Bielefeld. Deutschland rückt nach rechts. Immer öfter denken Menschen mit Migrationshintergrund deshalb übers Auswandern nach. Wie real sind die Pläne?
Deutschland rückt nach rechts. Die AfD ist besonders bei Jungwählern beliebt. Welche Folgen hat das für junge Migrantinnen und Migranten? Darüber hat Laura Lindemann hat mit Andreas Zick, Konfliktforscher der Uni Bielefeld, gesprochen.
Immer mehr junge Menschen setzen ihr Kreuz bei der AfD. Eine Partei, die gegen Migrantinnen und Migranten hetzt. Was macht das mit jungen Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben?
Andreas Zick: Sehr viel. Wir sehen junge Menschen, die die Idee der Remigration cool finden – und vermehrt die AfD wählen. Der Ton wird rassistischer, politische Gewalt ist gesellschaftsfähig geworden. Das bekommen vor allem junge Menschen mit Migrationsgeschichte zu spüren. Je mehr die Mehrheitsverhältnisse in ihrer Generation kippen, desto stiller und zurückhaltender werden sie in der Gesellschaft.
Warum?
Im Land wird das Konzept der Remigration diskutiert, das von neurechten Kreisen aufgeworfen wird und in der Mitte zu populistischen Abschiebungsdiskussionen führt, die nicht durchdacht sind. Das beeinflusst junge Migrantinnen und Migranten massiv. Bei den einen führt es zur Verunsicherung, andere grenzen sich bewusst von ihrer Migrationsgeschichte ab und denken, dass es sie eh nicht treffen wird. Und einige fühlen sich verachtet, was radikale Gruppen wissen, die das Opferbild aufgreifen.
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Auf welche Kulturkreise trifft das vor allem zu?
Der Hass trifft vor allem muslimische Menschen und solche, die für AfD-Sympathisanten und jene, die Abschiebungen möchten, so aussehen. Auch Menschen aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum sind betroffen. Hier geht es um die Hautfarbe und die subjektive Fremdheit. Zudem werden die Communities bei einem Vorfall direkt unter Generalverdacht gestellt.
Viele Familien sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland gekommen. Sehen junge Migrantinnen und Migranten ihre Zukunft hier nun bedroht?
Ja, davon gehe ich aus. Eine Studie, die wir durchgeführt haben, zeigt, dass Menschen mit Migrationsgeschichte angesichts der Wahlerfolge der AfD verstärkt Auswanderungsabsichten haben. Viele Fragen sich, ob Deutschland noch das Land ist, in dem sie leben möchten, da es sich nicht mehr wie „ihr Land“ anfühlt.
Haben sie denn auch realistisch betrachtet keine Zukunft mehr hier?
Für sie wird es zumindest deutlich schwieriger, hier zu leben. Schon jetzt wissen junge Menschen: Wenn sie einen arabischen Namen haben und etwa in der Dortmunder Nordstadt wohnen, sinken die Chancen auf einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz. Das spricht sich in dieser Generation herum.
Was hätte es für Konsequenzen, wenn junge Menschen vermehrt abwandern?
Wir leben in Zeiten, in denen wir dringend auf Fachkräfte angewiesen sind. Auf dem Arbeitsmarkt braucht es Einwanderinnen und Einwanderer. Außerdem sollte es uns Sorgen machen, wenn Menschen wegen rechtsextremer Vorstellungen in der Gesellschaft ihre Zukunft hier nicht mehr planen. Oder wenn sie hier bleiben, sich aber aus der Zivilgesellschaft raus- und in Nischen zurückziehen. Und: Wenn man andauernd mit Klischees über sich selbst konfrontiert wird, versucht man irgendwann, diese zu erfüllen, um das Gefühl der ständigen Bedrohung loszuwerden. Das alles könnte zu einer Zerreißprobe für die Demokratie werden.
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Was muss man tun, um sie nicht zu verlieren?
Man muss in erster Linie mehr mit ihnen sprechen und sie fragen, was sie bewegt. Junge Menschen mit Migrationsgeschichte sind noch zu wenig in politischen Gremien oder Talkshows vertreten. Sie müssen überall dorthin, wo sich über die große Politik und die Probleme des Landes unterhalten wird.
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