Berlin/Qamischli. Weg, nur noch weg: Nach 54 Jahren endet in Syrien die Herrschaft der Assads. Überstürzt floh der Diktator – wohl nach Moskau.
Am Ende ging alles ganz schnell. Syriens Langzeitherrscher Baschar al-Assad soll am Samstagabend um 22 Uhr Ortszeit in Damaskus ein Flugzeug bestiegen haben. Weg, nur noch weg aus dem Land. Wohin könnte er sich retten? Nach Abu Dhabi? In den Iran? Nein, nach Russland! Das meldeten zumindest russische Staatsmedien am Sonntagabend. Überraschend ist das nicht. Die Familie soll hier über Immobilien in Millionenwert verfügen. Russische Kriegsblogger hatten schon vor Tagen ein Luxushotel im Zentrum Moskaus als ersten möglichen Unterschlupf genannt.
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In den Stunden zuvor hatten auch Gerüchte über eine 44 Jahre alte Militärmaschine, die in der Nacht zu Sonntag in Damaskus gestartet und dann womöglich nahe Homs abgestürzt sei, im Internet die Runde gemacht. Doch Belege bieben aus. Fakt ist: Assad ist weg. Das russische Außenministerium hatte früher am Sonntag bereits mitgeteilt, dass Baschar al-Assad seinen Posten und auch das Land verlassen habe. Zum genauen Aufenthaltsort der Assads gab es auch am Abend keine Angaben. Nur dies: Der Familie werde Schutz aus „humanitären Gründen“ gewährt.
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Assads Frau Asma und die drei gemeinsamen Kinder hatten sich angeblich schon vor Tagen nach Russland abgesetzt. Auch den Machthaber selbst hatte Wladimir Putin noch vor Beginn der Rebellen-Offensive im Kreml empfangen. Neben der Familie versuchen nun viele Regime-Anhänger und Soldaten, sich vor den Milizionären der Hayat Tahrir al-Sham in Sicherheit zu bringen. Im Irak sind bereits 1000 bis 2000 syrische Soldaten in voller Ausrüstung angekommen. Der Irak hat die Grenze inzwischen geschlossen.
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Augenzeugen berichten von hektischen Szenen. Viele wollen offenbar nach Latakia im Westen des Landes gelangen, 300 Kilometer von Damaskus entfernt. Sie sind in Autos, auf Motorrädern oder zu Fuß unterwegs. Militärfahrzeuge stehen herrenlos auf der Straße, Helme liegen herum, Abzeichen werden weggeworfen – bloß nicht mehr zeigen, dass man einmal auf Assads Seite gestanden hat. Am Sonntagnachmittag verhängen die Rebellen eine Ausgangssperre; sie soll zunächst bis 5 Uhr am Montagmorgen gelten. Nichtsdestotrotz: Die HTS-Miliz betont, man wolle einen friedlichen Übergang der Macht.
Military equipment left everywhere, scattered across the city, badges, helmets and all sorts just thrown onto the streets. pic.twitter.com/ICh7UPaI3b
— Danny Makki (@danny_makki) 8. Dezember 2024
Dennoch gehen sie strikt gegen die Assad-Anhänger vor: Der syrische Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali soll von bewaffneten Männern aus einem Haus eskortiert worden und in ein schwarzes Fahrzeug gebracht worden sein. Die Szene ist in einem Video zu sehen, das die emiratische Zeitung „The National“ veröffentlichte. Dschalali selbst bekundete, aus eigenen „Prinzipien“ in Syrien bleiben zu wollen. Zu Assad habe er seit Samstagabend keinen Kontakt mehr, seinen Aufenthaltsort kenne er nicht.
Extraordinary - opposition fighters from #Daraa are escorting #Syria’s Prime Minister out of his office & to the Four Seasons Hotel, in a move intended to symbolize the transfer of power & removal of #Assad regime rule. pic.twitter.com/am0tT6cbl1
— Charles Lister (@Charles_Lister) 8. Dezember 2024
Es ist ein banaler, aber bezeichnender Sieg der bisherigen Assad-Untertanen, als sie am Sonntagnachmittag schließlich den Präsidentenpalast in Damaskus stürmen, über auf dem Boden liegende, großformatige Fotografien des früheren Diktators Hafiz al-Assad stapfen und alles hinaustragen, was ihnen wertvoll erscheint – goldumrandetes Porzellan, Teller, Suppenschüsseln, Gläser. Ein Kämpfer posiert hinter Assads opulentem hölzernen Schreibtisch.
Später lodern Flammen im Palast. Das Ganze erinnert an den Arabischen Frühling im Jahr 2011: Auch in Tunesien und Libyen haben die Bürgerinnen und Bürger die Residenzen und Paläste der Machthaber entweiht, den Reichtum erst bestaunt und dann geplündert. Eine späte, bittersüße Machtdemonstration.
Nicht nur in Damaskus, auch in anderen Städten des Landes ist die Freude über das Ende der Schreckensherrschaft groß. Statuen von Hafiz al-Assad (Regierungszeit 1970 bis 2000) werden geköpft, Kinder urinieren darauf, Freudenschüsse fallen und Autokorsos fahren hupend durch die Straßen.
assad statue coming down as the regime is over pic.twitter.com/G2slTcs199
— ian bremmer (@ianbremmer) 8. Dezember 2024
In Saidnaja wird eines der größten Militärgefängnisse des Landes befreit. Auf Videos ist zu sehen, wie mit Gewehren bewaffnete Kämpfer in die Haftanstalt eindringen und Frauen aus den Zellen holen. Selbst ein kleines Kind ist zu sehen. Saidnaja ist eines der Symbole der Assadschen Diktatur, Zehntausende Menschen waren hier über die Jahre inhaftiert. In einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aus dem Jahr 2017 heißt es, seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs seien Tausende Menschen bei Massenhinrichtungen in Saidnaja getötet worden. Gefangene seien gefoltert worden. Bei den Inhaftierten habe es sich vor allem um oppositionelle Zivilisten gehandelt. Wegen der Brutalität, die in der Anstalt herrschte, trug das Gefängnis auch den Beinamen „das Schlachthaus“. Berichten zufolge befinden sich unter den nun Freigelassenen Menschen, die noch unter Hafiz al-Assad eingesperrt worden waren.
Für die ethnischen und religiösen Minderheiten in Syrien ist der Fall des Regimes eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits ist da die Erleichterung, dass der Terror Assads vorbei ist. Andererseits: Was kommt als Nächstes? In Aleppo, der zweitgrößten syrischen Stadt, sorgen sich Christen, wie es jetzt weitergeht. Die islamistische HTS benehme sich zwar „ganz ordentlich“, heißt es – aber bleibt es dabei?
Davon wird auch abhängig sein, wie sich die Lage der Binnenflüchtlinge entwickelt. Nach dem jüngsten Aufruhr haben Hunderttausende ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Allein in Raqqa und ath-Thaura sollen sich aktuell rund 120.000 Geflüchtete befinden, die Städte sind überfordert. Hilfe kommt nur nach und nach an, es fehlt an Medikamenten, Nahrungsmitteln und Decken. 300 Moscheen sollen jetzt als Notunterkünfte geöffnet werden.
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Sollte es zu größerem Chaos kommen und noch mehr Menschen fliehen, dürfte dies in erster Linie die Nachbarstaaten betreffen. Aus den arabischen Staaten ertönen gemischte Reaktionen. Jordaniens Präsident Abdullah II. scheint die Offensive der Rebellen-Gruppe zu unterstützen. Er respektiere den „Willen und die Entscheidungen des syrischen Volks“. Syrien müsse sicher und stabil bleiben und zudem Konflikte vermieden werden, die „zu Chaos führen“, teilte er dem Königshof zufolge mit. In Jordanien, das an Syrien grenzt, leben viele syrische Flüchtlinge. Ägypten fordert einen „inklusiven politischen Prozess, um eine neue Phase innerer Harmonie und Friedens zu schaffen“. In Katar sorgen sich Politiker um die „staatliche Einheit“. Ein Abdriften Syriens ins Chaos müsse verhindert werden.
Wie es im Land jetzt weitergeht, nach 54 Jahren Assad-Herrschaft, bleibt abzuwarten. Klar ist: Die Zeit wird sich für Assad nicht zurückdrehen. Rebellenführer Muhammed al-Dschulani traf am Sonntag in Damaskus ein. Er sagte: „Die Zukunft gehört uns.“