Bochum. Shavin trägt schon seit zehn Jahren Kopftuch. Doch in letzter Zeit wird sie dafür immer öfter angefeindet. Welche Erfahrungen sie machen muss.
Im Ruhrgebiet leben Menschen mit Wurzeln aus 170 verschiedenen Nationen. Wie erleben sie die derzeitigen Debatten über Zuwanderung und Abschiebung im Zuge eines Rechtsrucks? Wie wohl und sicher fühlen sie sich in Deutschland? Und sehen sie hier noch eine Zukunft für sich? Das haben wir Betroffene aus dem Ruhrgebiet gefragt. Hier erzählt die 26-jährige Medizin-Studentin Shavin aus Bochum, wie sie als Kopftuchträgerin zunehmend angefeindet wird – und warum sie trotzdem an Deutschland glaubt:
„Feministische Themen haben mich schon immer sehr interessiert. Meine damalige Geschichtslehrerin hat mit uns viel über Frauenrechte gesprochen, ich habe sie sehr gemocht. Als sie mich zum ersten Mal mit Kopftuch gesehen hat, sagte sie: ,Wie kannst du das nur tragen? Du warst immer so eine kluge, junge Frau. Und jetzt willst du Hausfrau werden?‘
Ich war 16 Jahre alt, als ich mich für das Kopftuch entschieden habe. Es hat mir Ruhe und Beständigkeit gegeben, die so im Leben eines Teenagers nicht selbstverständlich sind. Ich habe mich zu der Zeit viel mit dem Islam beschäftigt und mir war es wichtig, meinen Glauben auch offen zu zeigen.
Bochumerin trägt Kopftuch: „Schade, du hast doch so schöne Haare“
Meine Eltern haben meine Entscheidung unterstützt und akzeptiert, so wie sie es eigentlich immer tun. Meine Mutter trägt selbst Kopftuch. Sie hat mir aber auch gesagt, dass ich es gut überdenken solle und mich vor den Konsequenzen gewarnt. Natürlich musste ich mir auch blöde Sprüche anhören, wie: ,Schade, du hast doch so schöne Haare.‘ Eine Person hat gesagt: ,Du kannst mir doch nicht erzählen, dass deine Eltern dich nicht dazu gezwungen haben.‘ Das hat mich damals extrem enttäuscht und wütend gemacht.
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Mittlerweile mache ich solche negativen Erfahrungen leider öfter. Am Anfang meines Medizinstudiums durfte ich in einer Klinik zum Beispiel kein Praktikum machen, weil ich Kopftuch getragen habe. Mittlerweile bin ich in den Endzügen meines Studiums, arbeite nebenbei schon im Krankenhaus. Dort muss ich mir regelmäßig solche Fragen anhören: Ob ich eine vernünftige Ausbildung habe? Ob nicht jemand anderes Zeit hätte? Und ob ich überhaupt Männer behandeln dürfte?
Muslimin aus Bochum: „In der Politik geht es oft nur noch um Feindbilder“
Manche Patienten haben große Vorurteile. Einige wollen mir vorm OP nicht mal Handy, Schlüssel & Co. geben. Ich würde sie ja nur beklauen. Andere machen übergriffige Kommentare wie: ,Du wärst bestimmt so schön ohne Kopftuch‘. Oft höre ich auch, dass sie nichts gegen mich persönlich hätten, ich aber ja auch die Ausnahme wäre.
In der Politik geht es oft nur noch um Feindbilder. Die nutzen nicht nur die AfD für sich, sondern auch die anderen Parteien. Das macht mir große Angst. Und dass ausgerechnet die jungen Menschen das unterstützen, macht mir noch größere Angst. Viele Freunde und Bekannte denken seit Anfang des Jahres nach, ob sie für sich noch eine sichere Zukunft in Deutschland sehen, wie viel Rassismus sie noch ertragen können.
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Meine Antwort darauf lautet: Ich bin hier geboren, aufgewachsen und gehöre genau hierhin. Ich bin Muslima, ich bin Kopftuchträgerin. Und ich bin ein Teil der Gesellschaft, so wie alle anderen auch. Dafür möchte ich kämpfen. Ich möchte nicht die Lösung sein, weil das deutsche Gesundheitssystem so kaputt ist. Ich möchte nicht mehr erklären müssen, warum der eine Messerstecher keinen muslimischen Hintergrund hat, der andere aber schon. Ich möchte, dass Deutschland seine Farbe behält. Ich möchte, dass Deutschland ein offenes Land bleibt. Ich habe noch Hoffnung. Und die gibt mir vor allem der Ruhrpott mit seiner ganzen Vielfalt.“