger Bau, ebenfalls geplündert. Trotzdem lässt sich auch hier der Luxus früherer Zeit erahnen. Dunkles, edles Holz, goldene Verzierungen. Hier sind an diesem Tage viele Syrerinnen und Syrer, manche tragen die Fahne mit den drei Sternen, die neue, alte Fahne des Landes. Junge Mädchen kichern und machen Selfies, Väter tragen ihre Kinder huckepack, ein Mann setzt sich mit breitem Grinsen in einen prächtigen Sessel und lässt sich von seinen Freunden filmen. Im Treppenaufgang hat irgendwer an die Wand geschrieben: „Ich wünsche dir, dass du in der Hölle schmorst.“

Die jungen HTS-Kämpfer, die hier Wache halten, haben offenbar den Befehl, niemanden mehr hereinzulassen. Einer versucht, die Männer, Frauen und Kinder aus dem Gebäude zu scheuchen. Die Bewaffneten scherzen mit den Eindringlingen, bitten sie höflich zu gehen. Das funktioniert nur bedingt. Aber es scheint den Islamisten auch egal zu sein. Einer sagt: „Das alles ist wie ein Traum.“