Dax und Euro geraten durch das höhere Defizit in Athen erneut unter Druck. Ein Eingreifen der EU wird immer wahrscheinlicher.
Athen/Frankfurt. Die Finanzlage Griechenlands ist noch prekärer als bisher bekannt. Im vergangenen Jahr belief sich das Haushaltsdefizit auf 13,6 Prozent der Wirtschaftsleistung – das war fast ein Prozentpunkt mehr als die bislang gemeldeten 12,7 Prozent, teilte das Europäische Statistikamt Eurostat am Donnerstag in Luxemburg mit. Das Land manövrierte sich an den Rand der Staatspleite. Der Schuldenberg wuchs auf 273 Milliarden Euro – das entsprach 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und lag weit über dem von der EU erlaubten Gesamtschuldenstand von 60 Prozent.
Es wird immer wahrscheinlicher, dass der Mittelmeerstaat die von den Euro-Ländern in Aussicht gestellten Kredite von bis zu 30 Milliarden Euro in Anspruch nehmen muss. Die EU-Kommission unterstrich noch einmal die Notwendigkeit der eingeleiteten Sparmaßnahmen, verlangt derzeit aber keine weiteren Einschnitte.
An der Börse setzte die ausufernde Schuldenkrise den deutschen Leitindex unter Druck. Der Dax, der am Morgen nach positiven Konjunkturdaten aus der Eurozone bis auf rund 6286 Punkte gestiegen war, büßte bis zum Nachmittag 0,87 Prozent auf 6176 Punkte ein. Auch der Euro geriet erneut unter Druck.
Ziel der Regierung in Athen bleibt es, in diesem Jahr das Staatsdefizit um vier Prozent zu drücken. Dies wurde nach Bekanntgabe der neuen Zahlen betont. „Unser Ziel für eine Reduzierung des Defizits um vier Prozent ändert sich nicht“, sagte Ministerpräsident Giorgos Papandreou während einer Sitzung seines Ministerrates. Er schloss nach den neuen Erkenntnissen weitere Sparmaßnahmen nicht aus: „Unsere historische Verantwortung ist, jeden notwendigen Beschluss zu treffen, der die Griechen vor Schlimmerem bewahrt.“
Athen gerät nun zeitlich in Bedrängnis. Bis 19. Mai müssen rund elf Milliarden Euro aufgetan werden, um einen Teil der Kredite zu bedienen. In den öffentlichen Kassen seien nur zwei Milliarden Euro. Medien sehen immer mehr die dunklen Wolken eines Bankrotts heraufziehen. Unterdessen ist die Rendite für griechische Staatsanleihen auf den Rekordwert von 8,38 Prozent gestiegen – damit werden Kredite für Griechenland auf dem Finanzmarkt noch teurer.
Selbst die neue Zahl zum Defizit könnte nochmals um bis zu 0,5 Prozentpunkte nach oben revidiert werden: Die Statistiker äußerten erhebliche Zweifel „an der Qualität der Daten“, weil es Unsicherheiten beim Überschuss der Sozialversicherung gebe. Schuldensünder Griechenland hatte sich 2001 mit falschen Zahlen Zutritt zum Euro-Währungsgebiet erschwindelt. Erst Jahre später flog auf, dass Athen seine wirtschaftliche Schwäche verschleiert hatte.
Die Vorbereitungen zum Einsatz des Notfallplans der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehen derweil voran. Dazu laufen seit Mittwoch Gespräche von Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des IWF in Athen. Die Euro-Länder sind erstmals in der elfjährigen Geschichte der Währungsunion bereit, den hochverschuldeten Mittelmeerstaat mit einem Rettungspaket vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Es geht bei dem kombinierten EU-IWF Hilfspaket um insgesamt 45 Milliarden Euro.
Dennoch wurde am Donnerstag die Welle der Streiks gegen den harten Sparkurs der Regierung fortgesetzt. Diesmal streikten Staatsbedienstete. Ministerien und andere Behörden blieben meist geschlossen. An die 10.000 Demonstranten versammelten sich im Zentrum von Athen. In Schulen fiel der Unterricht aus. Den zweiten Tag in Folge war der Fährverkehr betroffen. Ärzte in staatlichen Krankenhäusern behandelten nur Notfälle. Öffentlicher Nahverkehr und Flugverkehr liefen dagegen normal.