Dortmund. Dann kehrte sie zurück nach Dortmund. Denn Vorurteile machen an der Grenze nicht Halt. Die 37-jährige Lehrerin weiß jedoch, was hilft.
Doracia spürt den Hass. Allein weil sie eine andere Hautfarbe hat, wird sie immer wieder angefeindet. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater hat seine Wurzeln auf Barbados. Nach ihrer Jugend in Dortmund, den vielen schlechten Erfahrungen, entschied sie sich, auszuwandern. Doch sie kam zurück ins Ruhrgebiet. Die 37-Jährige arbeitet heute als Lehrerin, hilft Schülern und Schülerinnen, Toleranz zu leben. Als Mutter eines fünfjährigen Sohns muss sie doch noch mal ganz neue Wege finden, mit Rassismus umzugehen:
„Ich könnte von etlichen Momenten erzählen, in denen ich Rassismus erlebt habe, während meiner Jugend in der Dortmunder Nordstadt. Einmal hat ein Neonazi sein T-Shirt hochgezogen und mir ein tätowiertes Hakenkreuz auf seiner Brust gezeigt. Dann ist er mit einem anderen Mann hinter mir hergelaufen. Ich habe ,Hilfe, Hilfe!’ geschrien, aber niemand hat mir geholfen. Das war das Schlimmste: Die Menschen haben es gesehen, aber nichts getan!
Ich war schon immer schnell, das war mein Glück. Ich konnte entkommen.
Ein anderes Mal haben mich in der Innenstadt drei Jungs angepöbelt, beleidigt. Da kam ein älterer türkischer Mann und hat sie weggejagt. So etwas wünsche ich mir von den Menschen, auch von denjenigen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind: dass sie nicht weggucken.
Leute aufzuklären, ist der einige richtige Weg gegen Rassismus
Ich erwarte nicht, dass alle zu Demos gehen und Plakate hochhalten. Es sind Kleinigkeiten, die helfen. Man kann widersprechen. Das macht meine Freundin, eine Psychologin, die selbst nie von Vorurteilen betroffen war. Zum Beispiel hat ihre Friseurin mal von einer ,Negergegend‘ gesprochen, und da hat sie ihr erklärt, wie verletzend so etwas ist. Leute aufzuklären, ist der einzige richtige Weg.
An der Uni wurde es besser. Ich habe in Dortmund Sport und Englisch auf Lehramt studiert. In der Zeit habe ich auch viel Basketball gespielt. Der Sport hat mir geholfen, da erfährt man Respekt. Aber ich dachte immer: Ich passe nicht nach Deutschland. Das war ein bedrückendes Gefühl, es war einfach unfair. Ich wurde nie als normales Mitglied der Gesellschaft gesehen. Ich war eher die Quoten-Schwarze, wenn die Leute behaupten wollten: „Ich bin doch nicht rassistisch.‘
„In England habe ich Rassismus noch mal ganz anders erlebt“
Dann bin ich nach Großbritannien gezogen, nach Birmingham. Ich dachte, dort würde ich meine Zugehörigkeit finden. Ich dachte, dort würde es einfacher. Ich bin vor dem Rassismus in Deutschland geflohen. Aber in England habe ich Rassismus noch mal ganz anders erlebt.
Ich gehörte zu keiner Gruppe. Ich bin nicht ganz schwarz, ich habe eine braune Hautfarbe. Ich hatte auch unter den Schwarzen keine Chance, anerkannt zu werden.
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„Sie haben die schwarzen Mitarbeiter wie Kinder behandelt“
Ich habe mein Referendariat in England gemacht und mich gar nicht wohlgefühlt. Sie haben die schwarzen Mitarbeiter wie Kinder behandelt, sie nicht in Entscheidungen eingebunden, ihnen Steine in den Weg gelegt. Das war alles sehr subtil. Da bin ich dankbar für die direkte Art der Deutschen. Da weiß man, woran man ist.
Dann habe ich meinen Sohn bekommen. In England mein Kind großzuziehen? Das erschien mir zu gefährlich, aufgrund der Kriminalität, der gesellschaftlichen Spaltung. Ich bin nach Dortmund zurückgegangen.
Heute arbeite ich als Lehrerin für Englisch und Sport an einer sehr guten Hauptschule. Dort werde ich von der Schulleitung geschätzt.
Kinder sind auch rassistisch, sie merken das selbst oft gar nicht. Aber wenn jemand andere Schüler oder Schülerinnen beleidigt, zum Beispiel mit homophoben Aussagen, dann kann ich ihnen aufgrund meiner Erfahrungen gut vermitteln, wie schlimm solche Aussagen sind. Ich kann da etwas bewirken.
Schulprojekt zur Rassismus-Aufklärung
Wir planen nun ein Projekt zur Rassismus-Aufklärung. Unsere Schule ist multikulturell, aber die Schüler wissen oft nichts voneinander. Und wenn man nichts voneinander weiß, entstehen schnell Vorurteile.
Weil ich diesen Job habe, führe ich ein privilegiertes Leben als Andersfarbige. Die Leute respektieren mich eher, weil ich Lehrerin bin. Das ist mein Schutz. Ich sage das oft, dass ich als Lehrerin arbeite. Dann reagieren die Menschen gleich anders. Zum Beispiel bei der Schuleingangsuntersuchung meines Sohnes. Die Frau war sehr, sehr unfreundlich zu meinem Kind. Das änderte sich komplett, als ich ihr erzählt habe, dass ich auch Pädagogin bin.
Ihr deutscher Nachname hilft ihr bei der Wohnungssuche
Ich habe es auch leichter als andere, weil ich einen deutschen Nachnamen habe. Wenn ich irgendwo anrufe, um mich für eine Wohnung vorzustellen, dann bekomme ich auch den Termin. Zur Wohnungsbesichtigung nehme ich dann meine Mutter mit, nicht meinen Vater.
Ich bin mittlerweile abgestumpft: Wenn die Leute mich beleidigen, trifft mich das nicht mehr. Seitdem ich Mutter bin, wird es für mich wieder schwieriger. Auf dem Trampolin haben sich Kinder über die Hautfarbe meines Sohnes lustig gemacht. Er war traurig und verstand es nicht: ,Warum mögen sie mich nicht?‘
Soll ich meinem Sohn mit fünf Jahren erklären, dass es Menschen gibt, die seine Hautfarbe nicht mögen?
Ich war kürzlich mit ihm im Park. Da war ein Mann, der hat eine Bierflasche nach mir geworfen und mich angespuckt. Da half dann auch mein Job nicht, ich war wieder total hilflos.
Sie will ein Teil dieser Gesellschaft sein
Früher hätte ich mich ja gewehrt, die Polizei eingeschaltet. Aber jetzt mit meinem Sohn habe ich versucht, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Doch ich will mich nicht vertreiben lassen, ich bin ein Teil dieser Gesellschaft.
Dass die AfD stärker wird, macht mir Angst. Die Leute sind unberechenbar. Nicht die jungen Wähler, die wissen oft gar nicht, wo sie ihr Kreuzchen machen. Die muss man aufklären. Sie brauchen Bildung, damit Stereotype gar nicht erst entstehen. Aber die Politiker, die machen mir Angst. Die sind intelligent genug, andere zu manipulieren. Das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun. Es gibt einfach Leute, auch intelligente Leute, die andere aus tiefstem Herzen hassen.
Auswandern ist auch nicht die Lösung
In ein anderes Land auszuwandern, ist auch nicht die Lösung, wie meine Erfahrung gezeigt hat. Es gibt überall solche und solche Menschen, in ganz Europa. Zum Glück ist die Mehrheit gegen diese Anfeindungen.
Rassismus wird es immer geben, in jeder Kultur. Aber solange es Leute gibt, die sich für andere Menschen einsetzen, habe ich Hoffnung.“