Hamburg. Seit 1890 verkauft Leder Israel in Eimsbüttel Reisegepäck, Taschen und Schulranzen. Angefangen hat es mit Pferdegeschirr.
Es ist so eine Sache mit der Auswahl. Natürlich ist es schön, wenn sie groß ist. Aber so groß? Gerade läuft wieder ein Kunde durch den Laden und lässt den Blick über Koffer, Taschen, Aktenkoffer, Rucksäcke, Schulranzen schweifen. Er sieht ein bisschen überfordert aus. Nur mal ein bisschen umgucken? Bei Leder Israel ist das eine echte Herausforderung. „Kann ich Ihnen helfen“, fragt Marcus Thiemann und geht auf den Mann zu. Erst kommt ein dankbarer Blick, dann ein Satz wie ein Hilferuf: „Ich suche einen Koffer.“ Was denn sonst, möchte man antworten und dabei die Augen verdrehen. Marcus Thiemann lächelt noch ein bisschen freundlicher. „Für was brauchen Sie den Koffer?“, fragt er. Jetzt hat er ihn. In Sekunden sind die beiden in einem Gespräch übers Reisen an sich und Reisegepäck im Besonderen. „Den einen richtigen Koffer gibt es nicht“, wird der Ladeninhaber später sagen. „Es geht darum, den passenden für den Kunden zu finden.“
Leder Israel ist das älteste Lederwarengeschäft Hamburgs. Vor 129 Jahren hatte Thiemanns Urgroßvater Nicolaus Israel sein Gewerbe als Sattlermeister und Feintäschner in Eimsbüttel angemeldet und zunächst vor allem Pferdegeschirr verkauft, das er im Hof nähte. Wichtigster Kunde war die Eimsbüttler Post. Heute gibt es auf mehr als 300 Quadratmetern über drei Gebäude verteilt mehrere Tausend Artikel. Gerade ist noch eine weitere Verkaufsfläche im ersten Stock dazugekommen. Allein was in den 20 Schaufenstern steht, füllt anderswo einen ganzen Laden. Wie viele Produkte sind es insgesamt?
Torsten-Salomon Lefin zuckt die Schultern. Vor zehn Jahren ist der 53-Jährige, der eine Immobilienfirma und ein Gebäudereinigungsunternehmen betreibt, als zweiter Geschäftsführer in den Traditionsbetrieb eingestiegen und seitdem fürs Finanzielle zuständig. Auf 800.000 Euro schätzt er den Warenwert im Laden. Und dasselbe noch mal im Lager im Keller. Ganz schön viel. Und deshalb gibt es jetzt Gucci. Die Dobermann-Dame mit dem dicken goldfarbigen Halsband ist der Firmen-Hund und soll den Laden vor allem in den Abendstunden vor Dieben schützen. Im Moment liegt sie ihren Herrchen sehr zufrieden zu Füßen.
Schwierigkeiten während der Nazi-Zeit
Leder Israel ist seit der Gründung ein Familienbetrieb. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten ging es immer bergauf. Marcus Thiemann schüttelt den Kopf und wird plötzlich wortkarg. Kein gutes Thema. Plötzlich mussten die Israels, die aus dem Rheinland nach Hamburg übersiedelt waren, nachweisen, dass sie trotz des jüdisch klingenden Namens Protestanten waren.
Wie sie das machten, soll eine Familienangelegenheit bleiben. Bis zum Zweiten Weltkrieg konnten die Israels ihr Geschäft weiterbetreiben, dann kam wegen Materialmangels die Zwangsschließung. Die Tochter des Gründers, Clara, die einen Herrn Thiemann geheiratet hatte, eröffnet das Geschäft 1949 wieder. Später übernahm es deren Sohn – und Marcus Thiemanns Vater – Uwe.
Marcus Thiemann verkaufte als Schüler ersten Koffer
In den 1970er-Jahren trieb er den Umzug in ein Nachbargebäude und den Neubau des heutigen Flachdachbaus im Zuge des Baus des Ring 2 voran und verpasste Leder Israel das labyrinthartige Aussehen.
Auch der heutige Inhaber ist quasi im Laden groß geworden. Schon als Schüler verkaufte Marcus Thiemann die ersten Koffer. „Es war immer klar, dass ich ins Geschäft einsteige.“ Einen kurzen Schlenker erlaubte er sich noch. Thiemann schrieb sich an der Hamburger Universität für Geschichte ein und studierte parallel zu seiner Verkaufstätigkeit. 2002 übernahm er den Laden.
Der 52-Jährige ist der Kofferspezialist im zehnköpfigen Team. Im hinteren Ladenbereich hat er einen Schrankkoffer aus den 1920er-Jahren gestellt, mit Bügeln, Krawattenfach und Schuhboxen. „Früher“, sagt er, „war ein Koffer vor allem ein Transportgegenstand. Heute ist es auch ein modisches Accessoire.“ Und muss immer mehr Anforderungen erfüllen. Der Kunde mit dem überforderten Blick zum Beispiel sucht einen Koffer, der im Flugzeug als Handgepäck durchgeht und Kleidung für zehn Tage fasst. „Da hat sich sehr viel geändert“, sagt Thiemann. Vierer-Rollen, Laptopfach, unterschiedliche Kunststoffmaterialien. „Die Beratung macht mir Spaß“, sagt der Reisegepäck-Experte. Im Laden hat er gut und gerne 500 Koffer.
Nur noch 20 Prozent der Produkte sind aus Leder
Die meisten Kunden kommen ganz gezielt. Auch an diesem Nachmittag ist in den langen Gängen und in den vielen Ecken des Ladengeschäfts ordentlich Betrieb. Eine Million Euro setzt Leder Israel im Jahr um. „2018 konnten wir erneut Zuwächse verbuchen“, sagt Finanzmann Lefin. Über Details möchte er nicht sprechen, aber er sagt: „Wir machen ein ganz gutes Ding.“ Dabei spielt Leder als Material heute längst nicht mehr die Hauptrolle. Gerade noch 20 Prozent der Produkte sind aus Leder.
In den vergangenen Jahren hat sich das Branchenumfeld auch durch den Onlinehandel stark verändert. Dazu kommen Nachfolgeprobleme. Die Zahl der Lederwaren-Fachhändler ist rückläufig. Gab es laut Statistischem Bundesamt 2007 bundesweit 1843 Unternehmen mit einem Nettoumsatz von 977 Millionen Euro waren es 2017 nur noch 1306. Allerdings mit Erlösen von 1,09 Milliarden Euro.
Das Plus erklärt sich vor allem durch die positive Entwicklung bei Luxusunternehmen wie Louis Vuitton und Hermes. In Hamburg lag die Zahl der Betriebe bei 25 mit einem Umsatz von 12,8 Millionen Euro. Für 2018 und die ersten Monate 2019 seien die Zahlen stabil, heißt es beim BLE Handelsverband Lederwaren. Wichtiger Faktor ist der Bereich Reisegepäck. Dieser Markt habe sich dank der Reisefreudigkeit der Deutschen gut entwickelt, so ein Sprecher.
Neuer Verkaufsraum wird am Montag eröffnet
Leder Israel setzt auf Wachstum. Seit 2016 hat das Geschäftsführer-Duo dem Fachgeschäft ein Umbauprogramm verordnet. Der Eingang wurde an die Ecke Schulweg/Osterstraße verlegt, die Abteilung mit Business-Lederwaren erneuert. Auf der neuen Verkaufsfläche im ersten Stock werden von Montag an noch mehr Schulranzen und Koffer angeboten. „Zu uns kommen Kunden aus ganz Norddeutschland, um die erste Schultasche auszusuchen.
Der Laden in Kürze
Oft sind es ganze Familien mit Oma und Opa, Eltern und dem Abc-Schützen“, sagt Torsten-Salomon Lefin. „Dafür braucht man viel Platz.“ In diesem Jahr sollen 80.000 Euro investiert werden. 2020 soll der Umbau mit der vorderen Verkaufsflächen abgeschlossen werden. Pünktlich zum 130-jährigen Jubiläum.