Prognosen der Wirtschaftsinstitute fallen düster aus – Finanzkrise trifft auch Deutschland. EZB-Chef warnt vor Folgen einer Kreditklemme.
Frankfurt/Berlin/Halle. Der Konjunktur im Euro-Raum droht wegen der Euro-Schuldenkrise eine längere Durststrecke und selbst die bisher robuste deutsche Wirtschaft gerät ins Stocken. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) rechnet nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent im kommenden Jahr in Deutschland. Mit seiner Prognose liegt es noch unter den Erwartungen anderer führender deutscher Forschungsinstitute. Für den Euro-Raum sieht die Europäische Zentralbank „beträchtliche Abwärtsrisiken“.
So rechnete das Münchner ifo Institut am Vortag mit einem Wachstum von 0,4 Prozent, das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut erwartet ein Wachstum von 0,5 Prozent. In Ostdeutschland wird der Zuwachs laut IWH leicht über dem gesamtdeutschen Wert bei 0,5 Prozent liegen. Grund dafür sei, dass die ostdeutschen Unternehmen weniger vom Export abhängen.
+++ Ifo-Institut: Wachstum soll nur 0,4 Prozent betragen +++
+++ Deutsche Konjunktur gerät ins Stocken +++
Auch die Europäische Zentrabank schätzt die Lage düster ein. Im vierten Quartal hat sich die Wirtschaftstätigkeit im Euro-Raum nach Einschätzung der EZB abgeschwächt. Die starken Spannungen an den Finanzmärkten dürften den Konjunkturverlauf spürbar dämpfen, schrieben die Währungshüter in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht. Erst im Laufe des kommenden Jahres sollte sich die Wirtschaftsleistung erholen, – „wenn auch nur sehr allmählich“.
Angesichts des drohenden Konjunkturabsturzes mahnten die Währungshüter umfassende Reformen an. Die Regierungen im Euro-Raum müssten „dringend alles daran setzen, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen im gesamten Euro-Raum zu fördern“.
Die EZB rechnete für 2012 zuletzt nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent, die Spanne liegt zwischen minus 0,4 Prozent und plus 1,0 Prozent. Im September war die EZB noch von einem Plus von 1,3 Prozent ausgegangen.
Inflationsrisiken sieht die EZB wegen der zu erwartenden Wirtschaftsabschwächung dagegen kaum. Die Preissteigerungsrate dürfte in den kommenden Monaten zwar über dem Zielwert der Notenbank von knapp zwei Prozent verharren, danach aber zurückgehen. Im November hatte die Rate mit 3,0 Prozent noch deutlich über dem EZB-Ziel gelegen.
Der EZB-Chef Mario Draghi fürchtet um die Finanzierung der Unternehmen und Haushalte. Weil die Banken Risiken scheuten, sehe er eine geringere Bereitschaft zum Geldverleih an die reale Wirtschaft, sagte Draghi am Donnerstag in Berlin. Sollte sich dieser Trend zu einer Kreditklemme auswachsen, könnte Europa aus seiner Sicht schweren Schaden nehmen.
Draghi bezog sich damit auf die wachsenden Sorgen auch deutscher Unternehmen, die über Probleme mit den Banken klagen. Sie brauchen Geld von den Instituten, um kurzfristige Anschaffungen und Produktionsmittel vorzufinanzieren, treffen aber auf immer knausrigere Banken. In anderen Ländern der 17 Mitglieder umfassenden Eurozone ist das Problem anscheinend noch stärker zu spüren. Analysten von Union Investment sprechen von einer Kreditklemme, die sich in Teilen Europas bereits eingenistet habe.
Draghi warnte, dass eine Kreditklemme in Europa viel schlimmere Auswirkungen haben könne als beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Grund dafür sei, dass die Banken in Europas Wirtschaft viel stärker verankert seien. In den USA hingegen haben auch Mittelständler leicht Zugang zum offenen Kapitalmarkt. Damit können sie sich direkt Geld von Investoren leihen und das Bankwesen damit umgehen. Das ist in der Eurozone so nicht möglich.
Für die Geldpolitik der EZB habe das einschneidende Wirkung, sagte Draghi. Sie versucht durch den Leitzins, über den sie einmal im Monat entscheidet, die Wirtschaft zu steuern. In der vergangenen Woche hatte die Notenbank den Leitzins zum zweiten Mal seit Draghis Amtsantritt im November auf nun 1,00 Prozent gesenkt.
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Doch nach Ansicht Draghis zeigen diese Entscheidungen nicht mehr die gleiche Wirkung wie früher. Der Weg zur Steuerung der Wirtschaft über die Banken „ist gegenwärtig behindert, so dass die Auswirkung der Zinssenkung geschwächt wird“, sagte er.
Vor diesem Hintergrund verteidigte Draghi die außergewöhnlich bankenfreundlichen Maßnahmen, die die EZB in der vergangenen Woche beschlossen hatte. Unter anderem will die EZB den 6.000 bei ihr registrierten Instituten erstmals dreijährige Kredite anbieten - also Milliardenkredite zu einem Prozent auf drei Jahre festschreiben. „Das Ziel ist es, Haushalte und Firmen, besonders die kleinen und mittelständigen, so gut es geht wieder mit Kredit zu versorgen“, sagte Draghi.
Trotz der düsteren Prognosen rechnet die deutsche Elektroindustrie für das kommende Jahr mit weiterem Wachstum. Es wird allerdings schwächer ausfallen als 2011. Die Produktion werde preisbereinigt um 5 Prozent steigen, wenn es der Politik endlich gelinge, die Euro-Schuldenkrise dauerhaft in den Griff zu bekommen, erklärte der Chef des Industrieverbandes ZVEI, Klaus Mittelbach, in Frankfurt. Im fast abgeschlossenen Jahr 2011 hat die Produktion nach ZVEI-Schätzungen um 14 Prozent angezogen. Auch der Umsatz werde im kommenden Jahr noch einmal ansteigen auf mehr als 185 Milliarden Euro nach 180 Milliarden in diesem Jahr. (dpa/dapd/abendblatt.de)