Der HWWI-Chef kritisiert die Regierung Bush wegen ihrer Staatseingriffe. Die Gefahr einer Weltwirtschaftskrise sieht er nicht.

Abendblatt:

Die Finanzwelt befindet sich in einer tiefen Krise. Droht eine Weltwirtschaftkrise?

Straubhaar:

Nein, auf keinen Fall. Gerade aus deutscher Sicht ist jede Panik fehl am Platz. Vielmehr ist nüchterne Gelassenheit die richtige Verhaltensweise.



Abendblatt:

Ihre Einschätzung überrascht angesichts der Nervosität an den Börsen.

Straubhaar:

Die Verluste an den Börsen sind zwar gigantisch. Milliarden an Vermögenswerten wurden vernichtet. Auch Kleinanleger müssen Federn lassen. Aber es geht hier um Vermögen, die in der Vergangenheit entstanden sind. Wenn wir von Weltwirtschaftskrisen reden, dann sprechen wir von der Gegenwart und Zukunft - also von der laufenden Wertschöpfung und Produktion. Diese werden nur am Rande von der Börsenentwicklung gestreift, folgen in ihrer Struktur aber anderen Gesetzen.



Abendblatt:

Inwieweit drohen Folgen für die reale Wirtschaft?

Straubhaar:

Man muss hier zwischen den USA und Deutschland unterscheiden. Kurzfristig wirkt sich die Finanzkrise in den USA negativ aus. Vielen Firmen werden für neue Fremdkredite mehr bezahlen müssen. Das wird die Investitionstätigkeit bremsen. Bei privaten Haushalten schrumpft das Aktienvermögen. Das wird den privaten Konsum weiter schwächen. Dadurch wird die Gefahr für die USA, in eine Rezession zu schlittern, noch wahrscheinlicher.



Abendblatt:

Und wie sieht es für Deutschland aus?

Straubhaar:

Die Krise hat Deutschland in einer vergleichsweise starken Position getroffen. Seit Sommer 2006 verzeichnet die Bundesrepublik ein robustes Wachstum. Die Beschäftigung ist hoch. Das heißt auch: In Deutschland finanzieren viele Menschen ihren Konsum mit selbst verdientem Geld. Der Konsum basiert nicht so sehr auf Ersparnissen und Aktienkursentwicklungen. Der Staat hat seinen Haushalt zudem stärker saniert. Und auch bei den Zinsen - von 4,25 Prozent - hätte die Europäische Zentralbank noch viel Luft für Senkungen, um auf eine weitere Dramatisierung der Lage reagieren zu können.



Abendblatt:

In den USA sieht dies ganz anders aus.

Straubhaar:

Richtig. Die USA haben schon niedrige Zinsen und haben kaum mehr Spielraum nach unten. Seit der Bush-Administration wurde ein immenses Staatsdefizit aufgetürmt. Der private Konsum wird in den USA auf Pump finanziert. Und jetzt bricht dieses Kartenhaus zusammen. Die Immobilienkrise ist im Kern eine amerikanische Krise.



Abendblatt:

Normalerweise gilt der Eingriff des Staates als Gift für die Marktwirtschaft. Jetzt trat die US-Regierung jedoch mehrfach als willkommener Retter in der Not auf. Funktioniert der Kapitalismus nicht mehr?

Straubhaar:

In den USA hat der Kapitalismus offensichtlich dramatische Probleme, sich selbst aus dieser Situation zu befreien. Gleichzeitig trägt der Staat daran auch eine Mitschuld. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 legte der Staat ein konjunkturpolitisch motiviertes Hypothekenfinanzierungsprogramm in dreistelliger Milliardenhöhe auf. Mit tiefen Zinsen wurden zudem Konsum und Hausfinanzierungen angekurbelt. Damit wurden die Menschen zu einem "Leben auf Pump" motiviert, das sich heute bitter rächt. Gerade Fannie May und Freddie Mac haben mit unglaublich wenig Eigenkapital eine riesige Immobilienkaufwelle ausgelöst. Dies wäre in Deutschland ausgeschlossen, da für den Hausbau mehr Sicherheiten verlangt werden. Zudem neigt der US-Kapitalismus zur Größe. Dies führte dazu, dass die Megabanken bei Schwierigkeiten im Zweifel gerettet werden, um noch größere Schäden zu vermeiden. In Deutschland wurde durch unsere Wettbewerbsgesetzgebung diese Gigantomanie verhindert.



Abendblatt:

Was halten Sie von Staatshilfe zur Rettung von Banken und Versicherungen?

Straubhaar:

Staatshilfen sind ein marktwirtschaftliches Übel. Gleichzeitig gibt es Situationen, in denen staatliches Nichthandeln systemgefährdend wirkt. Hier muss abgewogen werden, welche der schlechten Optionen die bessere ist.



Abendblatt:

Staatshilfe wird aber auch gerne angenommen.

Straubhaar:

Unternehmen neigen leider dazu, ihre Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren.



Abendblatt:

Wer sind die Verlierer dieses Verhaltens?

Straubhaar:

Leidtragende sind vor allem die braven Steuerzahler, und all jene, die nicht auf Pump gelebt haben. Sie müssen über ihre Steuergelder nicht nur die Konjunkturprogramme finanzieren, sondern jetzt auch die Rettungsmaßnahmen. Verlierer sind auch die kleinen Leute, die unter den jetzt steigenden Inflationsraten am stärksten leiden. Es verlieren aber auch wir alle, da die Glaubwürdigkeit in marktwirtschaftliches Verhalten erschüttert wurde. Das wird zu mehr staatlichen Regulierungen führen, wodurch neue Probleme programmiert sind.



Abendblatt:

Die Notenbanken pumpen Milliarden in den Markt. Ist dies der richtiger Weg?

Straubhaar:

Ja, weil diese Tagesgelder realwirtschaftlich für die Konjunktur und Inflation keine negativen Folgen hat. Es hilft aber den Banken, ihre Liquiditätsprobleme zu überbrücken.



Abendblatt:

Gibt es einen Ausweg aus der Krise?

Straubhaar:

Wichtig ist, nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen. Alle müssen aus den Fehlern lernen: Das heißt weniger Staatseinfluss und keine Trennung von Haftung und Verantwortung. Firmen müssen ihre Verluste alleine tragen und dürfen sich nicht auf den Staat verlassen. Zudem muss der Finanzmarktsektor neu reguliert werden. Die US-Banken müssen zu einer stärkeren Eigenkapitalunterlegung verpflichtet werden. Auch die Ratingagenturen müssen strenger kontrolliert werden: Es kann nicht sein, dass eine bisher als AAA gut bewertete Bank über Nacht zusammenbricht.



Abendblatt:

Ist Kapitalismus noch die richtige Wirtschaftsform?

Straubhaar:

Bei allen Mängeln gibt es aus historischer Erfahrung keine Alternative, die bessere Entwicklungs- und Beschäftigungschancen für alle bietet. Zu dem System gehört auch, dass es aus Fehlern lernt. Jetzt gilt es, aus diesen Fehlern die richtigen Schlüsse zu ziehen - dann wird der Kapitalismus gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.



Interview: Beate Kranz