Berlin. Das Ende der Assad-Herrschaft hat die Führung in Teheran geschwächt. Springt der revolutionäre Funke auf die iranische Bevölkerung über?
Der 85-jährige Ajatollah gab sich kämpferisch. Auch nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad sei der Iran „stark und mächtig“ und werde „noch mächtiger werden“, sagte der oberste religiöse Führer Ali Chamenei. Das soll Stärke signalisieren und klingt doch ein wenig trotzig. Dass dem Iran gerade mit Syrien einer seiner wichtigsten Verbündeten der „Achse des Widerstandes“ gegen Israel weggebrochen ist, spielte Chamenei demonstrativ herunter. Durch Assads Reich hatte der Iran immer wieder Waffen an die Hisbollah-Miliz im Libanon transportiert.
Hört man Chamenei zu, sitzen die Feinde außen. „Es besteht kein Zweifel daran, dass das, was in Syrien passiert ist, das Ergebnis einer Verschwörung der USA und Israels ist“, erklärte der Geistliche. Dafür habe der Iran Beweise.
Iran nach Assads Sturz: Flammen jetzt wieder die Proteste auf?
Assad weg, Hisbollah und Hamas stark dezimiert: Die iranische Strategie eines Feuerrings gegen Israel ist gescheitert. „Es ist gleichbedeutend mit dem amerikanischen Debakel in Vietnam oder Afghanistan. In dem Sinne, dass viel finanzielles, politisches und militärisches Kapital ausgegeben wurde, ohne ein dauerhaft positives Ergebnis für den Iran zu erzielen“, sagte Rouzbeh Parsi, Leiter des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Stockholm, unserer Redaktion.
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Wenn eine in 54 Jahren errichtete brutale Autokratie wie die von Vater und Sohn Assad in weniger als zwei Wochen weggefegt wird, wirft das Fragen auf. Tickt die Uhr auch für die Mullahs? Ist Assads Fall Katalysator für einen breiten Widerstand, der auch das Regime in seinen Grundfesten erschüttern könnte? In der Vergangenheit flackerten immer wieder Unmutsbekundungen der iranischen Bevölkerung auf.
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Zeitungsreporter und zwei Blogger wurden verhaftet
Im September 2022 wurde die Kurdin Mahsa Amini wegen eines nicht richtig sitzenden Kopftuches festgenommen und starb in Polizeigewahrsam. Unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ begann eine Frauen- und Protestbewegung, die sich nicht nur gegen die islamischen Vorschriften richtete, sondern gegen den Islam als politische Ideologie des Landes. Das Regime schlug den Widerstand mit massiver Polizeigewalt nieder.
Teheran reagiert in den Tagen nach Assads Flucht nervös. Die iranische Staatsanwaltschaft drohte Kritikern an der Nahostpolitik des Landes mit juristischen Schritten. „Wegen der delikaten Lage in der Region werden für Unruhe sorgende Berichte in der Presse und den sozialen Medien demnächst als Straftat eingestuft“, kündigte die Staatsanwaltschaft an. In den vergangenen Tagen seien bereits ein Zeitungsreporter und zwei Blogger deswegen festgenommen und angeklagt worden.
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Irans Landeswährung Rial stürzt ab
Das rasche Ende der Assad-Herrschaft führte auch zu Chaos am iranischen Devisenmarkt. Die Landeswährung Rial erreichte ein Rekordtief. Wegen der westlichen Sanktionen im Kontext seines umstrittenen Atomprogramms steckt der öl- und gasreiche Staat seit Jahren in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte.
Dennoch halten es Experten für unwahrscheinlich, dass das Mullah-Regime in naher Zukunft kollabiert. „Der iranische Staat und seine Streitkräfte sind nicht so ausgehöhlt, wie dies bei Assad der Fall war“, betont der Nahost-Forscher Parsi. „Intern ist das iranische Regime geschwächt. Es ist jedoch derzeit nicht absehbar, dass es zu Zerrüttungen kommt“, sagte Hans-Jakob Schindler, Senior Director bei der Berliner Denkfabrik Counter Extremism Project, unserer Redaktion.
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Experte: „Widerstand im Iran verfügt weder über Organisation noch Struktur“
Nach Ansicht von Schindler ist das revolutionäre Potenzial im Iran und in Syrien nicht vergleichbar. „Der Widerstand im Iran hat zwar Energie, aber keine Vision über die Zukunft des Landes. Und er verfügt weder über Organisation noch Struktur. Bei der Opposition in Syrien war dies alles vorhanden“, unterstreicht der Experte. „Im Iran wird Dissens jeglicher Größe mehr oder weniger toleriert und absorbiert, solange er sich nicht organisiert. Das Regime weiß ganz genau, was immanent gefährlich ist und was nicht.“
Die empfindlichen Rückschläge in den vergangenen Monaten rückt jedoch ein anderes Thema in den Vordergrund: Im Iran ist die Debatte über militärische Abschreckung neu entbrannt. Immer lauter fordern inzwischen Politiker aus den hinteren Reihen die Entwicklung von Atomwaffen.
Kommt es unter Donald Trump zu einem Deal?
„Die gemeinsame Bedrohungswahrnehmung sowie die Niederlage von Assad, Hisbollah und Hamas geben der iranischen Führung auch genügend Anlass, ihre Nukleardoktrin zu ändern. Das bedeutet nicht, dass der Iran eine Atombombe herstellen, sondern dass er mit der Urananreicherung fortfahren wird. Und zwar bis zur Schwelle, die er für deren Bau als notwendig erachtet, falls nötig“, sagte Luciano Zaccara von der Qatar University in Doha unserer Redaktion.
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Deshalb sei ein neues Nuklearabkommen erforderlich. US-Präsident Donald Trump war 2018 aus dem Vertrag ausgestiegen. Der amerikanische Außenminister Antony Blinken warnte bereits im Sommer, der Iran könne bald das Material zum Bau einer Atomwaffe besitzen.
„Das Risiko ist relativ groß, dass das geschwächte Regime das Nuklearprogramm ausweitet und möglicherweise eine Atombombe baut“, schätzt der Iranexperte Schindler. Es könne jedoch auch sein, dass Teheran Zugeständnisse mache – gegen den Abbau von Sanktionen. „Es dauert nur noch rund fünf Wochen, bis Donald Trump im Weißen Haus sitzt. Die iranische Führung könnte auch sagen: ‚Warten wir ab. Der Mann will einen Deal – dann machen wir doch einen.‘“
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