Karlsruhe/Hamburg. Ohne Schonlau agierte HSV-Abwehr zu wild. Tabellenführung vom Tisch. Montero stoppt eigene Aufholjagd. Wird Walter länger gesperrt?
Nach einer indiskutablen ersten Halbzeit hat der HSV die Steilvorlage der Konkurrenz nicht genutzt und den Sprung auf Platz eins der Zweitliga-Tabelle verpasst. Beim 2:4 (0:3) in Karlsruhe waren die Hamburger in allen Belangen unterlegen.
An diesem Eindruck änderte auch der Comebackversuch durch zwei Tore von Robert Glatzel nach der Pause nichts. Mit dem Platzverweis des eingewechselten Javi Montero (Gelb-Rot / 87.) wurde die Aufholjagd kurz vor Schluss gestoppt. Als in der Nachspielzeit auch noch Trainer Tim Walter die Rote Karte kassierte und auf die Tribüne geschickt wurde, war der gebrauchte Nachmittag für den HSV perfekt.
Der 47-Jährige hatte sich vehement über den letzten Treffer des KSC beschwert, dem wohl ein Handspiel im Mittelfeld durch Jerome Gondorf vorausging, wie TV-Bilder belegen. Allerdings war das Gegentor letztlich nicht spielentscheidend.
„Es gab ein Scharmützel zwischen beiden Bänken, das kommt jede Woche vor. Es war alles nicht so dramatisch, der Schiedsrichter hat es etwas anders gesehen. Ich habe mich bei meiner Mannschaft entschuldigt, da ich ihr in dem Moment keinen Gefallen getan habe. Da muss ich mich besser im Zaum haben“, sagte Walter, der nun auf die Gnade des DFB hoffen muss.
HSV beklagt Fehler beim KSC: „Vollkatastrophe“
Gerade in den Basiselementen des Fußballs – Zweikämpfe, Aggressivität und Laufstärke – erhielt seine Mannschaft eine Lehrstunde vom KSC, der den fünften Sieg in Folge einfuhr. „Es war anfangs eine Vollkatastrophe. Wir sind überhaupt nicht in die Zweikämpfe gekommen. Das war bodenlos und hatte nichts mit Zweiter Liga zu tun. Es hätte zwischenzeitlich sogar 0:4 oder 0:5 stehen müssen“, monierte Doppelpacker Glatzel.
„Das war mit das Schlechteste, das der HSV in meiner Zeit auf den Platz gebracht hat. Das müssen wir uns ankreiden“, klagte Walter, der vor allem Monteros Platzverweis kritisch bewertete. „Unsere Reaktion auf das 0:3 war positiv. Wir wollten zurückkommen, doch mit der Gelb-Roten Karte war es dahin.“
Allerdings schob Torhüter Daniel Heuer Fernandes ein: „Nach dieser ersten, sehr schlechten Halbzeit haben wir es nicht verdient, hier etwas mitzunehmen.“
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HSV in Karlsruhe ohne Schonlau düpiert
Vor allem der verletzungsbedingte Ausfall von Kapitän Sebastian Schonlau wog schwer. Ohne seinen Abwehrchef wirkte die Defensive unsortiert und extrem anfällig gegen das intensive Pressing der Gastgeber. Kurzum: Die Abwehr des HSV agierte phasenweise sehr wild, zu wild, um zumindest einen Punkt aus Karlsruhe mitzunehmen, der bereits für die Tabellenführung gereicht hätte, nachdem Spitzenreiter Darmstadt in Bielefeld (1:3) gepatzt und Verfolger Heidenheim in Düsseldorf (1:1) nicht gewonnen hatte.
Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58
Dabei hatte Walter Schonlaus Fehlen vor der Partie noch kleingeredet. „Uns fehlt unser Kapitän als Mensch und Führungsperson“, sagte Walter zwar, „aber unsere Balance verändert sich dadurch nicht. Die anderen Spieler können seine sportliche Rolle genauso gut ausfüllen.“ Vor allem ein anderer Spieler, Moritz Heyer, sollte Schonlau im Abwehrzentrum ersetzen. Ein Plan, der scheiterte.
Winter-Neuzugang Javi Montero, der eigentlich für genau solche Fälle ausgeliehen worden war, blieb zunächst auf der Bank. Der Spanier genießt nicht Walters Vertrauen, woran sich nach seinem Platzverweis vorerst auch nichts ändern dürfte. Nach 38 Minuten musste der HSV-Coach seine Ansicht noch überdenken, als er Montero für den völlig überforderten Jonas David und William Mikelbrencis für den angeschlagenen Noah Katterbach brachte (38.). Ein Doppelwechsel noch vor der Pause. Zu diesem Zeitpunkt lag der HSV durch die Tore von Paul Nebel (11.), Paul Jensen (17.) und Fabian Schleusener (32.) schon mit 0:3 zurück – und war mit diesem Ergebnis sogar noch gut bedient.
HSV von Karlsruhe phasenweise vorgeführt
Vor dem Spiel hatte Walter noch vor den langen Bällen des Gegners gewarnt. Kurz darauf reichten zwei lange Bälle für einen frühen Zwei-Tore-Rückstand. Zunächst verlängerte der äußerst motivierte Ex-HSV-Profi Mikkel Kaufmann einen langen Gondorf-Ball in den Lauf von Nebel, der den orientierungslosen David düpierte und wuchtig ins kurze Eck traf (11.). Nur wenige Minuten später war es erneut Kaufmann, der einen langen Ball gegen Heyer und einen im Zweikampfverhalten lustlos wirkenden Miro Muheim behauptete und auf Jensen querlegte, der zum 2:0 traf (17.).
In der Folge ließ Karlsruhe etliche Großchancen aus. Der HSV wurde in dieser Phase defensiv in alle Einzelteile zerlegt. Eine zwischenzeitliche Zweikampfquote von 60:40 Prozent für Karlsruhe war bezeichnend für eine indiskutable Leistung der Hamburger, die Muheim mit einem folgenschweren Lapsus abrundete.
Dem von Kaufmann unter Druck gesetzten Linksverteidiger unterlief ein katastrophaler Fehlpass in den Fuß von Nebel, der vor Heuer Fernandes an den Ball kam und ins Zentrum auf Schleusener flankte. Der Karlsruher musste nur noch ins leere Tor einschieben. „Was war hier eigentlich los?“, fragte sich nicht nur Tim Walter, der mit dem angesprochenen Doppelwechsel reagierte. Zur Pause brachte Walter zudem Königsdörffer und Nemeth für Benes und Dompé.
Am Torchancen-Festival des KSC änderten diese personellen Veränderungen aber zunächst wenig. Heuer Fernandes verhinderte das fast schon überfällige 0:4 durch Nebel (40.). Der Keeper wirkte, es fühle er sich wie im falschen Film.
HSV verpasst diesmal Aufholjagd nach 0:3
Vor ziemlich genau einem Monat lag der HSV auswärts schon einmal zur Pause mit 0:3 zurück. Damals reagierte Walter mit einem Doppelwechsel zur Pause und seine Mannschaft glich nach einer deutlichen Leistungssteigerung tatsächlich noch zum 3:3 aus. Ein furioses Comeback, das eben nicht jedes Mal gelingt, wenn man 0:3 zurückliegt. Auch wenn es zwischenzeitlich danach aussah, als Robert Glatzel auf 2:3 verkürzte (51./80.).
Der HSV war plötzlich dran am Ausgleich, der allerdings nicht verdient gewesen wäre. Dann aber stoppte Montero die Aufholjagd seines Teams. Bei Twitter sprach er entschuldigte er später von „gemischten Gefühlen“. Der kaum in den vergangenen Wochen kaum berücksichtigte Verteidiger sei glücklich, gespielt zu haben, aber traurig, verloren zu haben. Für seinen Platzverweis entschuldigte er sich.
Der Spanier ließ als letzter Mann das Bein gegen Schleusener stehen und hatte dabei sogar noch etwas Glück, „nur“ die zweite Gelbe Karte und nicht glatt Rot zu sehen.
HSV-Coach Walter droht längere Sperre
Danach trat der HSV offensiv nicht mehr in Erscheinung. Stattdessen wurden die Hamburger noch einmal ausgekontert. Karlsruhes Schleusener machte mit seinem zweiten Tor zum 4:2 alles klar (89.). Der HSV bleibt somit Zweiter und muss mindestens ein Spiel auf Trainer Walter verzichten, der nach seiner Roten Karte Linienrichter Christof Günsch wegdrückte. Ob diese Szene ein Nachspiel haben wird? So oder so hätte der Sonntag aus Hamburger Sicht nicht viel bescheidener verlaufen können.
Die Aufstellungen:
- Karlsruhe: Gersbeck – Thiede, Kobald, Franke, Heise (82. Brosinski) – Gondorf – Jensen (68. Cueto), Wanitzek – Nebel – Kaufmann (68. Batmaz), Schleusener (90.+3 Gordon). – Trainer: Eichner
- HSV: Heuer Fernandes – Katterbach (38. Mikelbrencis), Heyer, David (38. Montero), Muheim – Meffert – Reis (77. Kittel), Benes (46. Königsdörffer) – Jatta, Glatzel, Dompé (46. Nemeth). Trainer: Walter
- Tore: 1:0 Nebel (11.), 2:0 Nebel (17.), 3:0 Schleusener (32.), 3:1 Glatzel (51.), 3:2 Glatzel (80.), 4:2 Schleusener (89.)
- Gelb-Rot: Montero (87.)
- Besondere Vorkommnisse: Rot für Walter (90. +1)
- Gelbe Karten: Kaufmann (3), Gondorf (3)
- Schiedsrichter: Sascha Stegemann (Niederkassel)
- Zuschauer: 23.000 (ausverkauft)
- Torschüsse: 15:15
- Ecken: 5:2
- Ballbesitz: 37:63 Prozent