Düssedorf. In NRW konkurrieren zunehmend „alte“ mit „neuen“ Clans, warnt ein Forscher. Mit Folgen für die innere Sicherheit im Land.
Die Tumulte im Sommer 2023 zwischen türkisch-arabisch-stämmigen Clans und Männern aus dem syrischen Milieu in Essen und Castrop-Rauxel könnten nur ein Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen verfeindeter Gruppen gewesen sein. Der Politologe Dr. Mahmoud Jaraba (Universität Erlangen-Nürnberg), der schon seit 2015 zu Clankriminalität forscht, warnt in einer Stellungnahme für den Innenausschuss des Landtages vor möglichen neuen Problemen mit einem kleinen Teil von zugewanderten Syrern. Offenbar blühen ernst zu nehmende Rivalitäten auf zwischen Clan-Mitgliedern, die schon lange an Rhein und Ruhr leben und solchen, die erst vor Kurzem nach NRW gekommen sind.
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Bei den Spannungen zwischen Clans geht es nicht immer um Kriminalität
„Die Auseinandersetzungen im Sommer 2023 in Castrop-Rauxel und Essen verdeutlichen, dass solche Spannungen auch zukünftig häufiger auftreten könnten“, schreibt der Forscher. Die Konflikte zwischen „alten Clans“ libanesischer Herkunft und „neuen Clans“ syrischer Herkunft seien allerdings nicht ausschließlich auf kriminelle Aktivitäten zurückzuführen.
Viele dieser Spannungen hätten Wurzeln in langen politischen und ethnischen Konflikten im Nahen Osten, speziell in Syrien und im Libanon. Zum Teil stecke auch „soziale Konkurrenz“ unter jungen Menschen aus benachteiligten Vierteln in NRW dahinter. Schließlich seien auch legale Wirtschaftszweige wie Shisha-Bars und Gastronomiebetriebe zunehmend umkämpft. „Die wirtschaftliche Konkurrenz führt zu Spannungen, die oft nichts mit Kriminalität zu tun haben, sondern den Wettbewerb um lukrative Märkte widerspiegeln“, erklärt Jaraba.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warnt vor einer „Pulverfass-Mentalität“
In Essen und im Kreis Recklinghausen waren 2023 Dutzende Männer aus verfeindeten Gruppen aufeinander losgegangen. Baseballschläger, Messer, Macheten und Schlagstöcke wurden benutzt, es gab mehrere, zum Teil schwer Verletzte. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach damals von einer „Pulverfass-Mentalität“. Essener Polizisten und Experten des Landeskriminalamtes (LKA) beschäftigen sich mit den Hintergründen dieser Gewaltausbrüche. Anfang November soll ein neues Lagebild zur Clan-Kriminalität in NRW veröffentlicht werden, allerdings noch ohne konkreten Bezug zu Syrern. Dieses Milieu werde erst später in einem Lagebild zur Organisierten Kriminalität berücksichtigt, hieß es am Montag in Sicherheitskreisen.
Minister Herbert Reul widmet sich schon seit 2017 dem Kampf gegen Clan-Kriminelle. „Wir stehen ihnen jeden Tag auf den Füßen und lassen nicht nach“, sagte er im vergangenen Jahr anlässlich einer Bilanz. Laut dem NRW-Innenministerium wurden im Jahr 2023 insgesamt 383 Razzien gegen Clankriminelle durchgeführt, mehr als 1000 Objekte seien durchsucht worden. in dem Kontext Clankriminalität schrieb die Polizei 577 Strafanzeigen und 567 Ordnungswidrigkeitsanzeigen. In 88 Fällen gab es Festnahmen.
Glaubt man den Ausführungen von Mahmoud Jaraba, dann sind die Sicherheitskräfte in NRW gut beraten, den Blick verstärkt auf ein nicht besonders großes, aber durchaus gefährliches Milieu syrischer Zugewanderter zu richten. In einigen syrischen Gemeinschaften aus bestimmten Regionen und Städten in Syrien gebe es eine zunehmende Tendenz, sich in Clans (Aschira) und Stämmen (Qabila) zu organisieren. Diese Strukturen seien keineswegs repräsentativ für die gesamte syrische Gemeinschaft in Deutschland, betont Jaraba. Im Gegenteil: Viele Geflüchtete aus Syrien distanzierten sich ausdrücklich von solchen Gruppen.
Clans könnten ihre Netzwerke ausbauen -- Dann drohe „erhebliche Gefahr“
Risiken gebe es gleichwohl: Mindestens ein syrischer Clan in Deutschland sei nachweislich in Drogen- und Menschenhandel sowie in internationale Geldüberweisungen (das so genannte Hawala-System) verwickelt. „Es ist wahrscheinlich, dass weitere Familien aus diesen Strukturen in den kommenden Jahren ähnliche Wege einschlagen könnten“, so der Politologe. Das größte Problem bestehe darin, dass sie ihre kriminellen Netzwerke innerhalb der breiteren syrischen Gemeinschaft ausbauten. „Sollten diese Strukturen ihre Verbindungen in andere Teile der syrischen Diaspora verstärken, könnte dies die innere Sicherheit in NRW erheblich gefährden“, so Jaraba.
Der Forscher aus Erlangen warnt gleichzeitig eindringlich vor einer Stigmatisierung von syrischen Zugewanderten und von einzelnen Clan-Mitgliedern. Hintergrund seiner Stellungnahme für eine Expertenanhörung des Innenausschusses Ende Oktober ist ein Antrag der AfD-Landtagsfraktion, in dem unter anderem gefordert wird, Clans zur Organisierten Kriminalität zu zählen, um den Verfassungsschutz zur Bekämpfung dieser Gruppen einsetzen zu können. Dazu werden noch weitere Stellungnahmen erwartet.
Viele dieser Familien distanzierten sich klar von Kriminalität, erklärt der Experte
Mahmoud Jaraba kritisiert den Vorstoß der AfD scharf. Er könne zu „gravierenden Fehleinschätzungen“ führen, schreibt er. „Ein zentrales Missverständnis in der öffentlichen Debatte ist die Annahme, dass jede kriminelle Aktivität, die von einem Mitglied eines sogenannten ,Clans begangen wird, automatisch der gesamten Familie oder dem gesamten ,Clan‘ zugeschrieben werden kann. Diese Pauschalisierung führt nicht nur zu einer Stigmatisierung ganzer Familien und Gemeinschaften, sondern hat weitreichende soziale und wirtschaftliche Konsequenzen“, so der Forscher.
Die Mehrheit der Mitglieder solcher Familienverbünde distanziere sich ausdrücklich von Kriminalität, gerate aber ständig unter Generalverdacht. Diese systematische Ausgrenzung führe dazu, dass vielen betroffenen Jugendlichen trotz guter Qualifikationen Lebenschancen in NRW verwehr blieben. Oftmals handele es sich bei den Kriminellen um Einzeltäter, die ohne Familienunterstützung handelten.
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