Düsseldorf. Die Erwartung, dass die Aufregung über die AfD nach dem Potsdamer Treffen die Partei schwächt, sei trügerisch, warnt Alexander Häusler.

Stößt die Radikalisierung der AfD mit dem Treffen von Potsdam jetzt an ihre Grenzen? Der Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf beobachtet zwar, dass sich der Protest gegen Rechtspopulisten und -extremisten in Deutschland nun stärker als bisher formiert. Im Gespräch mit Matthias Korfmann warnt er aber davor, dass bis zu einem Viertel der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild habe.

Herr Häusler, die AfD wird immer radikaler. Dennoch ist sie in Umfragen stark. Woran liegt das?

Alexander Häusler: Es gibt ein Bündel von Ursachen. Die intensive mediale Diskussion um Zuwanderung wirkt sich günstig für sie aus. Zwar blinken auch Union und SPD zuweilen rechts, aber die AfD verkauft sich als ,Original‘ gegen Zuwanderung. Die multiple Krise, in der wir uns befinden, wirkt zudem als Verstärker für die AfD. Außerdem gibt es ein starkes Normalisierungsverhalten…

Was meinen Sie damit?

Alexander Häusler: Die Abgrenzung nach rechts der anderen Parteien wird brüchiger. So gibt es in der Union Kräfte, die sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen können. Es gab in der Bundesrepublik schon immer ein rechtsextremes Potenzial. Diese Menschen haben aber früher mangels einer Alternative demokratisch gewählt. Nun gibt es diese Alternative, und Skandale wirken sogar noch verstärkend auf das Wahlverhalten der Rechten. Das ist wie in den USA bei Donald Trump. Dem können Skandale auch nur wenig anhaben.

Heißt das, dass der Skandal um das Potsdamer Treffen sogar verstärkend wirken könnte für die AfD?

Alexander Häusler: Möglich, aber ganz sicher ist das nicht. Das Treffen in Potsdam könnte auch einen Umkehreffekt hervorrufen. Teile der bürgerlichen Mitte sagen: „Es reicht“. Demos gegen die AfD haben Zulauf.

Ist mit dem Potsdamer Treffen ein Kipp-Punkt erreicht?

Alexander Häusler: Es ist zu früh, um das zu sagen. Aber die öffentliche Aufmerksamkeit und das Mitwirken von Mitgliedern der Werteunion haben das Fass womöglich zum Überlaufen gebracht. Auf jeden Fall wird dadurch die Diskussion über ein AfD-Verbot befeuert. Auch die AfD muss sich hinterfragen, ob jetzt das Ende der Radikalisierung erreicht ist. Es ist kein Zufall, dass sich Alice Weidel von ihrem Sprecher getrennt hat. Das deutet auf ernste Befürchtungen in der AfD hin.

Die AfD hat sich seit ihrer Gründung immer mehr radikalisiert. Früher hieß es, Parteien machten sich durch Radikalisierung „unwählbar“. Warum gilt das heute nicht mehr?

Alexander Häusler: Wie gesagt: Rechtsextremistische Einstellungen gab es in der Bundesrepublik immer, aber früher wählten diese Menschen nicht oder sie wählten CDU und SPD, weil es auch in den Volksparteien rechte Flügel oder erzkonservative Akteure gab. Denken wir an Alfred Dregger oder Franz-Josef Strauß. Nun gibt es aber die AfD, und es nützt Friedrich Merz nicht, sich als rechts zu inszenieren. Es nützt auch der SPD nicht, auf die dänischen Sozialdemokraten zu schauen, die eine harte Zuwanderungspolitik verfolgen. Menschen mit rechtsextremen Einstellungen sehen die AfD als Original, die anderen als Fälschung an.

„Auch die AfD muss sich hinterfragen, ob jetzt das Ende der Radikalisierung erreicht ist“, sagt Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf im Interview.
„Auch die AfD muss sich hinterfragen, ob jetzt das Ende der Radikalisierung erreicht ist“, sagt Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf im Interview. © Handout | Privat

Was bleibt den anderen Parteien denn?

Alexander Häusler: Sie sollten die Unterschiede zur AfD deutlich machen, nicht die Gemeinsamkeiten. Klare Abgrenzung, klares Bekenntnis zur Demokratie. Dann wissen Wählerinnen und Wähler, wer wofür steht. Die AfD versucht, eine Catch-all-Partei zu sein, also eine Partei, die möglichst alle einfangen möchte. Den nationalkonservativen Rand der Union und das prekäre Milieu, um das sich eigentlich linke Parteien kümmern. Sie inszeniert sich als Partei des kleinen Mannes, obwohl sie neoliberale Positionen vertritt.

Sie sagten, ein Teil der deutschen Bevölkerung hatte immer rechtsextremistische Einstellungen Wie viele sind das?

Alexander Häusler: Dazu gibt es unterschiedliche Studien. Laut der damals viel beachteten Sinus-Studie von 1981 konnte man von einem gefestigten rechtsextremen Potenzial zwischen 15 und 25 Prozent der Bevölkerung ausgehen. Einer Studie des Bielefelder Institutes für Konfliktforschung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte 2023 etwa jeder zwölfte Erwachsene ein rechtsextremes Weltbild. Der „Graubereich“ -- das sind diejenigen, die sich nicht eindeutig diesem Weltbild zuordnen lassen, aber unterschwellig fremden- und demokratiefeindlich sind , soll demnach bei weiteren 20 Prozent liegen. Gehen wir ruhig davon aus, dass die multiple Krise heute diese Haltungen eher noch verstärkt.

Martin Vincentz, der Chef der NRW-AfD, der bisher als eher moderat galt, hat beim Neujahrsempfang der AfD in Duisburg einen rassistischen Witz gemacht. Steckt dahinter ein Kalkül?

Alexander Häusler: Das war sicher keine spontane Aktion. Der Parteivorsitzende versucht, sich als politisch inkorrekt zu inszenieren und die Grenzen des Sagbaren auszuloten. Vincentz lag früher eher auf einer Linie mit Ex-AfD-Chef Jörg Meuthen. Nun kommt die 180-Grad-Wende, der Auftritt als starker rechter Mann. Inzwischen kann auch ein AfD-Landesverband in NRW nicht mehr gegen den Kurs von Björn Höcke existieren.

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