Essen. Grün und links? Von wegen. Sehr viele junge Menschen haben bei der Europawahl 2024 für die AfD gestimmt. Das liegt nicht nur an TikTok.
- Viele junge Menschen konnten in diesem Jahr zum ersten Mal mitbestimmen, wer in der EU in Zukunft das Sagen hat. Ihre Wahlentscheidung hat viele überrascht.
- Die Grünen haben massiv an Zustimmung verloren, die AfD feiert hingegen einen großen Erfolg. So haben 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen ihre Stimme der AfD gegeben. Erfolgreicher war nur die CDU mit 17 Prozent.
- Zum Vergleich: Nur jeder neunte junge Mensch unter 24 hat für die Grünen gestimmt (11 Prozent). Bei der Europawahl 2019 war es noch rund jeder Dritte (34 Prozent). Warum haben die Jungwählerinnen und Jungwähler so konservativ, beziehungsweise rechts gewählt?
Darüber hat Sophie Sommer mit Stefan Marschall gesprochen. Er ist Parteienforscher und Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf – und sagt: „Die Niederlage der Grünen in Kombination mit dem Erfolg der AfD kommt einem Erdrutsch gleich.“ Fünf Erklärungen für das Wahlergebnis.
1. In Krisenzeiten ein Zeichen des Protests setzen
Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation: Viele junge Menschen haben das Gefühl, von einer Krise in die nächste zu geraten. „In Zeiten der Verunsicherungen verfangen einfache Antworten von rechtspopulistischen Parteien besonders gut. Das betrifft besonders junge Menschen“, sagt Stefan Marschall.
Viele von ihnen fühlten sich verunsichert und von der Politik nicht ernst genommen. „Sie fragen sich, wie sie ihren Protest zum Ausdruck bringen können. Und da funktioniert die AfD einfach immer noch sehr gut“, so der Experte.
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2. Migration spielt eine wichtige Rolle für junge Menschen
Das Ergebnis der Europawahl hat laut Marschall gezeigt, dass Migration für viele junge Menschen ein wichtiges Thema ist. Zum einen, weil es ihnen in den sozialen Medien begegnet. Zum anderen, weil sie sich viel im öffentlichen Bereich bewegen – zum Beispiel im Bus oder in der Innenstadt – und es auch im Schulalltag häufig eine große Rolle spielt.
„Migration ist ein wichtiges Thema für viele Jungwählerinnen und Jungwähler und daher auch ein Thema, mit dem die AfD besonders gut mobilisieren kann.“ Geht es um innere Sicherheit, werde außerdem der CDU eine hohe Kompetenz zugeschrieben. „Es kann gut sein, dass das viele junge Menschen Richtung CDU geführt hat“, sagt Marschall.
Im Gegensatz dazu zeigten Studien, dass der Klimawandel und Klimaschutz für viele jungen Menschen nicht mehr so wichtig ist. „Es ist nicht mehr das zentrale Thema, das es noch bei der letzten Europawahl war“, so Marschall. Das hänge auch damit zusammen, dass Klimaschutz durch die Inflation und Energiekrise eher als Problemthema wahrgenommen wurde.
3. TikTok als wichtigste Informationsquelle
Rund zwei Drittel der jungen Menschen informieren sich hauptsächlich auf Social Media über Politik. Auf der inzwischen beliebtesten Plattform TikTok erreicht keine andere Partei so viele Nutzer wie die AfD. Das liegt zum einen an den Spielregeln der Plattform, Stefan Marschall: „Der TikTok-Algorithmus bevorzugt Videos, in denen radikale, provokative Positionen vertreten werden. Daher haben populistische Parteien schon einen gewissen Vorteil.“
Zum anderen habe die AfD die Relevanz von TikTok viel früher erkannt als andere. „Die AfD hat die sozialen Medien von Anfang an sehr professionell genutzt und da viele Ressourcen reingesteckt. Die anderen Parteien haben das teilweise verschlafen.“
4. Keine Parteienbindung bei jungen Menschen
Junge Menschen fühlen sich in der Regel nicht einer bestimmten Partei verbunden. Sie sind offener für neue Impulse, Themen und Politikerinnen und Politiker. Das spiegelt auch das Ergebnis der EU-Wahl wider. 28 Prozent der 16- bis 24-Jährigen haben für eine Kleinstpartei gestimmt, wie etwa Volt oder die Tierschutzpartei.
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„Kleinere Parteien sind für junge Menschen viel eher eine Option, als das bei älteren der Fall ist. Gerade bei der EU-Wahl denken viele, sie sei nicht so wichtig – was natürlich nicht stimmt – und wählen ein bisschen freier und experimenteller.“ Er hält fest: „Die Jungwählerinnen und Jungwähler sind nicht berechenbar. Wir werden von Wahl zu Wahl unterschiedliche Muster sehen.“
5. AfD als fester Baustein des Parteiensystems
Die AfD hat sich zwar erst 2013 gegründet, doch viele junge Wählerinnen und Wähler kennen längst kein Parteiensystem mehr ohne sie. „Gerade, wenn man in den Osten Deutschlands schaut, ist die AfD durchaus eine fest etablierte Partei und ein fester Baustein des Parteiensystems“, sagt Marschall. „Deswegen wird sie auch von allen Altersgruppen gewählt.“
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