Düsseldorf. Viermal top, zweimal flop und viel Durchschnitt: Die schwarz-grünen Minister zur Regierungshalbzeit in NRW in unserer Einzelkritik.

Die erste NRW-Landesregierung aus CDU und Grünen erreicht die Mitte der Legislaturperiode. Gelegenheit für unsere Düsseldorfer Landeskorrespondenten Tobias Blasius und Matthias Korfmann für einen kritischen Blick auf Personen, Performance und Programm.

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Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). © dpa | Christoph Reichwein

Die Opposition in Düsseldorf verhöhnt ihn als inhaltsleeren „Insta-Präsidenten“, dessen Regierungsehrgeiz sich in Hochglanz-Terminen erschöpfe. Der bayerische CSU-Amtskollege Markus Söder drängt ihn in die Rolle des Grünen-Verstehers, der in einer nach rechts gerückten Merz-CDU einen „toten Gaul“ reite. Doch Wüst kann das alles nichts anhaben. Seine durchchoreografierten Auftritte, sein Kokettieren mit der Kanzlerkandidatur und sein pfleglicher Umgang mit dem Koalitionspartner haben ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Politiker Deutschlands gemacht. Nicht zu vergessen: Wüst hat sich mit dem Kampf gegen Einsamkeit ein wichtiges gesellschaftliches Thema auf die Fahne geschrieben und nach dem Solingen-Anschlag das umfassendste Sicherheitspaket der NRW-Geschichte vorgelegt.. Daumen: HOCH

Mona Neubaur (Grüne), Wirtschaft und Energie

Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne).
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). © dpa | Dieter Menne

Ohne Regierungserfahrung wurde die heute 47-Jährige gleich Vize-Ministerpräsidentin. Sie ist neben Wüst das Gesicht des ersten schwarz-grünen Bündnisses in NRW. Im Kreise der Firmenlenker bewegt sie sich gern und sicher, dafür hat sie es sich -- nicht nur wegen der Lützerath-Räumung -- mit der Grünen Jugend verscherzt. Der umstrittene Braunkohle-Deal mit RWE hängt ihr nach, ein Gericht kippte wichtige Windkraft-Pläne. Ihr Versprechen, NRW steige bis 2030 aus der Kohle aus, ist kaum zu halten. Wirtschaftlich geht‘s dem Land schlecht – eine schwere Hypothek. Daumen: MITTEL

Nathanael Liminski (CDU), Staatskanzleichef

Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU).
Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU). © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Der immer noch erst 39-jährige Liminski ist die zentrale Figur der Regierung Wüst. Ressortkoordination, Bundesrat, Europa, Medien - alles geht über seinen Tisch. Der Staatskanzleichef ist eine in der Politik sehr seltene Mischung aus Leutseligkeit, Machthärte und Intellektualität. Wie lange hält es so einer noch aus in der zweiten Reihe der Landespolitik? Dass Liminski bisweilen in zu vielen Töpfen rührt, zeigen seine geheimen und mutmaßlich rechtswidrigen „Bewerbungsgespräche“ mit Aspiranten auf das Präsidentenamt beim Oberverwaltungsgericht. Daumen: MITTEL

Marcus Optendrenk (CDU), Finanzen

58. Sitzung des Landtags NRW.
Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU). © picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski/SVEN SIMON

Einer der wenigen Finanzminister vom Fach: Der Volljurist und promovierte Historiker Optendrenk hat vor seiner Politiker-Karriere als Spitzenbeamter im Finanzministerium gearbeitet. Als niederrheinischer Gemütsmensch vermag es der 55-Jährige, der grauen Welt der Zahlen ein wenig Fröhlichkeit einzuhauchen. Umso erstaunlicher seine Probleme bei der Aufstellung eines verfassungsgemäßen Landeshaushalts. Als erster Kassenwart muss er wieder Milliardenschulden machen. Und der Ärger um die Grundsteuer ist ein Thema für sich. Daumen: MITTEL

Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeit, Gesundheit, Soziales

Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).
Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). © dpa | Jan Woitas

Schwergewicht und soziales Gewissen des Kabinetts. Der Münsterländer hat das Kunststück fertiggebracht, eine schmerzhafte Operation wie die Krankenhausreform nicht nur anzugehen, sondern die NRW-Variante gleich zum Vorbild für die Krankenhausplanung in ganz Deutschland zu machen. Er begegnet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mindestens auf Augenhöhe. Mit seinem Einsatz für eine Widerspruchslösung bei der Organspende ist er im besten Sinne Überzeugungstäter. Ein Schatten fällt auf ihn: Ausgerechnet im Sozialen kürzt Schwarz-Grün radikal. Daumen: HOCH

Herbert Reul (CDU), Inneres

Pressekonferenz des Nordrhein-Westfälischen Kabinetts
Innenminister Herbert Reul (CDU). © DPA Images | Christoph Reichwein

Der 72-jährige Kabinettssenior ist das populärste Mitglied der Regierung. Reul hat es geschafft, dass man ihm selbst die schlechte Kriminalitätsentwicklung in NRW nicht übelnimmt. Sein Talent zum Klartext und sein Bemühen, der Polizei immer mehr Personal, Ausstattung und Eingriffsbefugnisse zu verschaffen, haben „Onkel Herbert“ zur Marke gemacht. Nach dem Anschlag von Solingen war er da, als andere abtauchten. Seine Kontakte zu einem Luxus-Schleuser, von dem er Wahlkampf-Spenden annahm, kratzen jedoch an Reuls Image. Daumen: HOCH

Ina Scharrenbach (CDU), Heimat, Kommunales, Bau, Digitalisierung

IKommunal- und Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU).
IKommunal- und Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU). © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Angesichts der Bauflaute, städtischer Geldsorgen und technisch rückständiger Ämter ist es eher Strafe als Genuss, für Kommunales, Bauen und Digitalisierung zuständig zu sein. Die 48-Jährige aus Kamen, die als fleißig und streng gilt, muss kämpfen. Vorm Verfassungsgericht steckte sie eine Schlappe ein, weil sie dem Ausschuss zur Flutkatastrophe Akten verweigerte. Ihr erster Anlauf für eine Altschuldenhilfe war ein Desaster, später wurde noch ein ordentlicher Wurf daraus. Als „Kronprinzessin“ für das Ministerpräsidentenamt ist sie nicht mehr im Gespräch. Daumen: MITTEL.

Dorothee Feller (CDU), Schule und Bildung

Schulministerin Dorothee Feller (CDU).
Schulministerin Dorothee Feller (CDU). © dpa | David Young

Ihr Amt gilt als vergiftet, aber die Ex-Chefin der Bezirksregierung Münster hält, was sich der Ministerpräsident von ihr verspricht: Die 58-Jahrige hat Ruhe in die Schulpolitik gebracht. Sie ist angenehm im Umgang und als Pragmatikerin frei von visionärem Ehrgeiz. Ihr Konzept gegen den Lehrermangel trägt erste Früchte. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Schulen immer noch zu wenig Personal haben. Viele Pädagogen sind sauer auf Feller, weil sie die Teilzeit einschränkt und Lehrer an Schulen abordnet, in denen sie nicht arbeiten möchten. Ein Ausführungsgesetz für den Offenen Ganztag kam auch nicht zustande. Daumen: MITTEL

Ina Brandes (CDU), Wissenschaft und Kultur

Kultur- und Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU).
Kultur- und Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU). © dpa | David Young

Die Infrastrukturmanagerin war im Herbst 2021 eigentlich aus Niedersachsen in die NRW-Landespolitik gewechselt, um sich als Verkehrsministerin auf vertrautem Terrain zu bewegen. Nach der Landtagswahl musste sich die 47-jährige Wüst-Vertraute als Wissenschafts- und Kulturministerin neu erfinden. Tritt öffentlich kaum in Erscheinung, gilt aber als Verteidigerin der Hochschulautonomie und erweist der Spitzenkultur in NRW immer wieder ihre Reverenz. Mit einer umfassenden Gesetzesnovelle will sie Machtmissbrauch im Wissenschaftsbetrieb eindämmen. Daumen: MITTEL

Benjamin Limbach (Grüne), Justiz

Düsseldorf - PK mit Justizminister Dr. Benjamin Limbach
Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Sympathischer Seiteneinsteiger in die Politik. Seine Mutter, die frühere Bundesverfassungsgerichts-Präsidentin Jutta Limbach, und der späte Wechsel von der SPD und den Grünen machten den 55-Jährigen für die Öffentlichkeit vom ersten Tag an interessant. Der Absturz im Amt ist umso bitterer. Die Kungel-Affäre um die Besetzung des OVG-Präsidentenamtes mit einer Duz-Bekanntschaft, die in einer Gerichtsklatsche aus Karlsruhe und einem Untersuchungsausschuss im Landtag endete, haben Limbach unmöglich gemacht. Bleibt trotzdem und darf nun Innenminister Reul beim Law & Order-„Sicherheitspaket“ assistieren. Daumen: RUNTER

Oliver Krischer (Grüne), Umwelt, Naturschutz, Verkehr

Verkehrsministerkonferenz (VMK)
Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne). © DPA Images | Federico Gambarini

Hat mehr politische Erfahrung als die anderen grünen Landesminister zusammen und verzichtet auf Ideologie. Der 55-Jährige knöpft sich mitunter Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor und ermahnt ihn, nicht nur an Autobahnen, sondern auch an die maroden Brücken zu denken. Krischer ist Fan des Deutschlandtickets und warnt vor den Folgen des Klimawandels. Allerdings: Die Staus in NRW sind noch lang, der Nahverkehr eine Katastrophe, der Radwege-Ausbau stockt, und ein Herzensprojekt Krischers – der zweite Nationalpark – steht vor dem Scheitern. Daumen: MITTEL

Josefine Paul (Grüne), Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht, Integration

Familien- und Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne).
Familien- und Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). © dpa | Federico Gambarini

Integration ist ein großes Thema, und viele Kitas stecken weiter tief in der Krise – personell und finanziell. Guten Willens, aber viel zu zögerlich geht Paul diese Probleme an, versteckt sich hinter formelhafter Verwaltungssprache und gerät in die Defensive. Ihr Versuch, von der NRW-Verantwortung für die gescheiterte Abschiebung des Solingen-Attentäters abzulenken, ging schief. Stattdessen werden Kommunikationspannen bekannt, in die sie involviert ist. Städte werfen der 42-Jährigen vor, zu wenige Plätze für Geflüchtete vorzuhalten. Trittsicher ist sie bei ihrem Einsatz für queere Menschen. Daumen: RUNTER

Silke Gorißen (CDU), Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU).
Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU). © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Ihre beiden Vorgängerinnen scheiterten in diesem Amt, daher dürfte die frühere Klever Landrätin nervös gestartet sein. Doch es zahlt sich für Wüst aus, auf die erfahrene Verwaltungsfrau zu setzen. Ihr Ressort ist klein und liegt etwas unterhalb des Radars, aber das schmälert die Leistung nicht: Von Ärger blieb die 52-jährige Bauern-Versteherin weitgehend verschont. Clever ist ihre Rolle im Streit um einen zweiten Nationalpark: Sie torpediert ihn nicht offensiv, singt aber bei Gelegenheit das Lied der Park-Kritiker mit. Landespolitik wird oft aus der Düsseldorfer Großstadt-Perspektive gemacht. Gorißen weiß: NRW ist auch ein Dorf. Daumen: HOCH