Man hörte die Wall-Street-Banker bereits am Freitagabend in den Hamptons - dem Sylt der New Yorker Geld-Elite - nervös tuscheln: “Lehman is done.

New York. Man hörte die Wall-Street-Banker bereits am Freitagabend in den Hamptons - dem Sylt der New Yorker Geld-Elite - nervös tuscheln: "Lehman is done. Merrill Lynch and others are burning!" (Lehman ist fertig. Merrill Lynch und andere brennen). Am Sonntagabend wurde die Ahnung dann Realität. Nach Bear Stearns sind zwei weitere der traditionsreichsten Investmenthäuser der USA schlicht verschwunden.

Lehman Brothers meldete Bankrott an. Doch noch überraschender: Merrill Lynch wurde für 50 Milliarden von der Bank of America geschluckt. Es war wie ein Erdbeben. Bankgeschichte. Wie schon bei der Übernahme der Hypotheken-Giganten Freddie Mac und Fannie Mae vor einer Woche durch die amerikanische Notenbank (Fed), platzte die Bombe auch wieder an einem Sonntag. Bewusst. Denn so hatten die hoch nervösen Investoren, Banker und Aktien-Händler eine Nacht, um die Ereignisse zu verdauen.

Die meisten von ihnen erreichte die Nachricht, als sie auf dem Weg nach Hause oder in Restaurants waren. Die Blackberrys und iPhones surrten ohne Unterlass. Überall wurden hektisch E-Mails verschickt. Wer immer die Nachricht las, verstummte. Alle beschäftigte die gleichen Fragen: Wann wird diese Krise enden? Wird dies eine neue Weltwirtschaftskrise? Ist mein Job in Gefahr?

Wayne Margolies (41), Vizepräsident der Investmentbank GFI-Group zum Abendblatt: "Wir alle wussten sofort, dass die Chefs der Banken das gesamte Wochenende mit der Federal Reserve zusammen gesessen hatten, um Lösungen zu finden." Die Botschaft zwischen den Zeilen: Die amerikanische Notenbank, die 25 Milliarden Dollar der Steuerzahler eingesetzt hat, um Bear Stearns' Übernahme zu ermöglichen und deren Kauf von Fannie Mae und Freddie Mac möglicherweise weitere 200 Milliarden verschlingen wird, hat sich entschlossen, die Kräfte des Marktes walten zu lassen. Niemand wird mehr vom Staat gerettet.

Am Morgen danach hatten die Hiobsbotschaften den Wahlkampf und Hurrikan Ike auf Platz zwei und drei der Nachrichten-Sender verdrängt. Auf den Bildschirmen war stattdessen zu sehen: Die 25 000 Mitarbeiter von Lehman kamen zum Teil in T-Shirts, Jeans oder Turnschuhen in ihre Büros und holten in Pappkartons ihre persönlichen Dinge ab. Arbeitslos. Derweil erschienen 60 000 Banker von Merrill Lynch wie gewohnt an ihren Schreibtischen. Noch ist unklar, wie viele von ihnen ihre Sachen packen müssen.

Wayne Margolies: "Es war gespenstisch. Alle saßen wie gebannt vor den Bildschirmen und hörten, was die Vorstände der Bank of America und Merrill Lynch zu sagen hatten. Auf dem Börsenparkett lag überall das Wall Street Journal und die Schlagzeile war zu sehen: 'Krise an der Wall Street - Lehman und Merrill sind verschwunden.'" Der Banker zeigte sich dennoch optimistisch. Wie so viele seiner Kollegen hofft er: "Das war's." Soll heißen: Der Boden ist gefunden.

Gyula Schuch (45), Geschäftsführender Direktor einer Investmentbank von UniCredit ist dagegen skeptischer: "Als Bear Stearns verschwand, wurden 50 Prozent der Mitarbeiter von JP Morgan gerettet. Das heißt, dass mindestens die Hälfte von Merrill Lynchs Mitarbeitern auch bald auf der Straße sitzen", orakelte er. "Dies ist der Big Bang für New York. Das Bankwesen wird komplett umstrukturiert." Und weiter: "Die Goldenen Zeiten der Finanz-Welt sind für lange Zeit vorbei."