An Rhein und Ruhr. Vor einem Jahr demonstrierten Millionen für die Demokratie. Seitdem hat die AfD zugelegt. Ist der Protest verpufft?

In Düsseldorf malen sie wieder Plakate. Am 15. Februar kommt die AfD in die Landeshauptstadt, und ein Bündnis aus Anti-Rassisten, Kirchen und Gewerkschaften will sich den Rechten entgegenstellen. „Ich hoffe, dass wir eine eindrucksvolle Demonstration hinbekommen“, sagt Hildegard Düsing-Krems, Vorsitzende von „Flüchtlinge Willkommen in Düsseldorf“. Ihr ist aber klar: Ein so deutliches Zeichen gegen rechts und für die Demokratie wie noch vor einem Jahr wird es Mitte Februar nicht geben. Die große Welle des Widerstands ist abgeebbt, so scheint es. 

Vor zwölf Monaten war Deutschland in Aufruhr. Das Onlinemagazin Correctiv hatte am 10. Januar einen Bericht über ein Treffen rechtsextremer und konservativer Politiker in Potsdam veröffentlicht, in dem über „Remigrationspläne“, also die massenweise Abschiebung von Menschen nichtdeutscher Herkunft diskutiert worden war. Die Enthüllungen lösten bundesweite Proteste aus. Millionen Menschen protestierten in den folgenden Wochen bundesweit.  

Vor einem Jahr protestierten die Menschen überall im Land

Auch in Nordrhein-Westfalen gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Selbst in kleineren Städten wie Dinslaken, Emmerich, Goch, Kleve oder Wesel waren es Tausende. Am 27. Januar demonstrierten in Düsseldorf 100.000 Menschen gegen rechts. Die Breite des Protests war beispiellos – neben den üblichen linken, progressiven und antirassistischen Gruppierungen, Parteien und Organisationen, waren an diesem Tag auch Schützenvereine oder Vertreter der CDU dabei.

„Für viele Menschen war es die erste Demo ihres Lebens. Wir waren darüber super glücklich“, erinnert sich Oliver Ongaro, Sprecher vom Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“.  

Ongaro räumt aber ein: „Leider haben wir es nicht geschafft, dass die Leute sich längerfristig engagieren.“ Tatsächlich ist die Gesellschaft in den vergangenen Monaten weiter nach rechts gerutscht. Anfang Februar 2024 lag die AfD in Nordrhein-Westfalen bei Umfragen bei 8 Prozent. Aktuell taxiert das Meinungsforschungsinstitut „Forsa“ die in Teilen rechtsextreme Partei auf 13 Prozent. Nach dem Terroranschlag von Solingen im August vergangenen Jahres überbieten sich auch die Parteien der Mitte mit Abschiebeforderungen. 

„Die Syrer und mittlerweile auch die Ukrainer haben Angst“, berichtet Flüchtlingsunterstützerin Düsing-Krems. Das Spendenaufkommen für ihren Verein ist deutlich zurückgegangen. „Der Wind weht uns ins Gesicht.“ Bereits kurz nach der Großdemonstration zeigte sich, dass der breite gesellschaftliche Protest möglicherweise nur ein Aufwallen war. Zu einer ersten Veranstaltung im Kulturzentrum „Zakk“, bei der über Strategien gegen rechts diskutiert wurde, kamen Ende Februar etwa 300 Menschen. Im April waren es nur noch wenige Dutzend. 

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Die Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz von der Uni Duisburg-Essen warnt aber vor voreiligen Schlüssen. „Es wäre eine merkwürdige Vorstellung anzunehmen, dass Menschen in Deutschland heutzutage über ein ganzes Jahr hinweg immerzu regelmäßig für die Demokratie auf die Straße gehen.“

Politikwissenschaftlerin: Protest hat Menschen selbstbewusster gemacht

Sie sei überrascht von dem Ausmaß gewesen, wie sich Menschen vor einem Jahr für die Demokratie eingesetzt hatten, so Schwanholz. „Das hatte etwas Gutes: Es hat Menschen selbstbewusster gemacht zu widersprechen, wenn sich Demokratiefeinde populistisch oder menschenverachtend äußern.“ 

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Die Politikwissenschaftlerin ist alarmiert vom Rechtsruck in der Bevölkerung. „Die Rechten haben mit ihrer Normalisierungsstrategie Erfolg.“ Begriffe wie „Remigration“ hätten Einzug in den Sprachgebrauch gefunden. „Wenn Alice Weidel das Wort in ihrer Parteitagsrede benutzt, schockiert das nicht mehr. Diese Normalisierung ist gefährlich.“ 

Demonstrationen in Moers, Essen und Köln geplant

Es gebe aber eine Gegenbewegung, die ihr Hoffnung mache, betont Schwanholz. „In Lehrveranstaltungen mit Studierenden und bei Vorträgen vor Menschen aus ganz normalen Berufen sind viele der Teilnehmenden besorgt über die Entwicklung. Ich habe eine derart intensive Politisierung so noch nie erlebt.“ Es gibt noch immer Widerstand gegen die AfD.

In Kleve protestierten am 9. Januar etwa 200 Menschen gegen einen zunächst geplanten Bürgerdialog der Partei vor der Stadthalle - trotz Schneeregens, Kälte und Dunkelheit. In Moers und Köln sind am kommenden Samstag Demonstrationen für die Demokratie und gegen den Rechtsruck geplant, in Essen für den 22. Februar.

Menschen fordern Aktivisten auf, ein Zeichen zu setzen

Auch Oliver Ongaro ist nicht gänzlich ernüchtert. Als bekannt wurde, dass die AfD Mitte Februar nach Düsseldorf kommt, seien viele Menschen auf ihn und die anderen Aktivisten von „Düsseldorf stellt sich quer“ zugekommen und hätten gefordert, ein erneutes Zeichen zu setzen. „Anscheinend will ein Teil der Bevölkerung diesen Rechtsruck nicht.“  

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Im vergangenen Jahr hatten Hildegard Düsing-Krems und ihre Mitstreiter Schilder mit Parolen gegen rechts und für die Demokratie gemalt. „Jeder zweite hatte damals auf der Demo ein Schild dabei“, erinnert sich die Aktivistin. Jetzt malen sie wieder Schilder. Der Karnevalswagenkünstler Jacques Tilly hat ihnen eine seiner Pappfiguren zur Verfügung gestellt. Es ist ein Totenschädel mit Hitlerbart.  

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