Hamburg. Im ersten Teil der neuen Abendblatt-Serie stellen wir Süshi-Express in Dulsberg vor – bodenständig und besonders.
Der Schaukasten an der Hauswand erinnert ein bisschen an die Speisekarte eines Restaurants. „Süshi Express“ steht in geschwungenen Buchstaben auf blauem Hintergrund. Sushi mit ü. Es ist kein Schreibfehler. Auch wenn Kunden das immer mal wieder glauben und im Laden von Michael Bühl Sushi bestellen wollen – und stattdessen Lakritz angeboten bekommen. Denn der Süshi-Express ist ein Lakritz-Geschäft.
Obwohl „Geschäft“ vielleicht nicht das richtige Wort ist. Weil es zu klein, zu gewöhnlich für das ist, was den Kunden bei dem 62-Jährigen erwartet: rund 800 verschiedene Produkte aus dem Wurzelextrakt des Echten Süßholzes – von Lakritz-Zahnpasta über essbare Strohhalme, Tee, Marmelade und Pralinen bis hin zu hunderten von Lakritz-Sorten. Taler und Schnecken, Bonbons, Lollis und Stangen. Harte und weiche, salzige und scharfe, zuckerfreie und vegane. Aus Dänemark, Schweden, Holland, Finnland, Italien, Belgien, Island und Großbritannien.
Er hat die größte Auswahl – behaupten seine Lieferanten
Von seinen Lieferanten hört Michael Bühl manchmal, dass er die größte Auswahl in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa hat. Er selbst würde das nicht behaupten. Er hat es nicht so mit Superlativen. Im Gegenteil: „Wir waren weder das erste Lakritz-Geschäft in Deutschland noch sind wir das Exklusivste. Wir haben weder teure Premium-Lakritz noch stylische Verpackungen“, sagt Bühl und deutet auf die einfachen durchsichtigen Zellglasbeutel, in denen er seine Waren verkauft.
„Aber...“ Er will noch mehr sagen, wird aber unterbrochen. Ein Kunde kommt in den Laden, sucht extra scharfen Lakritz. Bühl fragt nach: „Mit Chili? Oder lieber Pfeffer? Salzig? Hart oder weich?“ Als der Kunde mit einer Tüte salziger Chili-Lakritz den Laden verlässt, grinst Bühl. „Die Leute komme nicht, weil wir schick und angesagt sind, sondern weil sie Lakritz lieben, etwas Besonderes suchen. Und das finden sie bei uns.“ Andere würden sagen, dass sie Lakritz lieben, oder dafür leben. Bühl geht das nicht weit genug: „Wir sind Lakritz!“
Lakritzvariationen von Süshi-Express
Mit „Wir! meint er seine Frau Ana und sich. Vor 17 Jahren haben sie einen heruntergekommenen Kiosk in Dulsberg für 15.000 Euro Ablösesumme übernommen und ihn zu einem Lakritz Depot umfunktioniert. „Ich konnte es einfach nicht ertragen, vorwiegend Schnaps und Zigaretten zu verkaufen“, sagt Bühl und deutet auf den hinteren Teil des Ladens. Da stand früher das Regal mit Schnaps. Heute stapeln sich hier Boxen mit Lakritzen bis unter die Decke.
Aus einem heruntergekommenen Kiosk wurde ein Lakritz-Kultladen
Dabei wollte Bühl ursprünglich aus dem Kiosk an der Straßburger Straße gar kein Lakritz-Imperium machen, sondern einen Süßigkeitenladen. Mit ausgefallenen Naschereien für Erwachsene. Ungewöhnlich und ganz anders, als die damals bekannten Confiserie-Läden. „Daher auch der Name“, sagt Bühl und erzählt, wie er Süshi aus den Worten „Süßigkeit“ und „Naschen“ kreiert habe.
Dass sich heute in dem nur etwa 15 Quadratmeter großen Laden alles um die pechschwarze Süßigkeit dreht, liegt an einem Kunden, der Bühl vor vielen Jahren darum bat, für ihn „ein paar gute Lakritz“ aufzutreiben. Er schrieb Großhändler und Hersteller an und fuhr sogar persönlich zu einer Firma in Holland. „Da hab ich mich benommen wie ein Kind im Schlaraffenland“, erinnert sich Bühl und erzählt, wie er mit großen Augen zwischen den Regalen umhergelaufen und von jeder Sorte etwas bestellt habe.
Insgesamt zwei Europaletten voll. Mehr als 1200 Kilo. 2004 war das, ein Jahr später hat Bühl komplett auf Lakritz umgestellt. „Wenn ich was mache, dann richtig.“ War schon immer so. Während des BWL-Studiums, während des ersten Jobs beim Pharmaunternehmen Strathmann in Hamburg und während seiner Reisen. Einfach nur Urlaub machen wie andere? Nichts für Bühl. Wenn Reisen – dann richtig. Immer wieder in seinem Leben ist er ausgestiegen, hat Monate im Ausland verbracht, jahrelang in der Dominikanischen Republik gelebt. Dort hat er seine Frau kennengelernt, geheiratet, ist Vater geworden. Er hat eine Hühnerfarm eröffnet, dann ein Restaurant, einen Jeansladen, ein Geschäft mit Babyartikeln. Wenn – dann richtig.
Er stellt Pralinen und Schnaps her – natürlich mit Lakritz
Dieses Motto treibt ihn bis heute. Einfach nur Lakritz verkaufen? Ha! Das ist nichts für ihn. „Warum alles einkaufen, wenn man es auch selbst machen kann?“, sagt Bühl. Es ist keine Frage, sondern ein Statement. Er stellt Marmelade und Schnaps mit Lakritz her, macht Schokolade und Pralinen. Alles nach eigener Rezeptur – auch wenn Bühl kein einziges Rezept besitzt. „Ich will nichts Reproduzieren, sondern jedes Mal etwas Neues entwickeln“, so Bühl. Rund 800 verschiedene Lakritz-Pralinen hat er so konzipiert. Eine wie Keine.
Doch egal, ob er Lakritz-Toffee-Herzen, Marshmallows oder Lakritz-Müsli-Riegel kreiert – bei ihm steht immer der Geschmack der Süßholzwurzel im Vordergrund. Er weiß, dass das ein Risiko ist, schließlich mögen nicht alle den bittersüßlichen Geschmack. Laut Statistik konsumieren in Deutschland nur rund 1,68 Millionen Menschen ab 14 Jahren mehrmals in der Woche Lakritz. Schätzungen zufolge werden hierzulande etwa 200 Gramm pro Person und Jahr verspeist.
Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es etwa zwei Kilo! Das ist weltweit der höchste Konsum. Experten reden daher auch von einem Lakritz-Äquator, der irgendwo zwischen Thüringen, Hessen und Nordrhein-Westfalen verläuft. Während es in Norddeutschland, Skandinavien und den Benelux-Ländern besonders viele Lakritz-Liebhaber gibt, sind diese im Süden in der Minderheit. Wer dort lebt und an Nachschub kommen will, hat es oft schwer, weiß Bühl. Rund 50 Prozent seines Umsatzes macht er über das Online-Geschäft. Seine Kunden kommen aus Europa, Brasilien, Manila oder Südafrika.
Doch auch wenn Michael Bühl noch so bemüht ist – es gibt immer wieder Kunden, die er nicht von seinen Lakritz-Kreationen überzeugen kann. Dazu gehört auch ausgerechnet seine Frau.
Süshi-Express Lakritz Depot, Straßburger Straße 83, 22049 Hamburg, Öffnungszeiten Mo.-Fr. 8 Uhr bis 13 Uhr und 14.30 Uhr bis 18 Uhr, Sbd. 10 Uhr bis 14 Uhr.