Hamburg. Kultläden, Teil 11: Sie haben ein spezielles Angebot und eine ganz besondere Atmosphäre – und trotzen so dem Geschäftssterben.
Was für ein Laden! Wer das erste Mal den Carl Feddersen Sea Shop betritt, entdeckt nur Ungewöhnliches. Sei es die altertümliche Ladenklingel, die man beim Öffnen der Tür hört, die mechanische Registrierkasse von 1953, das alte schwarze Telefon mit Wählscheibe oder den winzigen Ladenraum selbst – vollgestopft mit Seemannspullovern und Streifenshirts in älteren, hohen Regalen. Es gibt Kleiderstangen mit Wind- und Öljacken, Colani-Mäntel aus Schurwolle und Dufflecoats. Was keinen Platz mehr gefunden hat, hängt an einem quer durch den Ladenraum gespannten Seil unter der Decke.
Ungewöhnlich ist auch die Geschichte des Geschäfts, gegründet in den 1940er-Jahren als Handel für Waren aller Art von Carl Feddersen, dem Vater der bekannten Volksschauspielerin Helga Feddersen, die früher selbst hinter dem Ladentresen ausgeholfen hat.
Am ungewöhnlichsten ist aber der Verkäufer selbst: Wolfgang Ebeling, lange blonde Haare, braun gebrannt. Ein passionierter Regatta-Segler, der gerade von einem Yacht-Rennen vor der nordspanischen Küste zurückgekehrt ist. Ein gut aussehender Mann, der in jungen Jahren als Model gearbeitet hat, dann aber den Einzelhandelsverkauf von der Pike auf lernte – bei Kaufhof in der Miederwarenabteilung. Er arbeitete sich bis zum Zentraleinkäufer hoch, bis er vor 35 Jahren von heute auf morgen kündigte, um bei seinem Schwager Hans Feddersen, dem Sohn des Firmengründers, einzusteigen, dem er den Laden schließlich abkaufte. Helga Feddersen ist deshalb seine angeheiratete Kusine gewesen. Ebeling ist ein Mensch, dem es mit seinem Charme gelingt, zu jedem, der seinen Laden betritt, sofort eine Beziehung aufzubauen – und sei es nur zum Paketboten, der noch für eine Lieferung eine Unterschrift benötigt.
Kein Einheitskram aus Asien
Ein unpersönliches „Sie wünschen bitte?“ würde Ebeling nie über die Lippen bringen. Stattdessen: „Hey, warmer Tag heute. Kann ich dir helfen?“ Bei ihm läuft nämlich grundsätzlich alles per Du. „Das ist ganz entspannt und bodenständig hier“, sagt er und wedelt mit den Armen. Wortgewaltig erklärt Ebeling, was er mit bodenständig meint: „Vor meiner Tür steht kein weißer Porsche, sondern mein alter Cabrio-Käfer.“ Oder: „Ich fange nicht an zu zittern, wenn hier eine Luxus-Blondine aus Blankenese reinwackelt. Ich behandele jeden gleich.“ Etwas anderes, das den gelernten Textilkaufmann von den Kollegen seiner Zunft unterscheidet, ist sein Talent: Ebeling hat Geschmack und ein Gespür dafür, was Leute gut kleidet.
„Und wenn etwas nicht passt, sei es wegen der Figur oder wegen des Typs, dann sage ich das dem Kunden ehrlich und verzichte lieber auf die 400 Euro.“ Von den Kunden werde das geschätzt. „Zu mir kommen immer mehr Leute, die von dem gefärbten Einheitskram aus Asien die Nase voll haben.“ Vor allem das Hamburger Publikum habe ein Bewusstsein für Qualität.
80 Prozent der Kunden kommen immer wieder
Dabei kommt seine Kundschaft aus der ganzen Welt. Segler, Yachtbesitzer oder einfach nur Menschen mit einem Faible für maritime Kleidung sind darunter. 80 Prozent sind Wiederholungskäufer. „Wir haben eine große Stammkundschaft.“ Allein 1000 Stammkunden kämen aus der Schweiz, erzählt Ebeling, die bei jedem Hamburg-Besuch einen Abstecher im Sea Shop machten. „Die bringen mir Schweizer Schoki mit, weil ich die so mag.“ Im Gegenzug bekommen sie Kaffee, während sie sich die Kollektion anschauen. Ebeling designed viele Kleidungsstücke selbst und verkauft sie unter der Marke „Carl Feddersen“.
Seine neueste Kreation: Eine Kutte, wie sie in der New-Wave-Zeit der 1970er-Jahre angesagt war. Wenn es um die Qualität seiner Stoffe geht, ist er ein Pedant. Fast ein Jahr lang habe er gebraucht, bis er in den Niederlanden einen Hersteller fand, der ihm die wachsgetränkten Baumwollstoffe für die grünen Kutten liefern konnte, sagt er. Genauso kompliziert sei die Suche nach den passenden Stoffen für das Innenfutter gewesen. Herausgekommen ist ein schicker Mantel. „100 Prozent Wolle“, sagt Ebeling und zeigt stolz auf das Ergebnis. 80 Stück in Damengröße habe er davon bei einer Schneiderei in London herstellen lassen. „Die waren schnell verkauft. Jetzt kommen die Ehemänner und wollen auch so eine Kutte haben. Also lasse ich sie jetzt auch in XL fertigen.“
Ein Mantel kostet bis zu 450 Euro
Bei Ebeling kauft man nicht mal eben so, sondern man ersteht etwas. Nicht nur wegen des Preises, – ein Troyer kann durchaus 150 Euro kosten, ein Mantel 450 Euro – sondern auch weil Ebeling seine Kunden dazu bringt, sich mit dem Kleidungsstück auseinanderzusetzen. Jede Kaufentscheidung ist wohlüberlegt. „Keiner soll hier rausgehen, ohne dass er etwas mitnimmt“, so lautet das Credo. Am liebsten soll es natürlich Kleidung sein, aber Ebeling freut sich auch, wenn der Gast nach dem Besuch weiß, wo er beim nächsten Mal einen guten Seemannspulli bekommt.
Werbung ist für den Sea Shop ein Fremdwort. „Das läuft bei uns alles nur über Weiterempfehlung“, sagt Ebeling und zeigt einen zerknitterten Zeitungsausschnitt aus der „New York Times“. Den habe ihm ein amerikanischer Kunde kürzlich mitgebracht. „Darin steht, dass man einen Hamburg-Besuch zu einem Abstecher im Sea Shop nutzen soll.“
Wie viel Umsatz er macht, verrät Ebeling nicht: „Geld ist nicht so wichtig.“ Vom Online-Handel hält er nichts. „Ich muss meine Kleidung an den Kunden sehen. Das kann ich nicht, wenn ich über das Internet verkaufe.“
Der Laden in Kürze
Gegründet: 1943
Adresse: Deichstraße 35
Öffnungszeiten: Montag bis Sonnabend 10.00 bis 18.00 Uhr
Ladengröße:
83 Quadratmeter
Zahl der Mitarbeiter:
Null, nur die Familie hilft aus
Billigster Artikel:
Halstuch für 5 Euro
Teuerster Artikel:
Parka für 419 Euro
Der Online-Handel ist für mich ... nicht existent.
In zehn Jahren ist mein
Laden ... immer noch genauso schön wie heute.