Hamburg. Kultläden haben eine besondere Atmosphäre. Wir stellen die Inhaber und ihre Konzepte vor. Heute: Tradition am Neuen Wall.
Wilfried Weber, der 2016 verstorbene Mitinhaber, nannte das Umfeld, in dem sich sein Geschäft befand, immer ein wenig spöttisch die „Luxuswüste“ Neuer Wall. Sein Geschäft, das war die Buchhandlung Felix Jud, jene wohl berühmteste Buchhandlung Hamburgs, die sich seit vielen Jahren so hübsch an die Mellinpassage schmiegt und außerdem so tapfer zwischen die Shopping-Tempel der City quetscht. Diese sind zudem in jüngerer Vergangenheit immer austauschbarer geworden. Da ist eine klassische inhabergeführte Unternehmung ohnehin wie die nach seinem aus Niederschlesien stammenden Gründer Benannte in jederlei Hinsicht eine willkommene Abwechslung.
Marina Krauth sagt es etwas anders: „Unsere Kunst- und Buchhandlung findet sich in dem einen oder anderen Reiseführer. Die Stadt muss also auch aus touristischen Gründen darauf achten, dass in der City mehr als nur die üblichen, ein Stück weit austauschbaren Markengeschäfte vertreten sind.“ Die nach Wilfried Webers Tod verbliebene Inhaberin ist aber klug genug, den eigenen Laden in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Überhaupt will sie nicht nur auf den eigenen Nabel schauen. Manche, sagt Krauth (61), die einst bei Felix Jud lernte, dann in München Germanistik, Kunstgeschichte und Spanisch studierte, nach Hamburg zurückkam und 1993 in den Rang der Mitinhaberin aufstieg, „haben uns in der Buchbranche mitunter für arrogant gehalten – was wir nie sein wollten“.
Bald 100-jährige Geschichte
Dabei sind sie bei Felix Jud schon stolz auf ihre bald 100-jährige Geschichte. Die Buchhandlung wurde 1923 als „Hamburger Bücherstube“ in den Colonnaden 104 eröffnet. Was danach geschah, ist legendär: Felix Jud, der überzeugte Gegner der Nazis, hängte 1935 zu „Führers Geburtstag“ ein schief hängendes Illustriertenbild Hitlers auf – umrahmt von einigen Exemplaren des Südseereiseberichts „Heitere Tage mit braunen Menschen“. Eine legendäre Tat. Später, am Ende des Krieges, musste Jud erst ins Gefängnis, dann nach Neuengamme. Einer der Vorwürfe: Er habe kommunistische Bücher verkauft und sich über den „deutschen Gruß“ lustig gemacht.
Der Laden in Kürze
So wurde man nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches moralisch unantastbar. Aber um die Existenz seines Geschäfts kämpfen musste Jud dennoch. Ehe er 1956 in das bis heute bestehende Domizil – nur aufgrund eines Brandes Anfang der 90er-Jahre musste der Buchladen zwischendurch ins Exil – ziehen konnte, fand er mal hier, mal da einen Ort für seine Buchhandlung.
Karl Lagerfeld war Kunde
Eines der Provisorien war unmittelbar vor dem Umzug an den Neuen Wall 13 die Geschäftsstelle des Abendblatts. Der Verleger Axel Springer, der das Abendblatt acht Jahre vorher gegründet hatte, war ein Freund Felix Juds. Nicht der Einzige: Der Buchhändler war mit vielen Größen der Hansestadt gut bekannt. Später zählte der unlängst verstorbene Karl Lagerfeld zum exquisiten Kundenkreis.
Zurück zu Marina Krauth, zurück in die so schönen Räume dieser wahrhaften Bücherstube. Die sind in Hamburg vielleicht schon Alleinstellungsmerkmal genug in ihrer Verwinkeltheit. Dazu kommt eben die Lage. Sie zahle, sagt die Inhaberin, keine typische Neue-Wall-Miete, dennoch sei diese für eine Buchhandlung vergleichsweise hoch. Aber sie wolle sich darüber nicht beschweren. „Es ist nur so, dass man als Buchhändlerin sowieso nur reich an Begegnungen ist, aber nicht auf dem Konto“, sagt Krauth, dann lächelt sie.
Buchhandel, Antiquariat und Kunsthandel
Das Geschäftsmodell von Felix Jud fußt übrigens auf einer Mischkalkulation. Der Umsatz wird zu je einem Drittel aus Buchhandel, Antiquariat und Kunsthandel bestritten. Im Obergeschoss des Geschäfts finden regelmäßig kleine Ausstellungen von ausgewählten Künstlern statt. Auch das macht Felix Jud zur besonderen Buchhandlung. Im kulturell-gesellschaftlichen Leben Hamburgs ist ihre Rolle nie zu unterschätzen gewesen. Bei Literaturveranstaltungen gaben sich Schriftsteller wie Henry Miller, Siegfried Lenz und Cees Noteboom die Klinke in die Hand, und mit Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi initiierte Buchhändler Wilfried Weber Ende der 1980er-Jahre zudem die Gründung des Hamburger Literaturhauses.
In jenen Glanzzeiten gab es in Hamburg übrigens noch wesentlich mehr Buchhandlungen als heute. 1998 waren es 183, 2008 noch 142. 2016, aus diesem Jahr liegen die aktuellsten Zahlen vor, nur noch 112. Der Gesamtumsatz, den die Buchhandlungen machten, verringerte sich zwischen 2008 und 2016 von 126,6 Millionen auf 108,3 Millionen Euro.
Eine Oase der Ruhe
Dass das Bücherverkaufen auch in geschichtsträchtigen Institutionen wie Felix Jud nicht unbedingt ein Selbstläufer ist, weiß auch Marina Krauth. Sie verweist auf die „kulturelle Funktion“ von Buchhandlungen – gerade wenn diese nicht in der Stadtmitte liegen. „Was in den Stadtteilbuchhandlungen geleistet wird, ist enorm“, sagt sie. Und regt steuerliche Vergünstigungen für Buchhandlungen an. Auch mit Bezug auf das eigene Unternehmen erinnert sie zudem an den touristischen Nutzen von inhabergeführten Geschäften.
Womit sie sicher recht hat: Es ist eigentlich kein gutes Zeichen, dass die kleine Buchhandlung Felix Jud am Neuen Wall so stechend ins Auge fällt, wo man sie doch auch übersehen könnte. Es gibt zumindest in Hamburgs City kaum noch Geschäfte ihrer Art. Felix Jud ist eine Oase der Ruhe, wie sie wohl nur Bücher spenden können. Bei Felix Jud wird Literatur, jene hehre kulturelle Hervorbringung, auf die größtmögliche liebevolle Art und Weise inszeniert, die einer Buchhandlung wohl möglich ist. Hier stapeln sich nicht einfach Bücher, hier werden sie feierlich ausgelegt. Jede Woche wird die Auslage in einem Fenster neu gestaltet. Nie würde es der Belegschaft einfallen, die von den Verlagen gestellte Dekoration zu benutzen, die Themen werden selbst gestaltet. Dutzendware gibt es am Neuen Wall woanders.