Hamburg. Kultläden haben eine besondere Atmosphäre. Wir stellen die Inhaber und ihre Konzepte vor. Heute: Kadir Taylan macht vieles selbst.
Der Geruch von Sägespänen und Holz liegt in der Luft. Auf einer Werkbank in der Ecke des Ladens stapeln sich Holzbretter, daneben liegt eine Handsäge. Kadir Taylan (52) klopft sich den Staub von der roten Schürze, die er über Jeans und Hemd trägt. In seiner Tasche steckt ein Zollstock, er hat gerade an einem neuem Spielzeug gearbeitet. Aus Holz. Plastik gibt es bei ihm im Geschäft nicht. Zu schädlich, zu belastet, findet er. „Im Holz stecken keine Weichmacher“, sagt er.
Nur die alte Stereoanlage, die er mal vom Recyclinghof mitgenommen hat und aus der Musik dudelt, ist aus Plastik. Auf einer kleinen schwarzen Schiefertafel, die neben ein paar Holzautos steht, ist zu lesen: „Wir waren eine Europalette.“ Auf einer anderen Schreibtafel steht: „Ich war eine Tischplatte.“
Kadir Taylan ist stolz darauf. Stolz, dass er 30 bis 40 Prozent seines Sortiments selbst herstellt. Stolz, dass er dafür so viel Holz wie möglich recycelt. Er fertigt Holztiere aus alten Schranktüren, Beißringe aus Stühlen, eine Lokomotive aus einem Bett. Die Möbel holt er vom Recyclinghof oder bekommt sie von Kunden geschenkt. „Jedes Stück ist ein Unikat, das individuell für den Kunden gefertigt wird“, sagt Taylan. Besonders stolz ist er auf sein „Herz für Kinder“.
Kadir Taylan war Goldschmied
So hat er sein Lieblingsstück genannt, das er selbst kreiert hat – ein multifunktionales Hilfs- und Spielmittel, das als Krabbelhilfe, Lauflernwagen, Schaukel und kleiner Maltisch genutzt werden kann. Das Besondere, so Taylan: „Bei dem Bau berücksichtige ich die Körpergröße sowie die Arm- und Beinlänge der Kinder. Dadurch entsteht ein optimales Spielzeug.“ Er baut fast nie ein Spielzeug zweimal. Mal ist die Eisenbahn ein paar Zentimeter größer, mal kleiner. Mal hat das Puppenhaus zwei Zimmer übereinander, mal drei.
Wenn Taylan etwas baut, dann nach seiner eigenen Vorstellung. Niemals nach fremden Vorgaben. Und niemals nach Plan, nach Anleitung. „Die einzige Anleitung, die es gibt, ist bei mir im Kopf“, sagt er stolz und tippt sich gegen die Stirn. Taylan kommt aus der Türkei, ist eigentlich Goldschmied. Der Liebe wegen kam er 2000 nach Hamburg, wo er am Eppendorfer Weg ein Schmuckgeschäft eröffnete und betrieb.
Bis seine Kinder geboren wurden. Allen Konventionen zum Trotz blieb er bei den Kindern, während seine Frau arbeiten ging. „Für alle anderen war das undenkbar, dass ich als Mann – und dann auch noch als Türke – die Kinder großziehe“, erinnert sich Taylan an die Empörung der anderen. Doch es hat ihn nicht gestört. Ihm ist egal, was andere über ihn denken. „Ich lebe mein Leben – und nicht das der anderen“, sagt er.
Auf die Kunden zugehen
Wann die Sache mit dem Holzspielzeug ihren Anfang nahm, kann er heute selbst kaum noch sagen. Vielleicht schon vor der Geburt seiner eigenen Kinder, als er viel auf Reisen war und in anderen Ländern erlebte, mit welchen einfachen Mitteln die Kinder dort spielten. Oder vielleicht auch später, als er anfing für seine Jungs aus einem Stück Stock ein Schwert zu schnitzen und aus einem Holzklotz ein Auto zu bauen. Oder als er für seinen Schrebergarten ein Spielschiff konzipierte und baute. Oder als ihn immer mehr Eltern fragten, wo er denn die Spielsachen seiner Kinder gekauft habe.
Wer heute vor dem Geschäft am Heußweg steht, zwischen Regalen mit Holzbuchstaben und Nachziehtieren, Kreiseln und Puzzeln, kann sich kaum vorstellen, dass der 32 Quadratmeter große Ladenraum einst das Wohnzimmer der Taylans gewesen ist. War es aber! Bis der Familienvater den Raum vom Rest der Wohnung abtrennte und daraus ein Geschäft mit Werkecke machte. Die Einrichtung trug er nach und nach vom Recyclinghof zusammen. Der Schreibtisch, die Regale, die Lampen. Selbst einen Eimer mit orangener Farbe und einen voll funktionsfähigen Computer konnte er dort ergattern.
Von Anfang an war für ihn klar, dass er nicht nur im Laden stehen und auf Kunden warten will – sondern auf die Kunden zugehen möchte. Da das in einer Gegend mit geringer Laufkundschaft eher schwierig ist, entschied sich der Spielzeugmacher dafür, seine kleinen Meisterwerke auch auf Wochenmärkten zu verkaufen. Daher steht er mit seinem Stand dienstags und freitags auf dem Isemarkt (8 bis 14 Uhr), außerdem sonntags auf dem Fischmarkt (4 bis 10 Uhr). Dort verkauft er mehr als im Laden – nicht nur an Hamburger, sondern an Menschen weltweit.
Interessenten aus Kanada und Kapstadt
„Ich hatte schon Kunden aus Kanada und Kapstadt, Japan und China, Dänemark und Österreich“, zählt Taylan an den Fingern auf. Immer wieder schicken ihm Kunden Fotos von ihren Kindern mit seinem Spielzeug. „Am meisten freue ich mich darüber, wenn Kinder jahrelang mit einer Sache spielen“, so der Spielzeugmacher. Irgendwann, so hat er es sich vorgenommen, will er 100 Prozent seines Sortiments selbst bauen. Im Moment kauft er 60 bis 70 Prozent der Sachen persönlich ein – von einer deutschen Manufaktur.
Den Namen will er lieber nicht nennen. „Sonst rennen die Leute gleich zu ihrem Computer und bestellen die Sachen im Internet“, sagt er und winkt ab. Schlimme Sache sei das mit dem Internet. Macht das Geschäft kaputt. „Die Leute kommen in den Laden, lassen sich beraten und kaufen dann online, weil es dort billiger ist.“
Er hat keinen Internetshop, noch nicht mal eine Website. Auch keine E-Mail-Adresse. Nur eine Facebookseite. Und ein Telefon. Er findet, das reicht.
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