Die drohende Herabastufung Deutschlands und 14 weiterer EU-Staaten wird von EU-Ratspräsident Juncker scharf kritisiert.
Brüssel. Die amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hatte am späten Montagabend eine Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Deutschland und Frankreich sowie weiterer 13 Staaten der europäischen Währungsunion angekündigt. Die systemischen Belastungen der Euro-Staaten hätten in den vergangenen Wochen ein Ausmaß erreicht, das erheblichen Druck auf die Bonität der Eurozone als Ganze ausübe, erklärte Standard & Poor’s in New York. Bei einer Neubewertung könnten Euroland eine Herabstufung und damit höhere Zinsen drohen.
Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, sagte, die Ankündigung sei „wie ein Keulenschlag“. Der Schritt sei völlig überzogen und komme zur Unzeit. Die Eurozone verstärke gerade ihre Sparbemühungen. „Beunruhigt bin ich nicht, erstaunt schon“, fügte Juncker hinzu. Dass die Agentur kurz vor dem EU-Gipfel Ende der Woche „aus blauem Himmel“ vorpresche, könne kein Zufall sein.
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Berlin und Paris reagierten dagegen gelassen. Sie nähmen die Ankündigung zur Kenntnis, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Ihre Vorschläge zur Reform der Währungsunion würden die haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung der Eurozone stärken und so Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum fördern. Der deutsche Aktienindex DAX eröffnete mit einem Verlust von 1,4 Prozent.
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Standard & Poor’s zeigte sich skeptisch, ob die Euro-Staaten sich tatsächlich auf weitere Maßnahmen zur Beilegung der Schuldenkrise einigen können. Die Ratingagentur registrierte „anhaltende Meinungsverschiedenheiten unter europäischen Politikern, wie der Krise begegnet werden soll“.
Außerdem bestehe keine Einigkeit darüber, „wie langfristig mehr ökonomische, finanzielle und steuerliche Konvergenz unter den Mitgliedern der Eurozone hergestellt werden kann“, hieß es in der Beurteilung von Standard & Poor’s. Als weiteren Grund nannte die Agentur ein erhöhtes Rezessionsrisiko.
Die Bundesregierung plant Medienberichten zufolge eine Neuauflage des Bankenrettungsfonds Soffin . Schon im Februar oder März kommenden Jahres solle ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“. Nach Angaben der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ soll der Fonds Garantien bis zu einer Gesamthöhe von 400 Milliarden Euro übernehmen können. Dem Bundesfinanzministerium stünden 70 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung, um Risiken zu übernehmen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) gab gleichzeitig Notkredite in Höhe von 2,95 Milliarden Dollar (2,2 Milliarden Euro) für Griechenland frei. IWF-Direktorin Christine Lagarde forderte die griechische Regierung auf, die geplanten Reformen „konsequent umzusetzen“.
Die asiatischen Börsen reagierten nervös auf die Ankündigung von Standard & Poor’s. Der japanische Leitindex Nikkei verlor ein Prozent auf 8.608,10 Punkte. Der südkoreanische Kospi ging um 1,1 Prozent auf 1.901,34 Zähler zurück, und der Hang-Seng-Index in Hongkong gab um 1,6 Prozent auf 18.884,05 Punkte nach. Der australische Leitindex S&P/ASX 200 sank um ein Prozent auf 4.280,10 Zähler. Auch an den Börsen in Singapur, Taiwan und Neuseeland zeichneten sich Kursverluste ab.
Experten stellten die Fähigkeit der Eurozone infrage, eine laxe Ausgabenpolitik ihre Mitglieder künftig zu unterbinden „Wenn du es nur entschieden und häufig genug sagst, glauben es die Leute vielleicht“, sagte Guy LeBas vom Finanzdienstleiter Janney Montgomery Scott. „Im Moment aber glauben die Märkte ’Merkozy’ nach meiner Einschätzung noch nicht.“
Zuvor hatten Merkel und Sarkozy ihre Pläne für eine Stärkung der Währungsunion vorgestellt. Die Ratifizierung neuer Verträge allerdings würde nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers Piotr Maciej Kaczynski vom Center for European Policy Studies in Brüssel mindestens 18 Monate dauern. „Das ist viel länger, als die Märkte zu warten bereit sind“, sagte Kaczynski.
Falls der EU-Gipfel am Ende der Woche (8. und 9. Dezember) die nötigen Beschlüsse fasse, könnten die Vertragsänderungen „bis März unter Dach und Fach sein“, sagte Juncker. Er begrüßte die deutsch-französischen Pläne. Automatische Strafen für Defizitsünder, die Schonung von Banken und das vorgezogene Aufspannen des dauerhaften Rettungsschirms ESM seien „in hohem Maße vernünftig“. (dapd/abendblatt.de)