Investmentbank Lehman Brothers insolvent. Merrill Lynch rettet sich zur Bank of America. Auch Versicherungsriese strauchelt.

Hamburg. Lange hatten es die Händler an der Wall Street nicht wahrhaben wollen: "To big to fail" lautete das Urteil der Finanzexperten über die angeschlagene Investmentbank Lehman Brothers, also "zu groß zum Scheitern". Doch der gestrige "schwarze Montag" belehrte viele Börsianer eines besseren. Niemand, auch nicht der amerikanische Staat, konnte oder wollte den Zusammenbruch des Bankenriesen verhindern. Der größte Konkurs an der Wall Street seit Jahrzehnten löste eine weltweite Schockwelle an den Aktienmärkten aus.

Wie wenig die US-Finanzkrise ausgestanden ist, zeigte zudem das Schicksal des ebenfalls schwer angeschlagenen Rivalen Merrill Lynch, der sich zum Verkaufspreis von 50 Milliarden Dollar offenbar in letzter Minute in die Arme der Bank of America rettete. Und der einst weltgrößte Versicherer AIG ist Medienberichten zufolge inzwischen auch in Finanznöten.

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Angesichts dieser dramatischen Zuspitzung entschloss sich ein internationales Konsortium zehn großer Kreditinstitute, darunter auch die Deutsche Bank, zu einem Rettungsfonds im Volumen von 70 Milliarden Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) pumpte 30 Milliarden Euro in die Geldmärkte.

Politiker mühten sich weltweit, die Märkte zu beruhigen. US-Präsident George W. Bush zeigte sich zuversichtlich, dass die Kapitalmärkte die jüngste Bankenkrise auf lange Sicht verkraften könnten. Auch in Deutschland versuchten Regierung und Finanzaufseher zu beruhigen, für hiesige Banken gebe es keine akute Gefahr. "Die Engagements deutscher Kreditinstitute bei Lehman halten sich in einem überschaubaren Rahmen und sind verkraftbar", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Bundesbank, Finanzaufsicht BaFin und dem Bundesfinanzministerium.

An den Börsen herrschte dennoch Ausverkaufsstimmung: Der DAX sackte zeitweise um mehr als vier Prozent ab und schloss am Ende mit einem Minus von 2,74 Prozent knapp über der 6000-Punkte-Marke. Finanzwerte wie Commerzbank und Deutsche Bank gehörten mit einem Minus von zwölf beziehungsweise neun Prozent zu den größten Verlierern. An der Wall Street gab der Leitindex Dow Jones zu Handelsbeginn mehr als zwei Prozent ab. Lehman-Papiere rauschten außerbörslich um mehr als 90 Prozent in den Keller und kosteten nur noch 20 Cent, AIG-Aktien verloren 45 Prozent. Merrill-Papiere zogen dagegen 23 Prozent an, da der Kaufpreis über dem Schlusskurs von Freitag lag. Der Dollar setzte seine Talfahrt fort. Eher sichere Staatsanleihen verbuchten Gewinne.

Bis zur letzten Minute hatten die Chefs der großen US-Banken, Vertreter der Regierung und Notenbanker am Wochenende noch nach einer Lösung für Lehman gesucht. Doch mehrere Rettungsanläufe für die nach Milliardenabschreibungen drastisch unterkapitalisierte Investmentbank scheiterten. Teilnehmer der Sitzungen berichteten, Finanzminister Henry Paulson habe sich nach den jüngsten Rettungsaktionen in der US-Finanzbranche strikt gegen staatliche Garantien für die Risikopapiere des Instituts gewehrt. Eine Übernahme sei der Bank of America und Barclays dann zu heiß geworden.

"Dass sich der amerikanische Staat geweigert hat, den Rettungsanker für Lehman Brothers auszuwerfen, kam für die meisten Marktteilnehmer überraschend und stellt eine neue Qualität dar", sagt der Chefanalyst der Hamburger Sparkasse, Bernd Schimmer, dem Abendblatt. Er rät verunsicherten Anlegern aber, in der jetzigen Situation Ruhe zu bewahren und keine größeren Aktienpakete zu verkaufen. Nach dem jetzigen Stand hätten die Märkte die jüngsten Auswirkungen der Finanzkrise noch vergleichsweise gut überstanden. Aus Sicht des Chefvolkswirts der Hamburger Warburg-Bank, Carsten Klude, ist das Vertrauen ins amerikanische Finanzsystem aber schwer erschüttert. Er befürchtet, dass die Auswirkungen auch den DAX dauerhaft deutlich unter die 6000-Punkte-Marke drücken werden.

Die HSH-Nordbank sieht die Gefahr einer Ausweitung der Bankenkrise auf andere Branchen. "Dass nun auch der einst weltgrößte Versicherer AIG ins Trudeln gerät, könnte bedeuten, dass die Krise auf diesen Bereich übergreift", sagt HSH-Chefvolkswirt Bernhard Blohm.

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