Essen. „Ich bleibe für alle immer der Ausländer“, sagt Georg. Der Syrer kämpft täglich gegen Vorurteile. Warum er seine Zukunft trotzdem in NRW sieht.

Im Ruhrgebiet leben Menschen mit Wurzeln aus 170 verschiedenen Nationen. Wie erleben sie die derzeitigen Debatten über Zuwanderung und Abschiebung im Zuge eines Rechtsrucks? Wie wohl und sicher fühlen sie sich in Deutschland? Und sehen sie hier noch eine Zukunft für sich? Darüber haben wir mit Menschen an Rhein und Ruhr gesprochen. Georg Nakzi ist einer von ihnen. Er ist 2015 vor dem Krieg in Syrien hierher geflohen. Hier erzählt der 29-jährige Essener, warum Deutschland für ihn nicht mehr das Land ist, das er einst kennengelernt hat:

„Es macht mir Angst, dass immer mehr Menschen – insbesondere viele junge – die AfD wählen. Die Wahlergebnisse der Europawahl und der verschiedenen Landtagswahlen waren für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mit Anfang 20 bin ich alleine aus Syrien nach Deutschland gekommen. Hier habe ich viel Hilfe erhalten, wofür ich immer noch sehr dankbar bin. Es herrschte eine Willkommenskultur.

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Mein Ziel war es, mir hier eine Zukunft aufzubauen. Erstmal wollte ich studieren, um dann eine gute Arbeit zu finden. Ich hatte die Erwartung, dass ich hier ruhig und in Frieden leben kann. Doch das Klima hat sich geändert. Nach neun Jahren merke ich, dass die Anwesenheit von Geflüchteten wie mir zunehmend zum Problem wird. Es ist nicht mehr das Deutschland, das ich kennengelernt habe.

„Als arabischer Mann kämpft man häufig mit Vorurteilen“

Menschen trauen sich Dinge zu sagen, die sie früher nicht gesagt hätten. Ich habe den Eindruck, dass die Agenda der AfD salonfähig geworden ist. Als arabischer Mann kämpft man ständig gegen Vorurteile. So wird hier im Ruhrgebiet häufig allen Arabern unterstellt, Mitglied eines Clans zu sein. Man wird schief angeschaut, wenn man Bart trägt. Und es wird mit einem gesprochen, als sei man dumm. Die Probleme des Landes werden auf uns Migrantinnen und Migranten abgewälzt. Das macht mich wütend.

Allerdings hatte ich immer den Eindruck, dass gerade die jungen Menschen tolerant und weltoffen sind. Aber die Wahlergebnisse zeigen etwas anderes. Damit hätte ich niemals gerechnet. Das Gefühl, niemanden mehr so richtig einschätzen zu können, macht mir Angst. Ich frage mich zum Beispiel, ob unter meinen Kommilitonen, mit denen ich im Hörsaal sitze, nicht ebenfalls AfD-Wähler seien könnten.

Viele Migranten überlegen, wieder auszuwandern

Deshalb habe ich mich mit der Zeit zurückgezogen, stehe wenig im Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft. Wahrscheinlich ist das ein Schutzmechanismus. Denn gefühlt ist es egal, wie sehr ich mich integriere: Ich bleibe immer der Ausländer.

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Es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet, hier anzukommen und die Sprache zu lernen. In Deutschland zu leben war mein Traum. Und der von vielen anderen, die ich kenne. Doch immer mehr von ihnen überlegen, auszuwandern. Einige haben hier ihr Studium abgeschlossen und sind bereits ausgewandert. Das möchte ich eigentlich nicht. Ich möchte hier nach vorne schauen. Am liebsten würde ich nach meinem Studium in der Integrationshilfe arbeiten – und Brücken zwischen den Menschen bauen.“

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