Hamburg. Im Dopingfall Vuskovic kommt es im Hintergrund zu Ungereimtheiten. Das wirft Fragen auf. Warum die Wada eine C-Probe verweigern darf.
Der neue Schriftsatz der Verteidigung von Mario Vuskovic hat es in sich. 65 Seiten lang, unterschrieben von sechs Anwälten, adressiert an das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt am Main. Er kommt einer Abrechnung mit dem Antidopingsystem der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) gleich.
Der Schriftsatz wurde erstellt, nachdem der von Richter Stephan Oberholz beauftragte Epo-Forscher Jean-François Naud aus Québec (Kanada) in einem Gutachten angab, dass sich das für die A- und B-Probe verantwortliche Labor in Kreischa an alle Wada-Vorgaben gehalten habe und zu einem korrekten Analyseergebnis gekommen sei. Das Ergebnis besagt, dass HSV-Profi Vuskovic mit Epo betrogen haben soll.
Ein Vorwurf, den der Spieler vehement bestreitet. Nach zwei von drei angesetzten Verhandlungen hofft die Verteidigung auf Freispruch. Für die Wada lasse die Datenlage dagegen keine Alternative zu einer Verurteilung zu, welche eine vierjährige Sperre zur Folge hätte.
Mario Vuskovic: DFB-Richter Oberholz im Fokus
Vuskovics Anwälte werfen sowohl Kreischas Laborchef Sven Voss als auch Naud fehlende Sachkenntnis und ungenaues Arbeiten im Analyseverfahren vor, wodurch es zu einem spekulativen positiven Epo-Ergebnis gekommen sei. In ihrer Begründung wurden die Anwälte von vier eigenen Gutachtern Jon Nissen-Meyer (Norwegen), David Chen (Kanada), Markus Scholz (Leipzig) und Lorenz Hofbauer (Dresden) sowie den Mainzer Fachberatern Elmo Neuberger und Perikles Simon unterstützt.
Es ist der vorläufige Höhepunkt des seit Monaten andauernden Streits unter den Wissenschaftlern, der durch DFB-Richter Oberholz letztlich auch zur Verschiebung der für den vergangenen Freitag geplanten dritten Verhandlung um eine Woche führte.
Der Vorsitzende des Sportgerichts wird an jenem 17. März noch mehr im Fokus stehen als ohnehin schon. Denn seine per Beweisbeschluss angeordnete erneute Analyse der am 16. September entnommenen Dopingprobe gibt es nicht – und sie ist auch weiterhin nicht vorgesehen.
C-Probe: DFB führte Vorgespräch mit Naud
Es ist eine der vielen Ungereimtheiten im Vuskovic-Prozess. Vor allem der gesamte Ablauf, wie es zur Absage der C-Probe gekommen ist, wirft Fragen auf. Nach Abendblatt-Informationen soll es bereits vor der zweiten Verhandlung ein Vorgespräch zwischen dem DFB und Naud gegeben haben. Dabei erklärte sich der Wada-Forscher bereit, Vuskovics restlichen Urin erneut auf Epo zu untersuchen, woraufhin Oberholz genau diesen Vorgang per Beschluss am 9. Februar verkündete.
Das Problem an der Geschichte: Naud hatte sich zwar mit dem DFB, aber nicht mit der Wada abgesprochen. Als er diesen Vorgang vorschriftsmäßig nachholte, kassierte er nicht nur eine Abfuhr seiner Vorgesetzten, die ihr eigenes System schützen wollen. Die Wada drohte Naud zudem mit dem Verlust seiner Akkreditierung, sollte er sich ihrer Anweisung widersetzen.
Daraufhin zog Naud sein Angebot einer C-Probe schriftlich gegenüber dem DFB zurück, der sich auf Abendblatt-Anfrage nicht dazu äußern wollte.
Warum die Wada die C-Probe verweigern darf
Es ist ein beispielloser Vorgang, der nicht nur Oberholz schlecht dastehen lässt, sondern zusätzlich die Frage aufwirft: Steht die Wada über dem Gericht? „Die Wada unterliegt nicht den Anweisungen des Sportgerichts“, erklärt Horst Kletke, Fachanwalt für Sportrecht, im Gespräch mit dem Abendblatt. „Das Sportgericht kann der Wada nicht vorschreiben, was sie umzusetzen hat. Die Wada trifft ihre eigenen Entscheidungen – auch über die Arbeitsschritte ihrer Wissenschaftler.“
Tatsächlich war es der Wada also möglich, sich diesem richterlichen Beschluss zu widersetzen, weil das Sportgericht kein staatliches Gericht ist. „Wenn die Wada den angedachten Wissenschaftler für eine weitere Dopinganalyse nicht freistellt, dann endet hier die Reichweite der Sportgerichtsbeschlüsse, da es sich um einen zivilen Prozess handelt“, sagt Kletke.
Experte: DFB muss für erneute Dopinganalyse sorgen
Auch wenn dieser Standpunkt der Wada, deren Reglement keine C-Probe vorsieht, legitim ist, so erscheint es nicht nachvollziehbar, warum Oberholz bislang gänzlich auf eine C-Probe verzichtet. Nach Abendblatt-Informationen liegt Vuskovics restlicher Urin noch immer eingefroren in Kreischa. Bis zur nächsten Verhandlung am 17. März reicht die Zeit nicht aus, um die Dopingprobe erneut zu öffnen.
Um in dem Prozess ein Urteil zu fällen, müssen allerdings zunächst alle Beweisbeschlüsse umgesetzt werden. Es gibt zwar die theoretische Möglichkeit, einen Beweisbeschluss wieder aufzuheben. Ein solcher Vorgang ist jedoch ohne eine triftige Begründung nicht möglich. Doch auf welcher Basis sollte das geschehen?
Fall Vuskovic: Übt Wada Druck auf den DFB aus?
Zur Erinnerung: Oberholz hatte eine weitere Epo-Analyse für essenziell erklärt, um sich ein Urteil bilden zu können. „Es bleiben ungeklärte Fragen und aufklärungsbedürftige Umstände. Wenn schon Wissenschaftler unter sich uneins sind, übersteigt das die Sach- und Fachkunde des Gerichts. Deshalb muss sich das Gericht der Hilfe eines Sachverständigen bedienen“, sagte er nach der zweiten Verhandlung.
Warum scheint Oberholz von dieser Ansicht inzwischen abgewichen zu sein? Soll die C-Probe plötzlich nicht mehr relevant sein, weil die Wada hinter den Kulissen Druck auf den DFB ausübt?
Über allem steht die Frage, ob sich Oberholz vom Veto der Wada beeinflussen lässt. „Wenn das Gericht zu der Überzeugung kommt, dass weitere Beweiserhebungen erforderlich sind, dann ist dieser Weg richtig, um die Frage nach der Schuld oder Unschuld zu klären“, sagt Kletke, der zugleich eine Lösung aufzeigt, wie der DFB noch zur Beweisfindung kommen kann.
„Natürlich kann sich das Sportgericht einen anderen Wissenschaftler außerhalb der Wada suchen, um den Beweisbeschluss umzusetzen“, sagt der Rechtsanwalt, der noch einen weiteren Ansatz sieht. „Auch der Spieler hätte die Möglichkeit, einen Wissenschaftler für die erneute Dopinganalytik vorzuschlagen.“ Doch bislang hat Oberholz ein Wada-unabhängiges Labor zur weiteren Analyse ausgeschlossen.
Vuskovic: Oberholz steckt in schwieriger Lage
Wie berichtet, würde die Wada eine C-Probe nicht akzeptieren und im Falle eines Freispruchs für Vuskovic gegen den DFB in Berufung gehen. Lässt sich Oberholz von dieser Drohkulisse beeinflussen? Die Indizien deuten zumindest darauf hin, dass die Wada hinter den Kulissen gewaltigen Druck auf den DFB ausübt.
Klar ist, dass Oberholz schon vor dem dritten Verhandlungstag als angeschlagen gilt. Es gibt nur noch zwei realistische Szenarien, wie er sich glimpflich aus der Affäre um die nicht vorhandene C-Probe ziehen kann. Entweder er beauftragt doch noch einen Epo-Forscher außerhalb des Wada-Kosmos, wofür allerdings eine vierte Verhandlung oder eine erneute Verschiebung vonnöten wären.
Oder aber er gesteht am kommenden Freitag seinen Fehler ein, dass er die C-Probe mangels Akzeptanz niemals hätte in Auftrag geben dürfen. Ein solches Bekenntnis ließe ihn allerdings nicht gut aussehen.
C-Probe? Experte sieht keine rechtlichen Bedenken
Immerhin: Als Eigentümerin von Vuskovics Resturin hat die Nationale-Antidoping-Agentur (Nada) das Volumen vor Gericht für eine weitere Dopinganalyse zur Verfügung gestellt. Die 25 Milliliter aus der A- beziehungsweise die 18 Milliliter aus der B-Probe reichen hierfür aus.
„Solange der Spieler, die Nada und der Richter einer erneuten Analyse zustimmen und es eine richterliche Anordnung gibt, dürfte dieses Verfahren auf keine Bedenken stoßen“, sagt Kletke. Doch Oberholz hat offenbar Bedenken.
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Mario Vuskovic: Ist Wada laut Naud nicht neutral?
Pikant ist zudem ein kleines, aber feines Detail in dem von Naud angefertigten Gutachten zur Klärung aller offenen Fragen mithilfe der Daten der A- und B-Probe. Darin empfahl der Kanadier dem DFB, einen unabhängigen, neutralen Wissenschaftler für eine C-Probe zu beauftragen. Will Naud damit sagen, dass sowohl er als auch die gesamte Wada gar nicht neutral sind?
„Wir schließen eine Befangenheit aus“, hatte Oberholz zur Auswahl Nauds gesagt. Ein Befangenheitsgesuch der Verteidigung lehnte er folgerichtig ab. Wenige Wochen später scheint ihm ausgerechnet Naud, der einer Arbeitsgruppe mit Voss angehört, zu widersprechen.
Diese Fülle an Ungereimtheiten sagen zwar nichts darüber aus, ob Vuskovic gedopt hat oder nicht. Sie lassen allerdings zunehmend Zweifel aufkommen, ob Oberholz’ zum Prozessauftakt verkündetes Ziel („Wir wollen die Wahrheit erfahren“) jemals erreicht werden kann.