Hamburg. Nach der Schiedsrichter-Kritik und dem auf Eis gelegten neuen Vertrag wächst der Druck auf den HSV-Coach. Was das mit ihm macht.

Tim Walter fühlt sich wohl in der Rolle des Motivators. Die längste Zeit mit einem Ball in der Hand lobte er seine Spieler beim Training am Dienstag immer wieder, auch wenn einmal nicht alles funktionierte. Doch solange seine Profis beim schnellen Umschaltspiel die richtigen Entscheidungen trafen, gab es zur Belohnung einen Daumen nach oben oder sogar Applaus vom HSV-Coach. „Super“, „richtig gut gemacht!“, rief Walter seinen Spielern zu und verbreitete gute Laune.

Als diese Kapitän Sebastian Schonlau wegen der aus seiner Sicht zu langen Dauer einer Übung kurzzeitig abhandenkam, konterte Walter scherzhaft: „Was gibt’s schon wieder zu meckern, Meckerliese?“

Tim Walters HSV-Vertrag liegt auf Eis

Zweieinhalb Stunden später bestätigte Walter seine entspannte Gemütslage, als er den Presseraum in der ersten Etage des Volksparkstadions zur turnusmäßigen Spieltags-Pressekonferenz betrat. „Bascho darf das auch mal, aber er hört, wann es genug ist“, sagte der Coach über seinen Spielführer und lächelte. Egal wonach er gefragt wurde: Walter ließ sich nichts anmerken. Dabei ist es aus vielerlei Gründen auch um seine Person unruhig geworden.

Da wäre zum einen seine Vertragssituation. Ginge es nach seinem direkten Vorgesetzten Sportvorstand Jonas Boldt, wäre sein am Saisonende auslaufender Kontrakt bereits vor dem ersten Spieltag um zwei Jahre verlängert worden. Doch von dieser Maßnahme sind nach wie vor nicht alle handelnden Personen innerhalb des HSV restlos überzeugt.

Mit einer Begrenzung des vor zwei Wochen zusätzlich freigegebenen Budgets von drei Millionen Euro für Boldt hat der Aufsichtsrat nun indirekt dafür gesorgt, Walters Vertragsverlängerung auf unbestimmte Zeit auf Eis zu legen. Denn einen Großteil der Summe benötigte Boldt, um den Transfer des vor allem von Walter gewünschten Flügelspielers Jean-Luc Dompé (Ablöse, Gehalt, Beraterprovision) zu realisieren.

Neuer HSV-Vertrag? Walter gibt sich gelassen

Mit dem restlichen Betrag will Boldt Rechtsverteidiger William Mikelbrencis verpflichten. Auch diese Personalie ist natürlich eng mit Walter abgestimmt, der momentan über keinen gelernten Rechtsverteidiger im Kader verfügt.

Die Besetzung dieser Position genießt daher aktuell oberste Priorität – auch bei Walter, der seine eigenen Interessen folglich hintanstellen muss. „Ich bin entspannt und habe keine Eile“, sagte der Coach freundlich lächelnd über seine unklare Zukunft. „Ich habe immer gesagt, dass wir eine sehr gute Truppe sind und uns sehr gut verstehen innerhalb des Sports. Ich brauche auch keinen Hehl daraus zu machen, dass ich die Menschen hier in Hamburg sehr mag. Alles andere wird sich zeigen.“

HSV-Aufsichtsrat erhöht Druck auf Walter

Eine freundliche Antwort, die bei genauerer Betrachtung jedoch wie schon so häufig in den vergangenen Monaten einen entscheidenden Hinweis beinhaltete: Denn die harmonische Atmosphäre, die Walter beschrieb, bezog er bewusst auf den Sport. Außerhalb dieses Ressorts geht es längst nicht mehr so harmonisch zu beim HSV. So gilt es als offenes Geheimnis, dass Teile des Aufsichtsrats Walters Arbeit kritisch sehen.

Dessen Vorsitzender Marcell Jansen erhöhte zuletzt den Druck in einem als „Interview“ bezeichneten Beitrag auf hsv.de. „Die Ausgangssituation ist so gut wie lange nicht. Die Mannschaft konnte gehalten werden, und wir haben uns gezielt mit neuen Spielern verstärkt. Die Transferausgaben und weitere Transfermöglichkeiten sprechen eine klare Sprache in der Zweiten Liga“, sagte der Ex-Profi. „An diesem Ziel müssen wir uns alle orientieren. Wir brauchen eine klare Leistungskultur, die wir bis zum Schluss der Saison über die Ziellinie bringen.“

HSV-Absturz? Das sagt Walter

Jansens Botschaft dürfte bei allen Adressaten angekommen sein. Auch Walter, der Druck stets als Privileg bezeichnet, weiß, dass ihm nur Siege helfen, um die internen Skeptiker zu überzeugen. Gelänge die Drei-Punkte-Mission am Sonnabend beim 1. FC Nürnberg nicht (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de), drohte nicht nur der Absturz ins Tabellenmittelfeld. Eine Niederlage böte zugleich neue Nahrung für Walters Kritiker.

Zugegeben: Das alles ist viel Konjunktiv, der selbst dem gut gelaunten HSV-Coach kurzzeitig die Laune vermieste. „Vor einem Jahr hatten wir zu diesem Zeitpunkt sechs Punkte, jetzt sind es neun. Von daher ist alles okay. Am Ende waren wir Dritter, diesmal wollen wir Zweiter werden. Jetzt sind wir schon mal drei Punkte besser als vorher“, rechnete Walter fehlerfrei vor. „Lasst uns mal ein paar Partien spielen, dann schauen wir weiter.“

Schiri-Kritik am HSV: Walter gelobt Besserung

Von der Entspanntheit, mit der Walter auf die Situation um den Aufstieg blickt, war an der Seitenlinie zuletzt nur wenig zu sehen. Mit einer Wasserflasche in der Hand und immer am äußersten Rand der Coaching Zone, oder oftmals auch ein paar Schritte daneben, begleitete der 46-Jährige die Spiele seiner Mannschaft gewohnt impulsiv. Wie berichtet, wird dem HSV innerhalb der Schiedsrichterszene ein Rüpelimage attestiert. Besonders Walters häufig zu beobachtendes gestenreiches Lamentieren und Reklamieren nervt viele der Unparteiischen nur noch.

Darauf angesprochen, gelobte der vermeintliche Übeltäter Besserung, ohne sich dabei verstellen zu wollen. „Man ist, wie man ist. Authentizität gehört zum Geschäft dazu. Trotzdem weiß ich, was man vielleicht auch anders machen kann. Der Fußball lebt allerdings auch von der Lebendigkeit“, unterstrich Walter, der dem ganzen Wirbel um sich und seine Nebenleute allerdings auch nicht viel abgewinnen kann. „Wir waren in der vergangenen Saison eine der fairsten Bänke. Ich glaube, das wird auch weiterhin so bleiben.“

Der Fußballlehrer zog einen Vergleich zu anderen Sportarten, bei denen deutlich weniger reklamiert wird. „Ich ziehe den Hut vorm Handball: wie die Jungs dort hart miteinander umgehen, aber letztlich den Ball liegen lassen, wenn gepfiffen wird, weil sie wissen, sonst sofort bestraft zu werden“, sagte Walter anerkennend und wohl wissend, dass ein vergleichbar fairer Umgang im Fußball unrealistisch scheint. „Im Fußball ist das (Reklamieren; d. Red.) normal mittlerweile. Ich glaube auch nicht, dass man das zurückschrauben kann. Trotzdem sollte man sich Gedanken machen, wie man sein Verhalten verbessern kann. Das tun wir, andere sollten das aber auch tun.“

Wie präsentiert sich Walters HSV diesmal?

Nicht nur die Schiedsrichter werden in Nürnberg beobachten, ob Walters Gedanken bereits erste Früchte tragen. Auch die Aufsichtsräte werden genau hinsehen, wie sich der HSV in Spiel eins nach dem Rote-Karten-Festival gegen Darmstadt präsentiert, als Aaron Opoku, Ransford Königsdörffer und der auf den Platz gestürmte Sportvorstand Jonas Boldt des Feldes verwiesen wurden. Dabei steht insbesondere Trainer Walter im Fokus.

Viel wichtiger als die Außendarstellung dürften allerdings die angestrebten drei Punkte in die interne Bewertung einfließen. Auch der Erhalt von Walters guter Laune hängt maßgeblich davon ab.