Hamburg. Serie Kultläden, Teil 15: Sie haben ein spezielles Angebot, eine besondere Atmosphäre. Heute: Fische Giesler
Thomas Giesler steht hinter dem Verkaufstresen, hält ein Messer in der Hand und schneidet einen Lachs auf. Ein Kunde kommt herein. Der Inhaber von Fische Giesler in Barmbek kennt ihn mit Namen, begrüßt ihn und erinnert sich an dessen letzte Bestellung: „Waren die Austern okay?“ Ja, waren sie. Der Käufer ist zufrieden. Der Herr komme fast jeden Tag, sagt Giesler: „Wir haben zu 80 Prozent Stammkunden.“ Dazu gehören für ihn Kunden, die mindestens einmal in der Woche das Spezialgeschäft in Barmbek besuchen. Im Schaufenster liegt die Räucherware. Die linke Hälfte des Verkaufstresens gehört dem frischen Fisch, rund 20 Sorten sind jeden Tag erhältlich. Direkt am Eingang stehen rund 40 Salate. „Wir machen alle selbst“, sagt Thomas Giesler.
Der 51-Jährige ist Frühaufsteher. Morgens um 4 Uhr klingelt bei ihm zu Hause in Poppenbüttel der Wecker. Kurz darauf setzt er sich in seinen Sprinter mit Kühlanlage und fährt zum Fischmarkt an der Großen Elbstraße. Den Einkauf für den Tag erledigen. Er schaut, was der Markt hergibt. Schollen, Rotbarsch, Hering, Dorade, Wolfsbarsch, Kabeljau und Lachs gehören zu den Klassikern, die er täglich im Angebot hat. Andere Fische wie Seeteufel, Seezunge und Steinbutt nimmt er mit, wenn ihn der äußere Eindruck überzeugt. Die Ware einfach bestellen und liefern lassen, wie es Kollegen machen, ist für ihn keine Option. „Ich kaufe nur ganze Fische. Da sieht man die Qualität, die Frische der Fische besser – und ich habe ein besseres Gefühl“, sagt Thomas Giesler.
Die Firmengeschichte fängt in St. Georg an
Es ist die Abwandlung eines Familienleitsatzes. „Du musst den Fisch kaufen, wenn er gut ist“, sagt sein Vater Hans-Wilhelm Giesler und erinnert sich an das Motto, das er zu Beginn seiner Lehrzeit 1957 mit auf den Weg bekam. Bei der Familie dreht sich seit Generationen alles um die schwimmenden Wassertiere. Exakt seit 100 Jahren gibt es in Hamburg Fische Giesler. „Wir haben keine Knochen, sondern Gräten“, sagt der 77-Jährige mit trockenem Humor. Denn auch sein zweiter Sohn Frank (53) ist in der Branche tätig, arbeitet für den Schwiegervater bei Fisch Böttcher am Mühlenkamp.
Angefangen hat 1919 alles in St. Georg. Hans-Wilhelm Gieslers Großvater Wilhelm eröffnete nahe der Langen Reihe seinen Fischladen. Als Wilhelm starb und sein Sohn Henry – der Vater von Hans-Wilhelm – im Zweiten Weltkrieg in Stalingrad verschollen ging, war das Kapitel beendet. Die Familienehre hielt Wilhelms Witwe Dora hoch: Sie betrieb in der Markthalle am Klosterwall einen Fischstand. Auch Hans-Wilhelm Gieslers Großeltern mütterlicherseits waren in dem Metier unterwegs. Sie gründeten 1933 am Efeuweg in Winterhude ihr Fischgeschäft, das Hans-Wilhelm 1965 übernahm. Seine Frau Karin, deren Eltern einen Fischgroßhandel und eine -räucherei betrieben, half kräftig mit. „Wir sind durch und durch verfischt“, sagt Hans-Wilhelm Giesler.
Vor 15 Jahren übernahm der Sohn
Weil er in seinem Laden mehr Laufkundschaft haben wollte, baute er 1970 an der stärker von Kunden frequentierten Alsterdorfer Straße neu. Damals gab es in der Nähe des Winterhuder Marktes kaum Mittagstische. Er erkannte die Lücke: „Ich hatte warmen Bratfisch außer Haus – das schlug ein wie eine Granate“, sagt Hans-Wilhelm Giesler.
Nach zwölf Jahren suchte er trotzdem noch mal nach einer Veränderung. Als er hörte, dass ein Kollege sein Geschäft in der Fuhlsbüttler Straße abgeben will, zögerte er nicht lange und griff zu. Seit 1982 gehört Fische Giesler nun zu Barmbek-Nord. Vor 15 Jahren – ein Jahr vor dem Tod seiner Mutter Karin – übernahm Thomas Giesler das Geschäft, die vierte Generation der Familie.
Verkaufsschlager ist der Nordseekrabbensalat
Um 6.30 Uhr kommt der gelernte Fischeinzelhändler – natürlich ausgebildet von seinem Vater – an der Fuhlsbüttler Straße an. Die Ware wird abgeladen und in die Kühlung einsortiert. Dann filetiert er die Fische. „Wir schneiden alles selbst“, sagt Thomas Giesler. Mit seinen fünf Beschäftigten wird im Keller des Geschäfts fleißig gewerkelt. Viel Arbeit machen vor allem die Salate – die bis auf den Algensalat, der in der Küche nur noch verfeinert wird – alle selbst hergestellt werden. Selbst die Mayonnaise ist made by Gieslers Team, Kartoffeln für den Kartoffelsalat werden gekocht und geschält. „Das ist eine Menge Arbeit, die von den Kunden aber honoriert wird“, sagt Giesler. Mit dem Öffnen der Ladentüren um 8 Uhr kommen die ersten, die Auslage muss gefüllt sein. Der Verkaufsschlager ist traditionell der Nordseekrabbensalat, 250 Gramm kosten derzeit acht Euro. Generell könnten die Preise in der Branche schnell ausschlagen, eine Verteuerung um 100 Prozent innerhalb weniger Tage sei möglich. Warum? „Bei kabbeliger See kommt keine frische Ware ran“, sagt Hans-Wilhelm Giesler. Das geringe Angebot treibt dann die Preise.
Hektisch wird es in dem kleinen Geschäft in den Mittagsstunden. Ob gebratene Heringe und Schollen, Fischfrikadellen aus eigener Herstellung und auf Wunsch Seezunge oder Lachs. „An guten Tagen verkaufen wir bis zu 100 Portionen“, sagt Giesler. „Das Mittagsgeschäft wird immer mehr.“ Erst kommen die Leute aus den Büros, später ältere Mitbürger. Früher sei Fisch ein Arme-Leute-Essen gewesen. Heute gelte er als gesund und als Luxusprodukt, die Leute hätten verstanden, dass er etwas Tolles ist. Insbesondere zum Wochenende kaufen sie ein. „Freitags ist immer noch Fischtag. Da machen wir 50 Prozent mehr Umsatz“, sagt Thomas Giesler. Der Sonnabend sei – trotz der kürzeren Öffnungszeiten – der zweitstärkste Tag.
Bauarbeiten vor der Ladentür sorgen für Einbußen
Unter der Woche nutzen die Berufstätigen ab 16 Uhr den Feierabend, um auf dem Weg nach Hause noch schnell etwas Fisch einzukaufen – allerdings haben sie es schwer, ihr Auto abzustellen. Seit einigen Jahren werde vor dem Laden gebaut. Die Hälfte der Parkplätze sei weggefallen, sagt Thomas Giesler und ärgert sich. Vor allem in den ersten Monaten seien die Einbußen kräftig gewesen. Mittlerweile gehe es allerdings wieder in Richtung des alten Niveaus. Generell gilt die Lage in der Branche als schwierig. Discounter und Supermärkte nehmen den Fachhändlern Marktanteile weg. Das macht sich in Geschäftsschließungen bemerkbar. 1960 soll es noch Hunderte Fischläden in Hamburg gegeben haben. 2000 waren es laut Statistischem Landesamt 90, im Jahr 2017 nur noch 38.
„Es ist schwieriger geworden, aber die Arbeit lohnt sich trotzdem“, sagt Thomas Giesler. Die Höhe des Umsatzes nennt er nicht, sein Vater Hans-Wilhelm sagt nur: „An guten Tagen verkaufen wir schon ein paar Zentner Fisch. Es ist aber ein harter Job.“ Nach rund 15 Stunden endet der Arbeitstag für Thomas Giesler, der keine Kinder hat, um 19.30 Uhr. Trotzdem kann er sich keinen anderen Beruf vorstellen. Morgens der Einkauf mit den Kollegen auf dem Fischmarkt, das Zubereiten der Produkte, der Kontakt mit den und die Anerkennung von den Kunden – das mache ihm alles viel Spaß, sagt Thomas Giesler, der noch lange arbeiten will: „Ich habe einfach Bock auf das Produkt Fisch.“