Kiel. Im Mai 2022 hat Schleswig-Holstein gewählt, Ende Juni stand die Regierung. Was wurde aus den Versprechungen, was sagt die Opposition?
Ist er noch irgendwo zu spüren, der Zauber der neuen Verbindung? Oder hat sich der Reiz dieser Beziehung bereits verflüchtigt? Zweieinhalb Jahre ist es her, dass sich die CDU in Schleswig-Holstein für eine Koalition mit den Grünen entschieden hat – und damit gegen die FDP.
Am 28. Juni 2022 haben CDU und Grüne ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Ideen verbinden – Chancen nutzen. Schleswig-Holstein gestalten“ unterschrieben. In diesem Herbst ist Halbzeit. Wie steht das Kabinett Günther heute da? Was wurde gemacht, welche Versprechen wurden gebrochen? Und wie haben sich die Ministerinnen und Minister geschlagen? Eine Analyse.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – der Anfang
Viele Wählerstimmen haben nicht gefehlt, und es hätte für die CDU bei der Landtagswahl für die absolute Mehrheit gereicht. Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner hatten am 8. Mai 2022 für klare Verhältnisse gesorgt: 43,4 Prozent für die CDU – und damit mehr als für Grüne (18,3 Prozent), SPD (16,0) und FDP (6,4) zusammen. Daniel Günther konnte sich den Partner aussuchen. Der CDU-Politiker entschied sich gegen die bei der Wahl geschwächte FDP, die deutlich billiger zu haben gewesen wäre, und für die erstarkten, machtbewussten Grünen. Warum? Weil er so eine Zweidrittelmehrheit im Landtag zusammenbekam, damit die finanzielle Notlage ausrufen und Kredite trotz Schuldenbremse aufnehmen konnte. Das zumindest ist die Lesart der verschmähten FDP.
Leuchtturmprojekte, um ein maritimes Bild zu bemühen, hat Schwarz-Grün keine zustande gebracht. Den Fehmarnbelttunnel bauen die Dänen; die positiven Signale, die vom Baustart der großen Autobatterie-Fabrik in Heide ausgehen, werden immer wieder gestört durch negative Firmeninterna aus dem Northvolt-Heimatland Schweden; bei der A20 herrscht Stillstand. Statt Aufbruchsignalen häufen sich die schlechten Nachrichten aus den schleswig-holsteinischen Niederungen: Eltern und Kita-Beschäftigte demonstrieren gegen den Ministerpräsidenten und seine Sozialministerin, die Sozial- und Arbeitsrichter gegen die Justizministerin, Bauern und Wassersportler gegen den Umweltminister. Schleswig-holsteinische Schüler landen bei nationalen Bildungstests auf hinteren Plätzen, der Ganztagsausbau stockt, die Wirtschafts- und Finanzdaten sind alarmierend.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Herausforderungen
Der Krieg in der Ukraine, die Spätfolgen von Corona, die verheerende Sturmflut an der Ostsee, der Flüchtlingszustrom – Schwarz-Grün muss seit zweieinhalb Jahren gegen gleich mehrere Krisen an regieren. Das nächste Problem: Die Kassen sind leer, und die Zeit der großen Notkredite ist vorbei, mit denen Schwarz-Grün die ersten zwei Jahre die Schuldenbremse umging. SPD und FDP klagen vor dem Verfassungsgericht gegen die Haushaltsführung. Regieren ist in Schleswig-Holstein deutlich schwieriger geworden als in der Legislaturperiode zuvor, als die FDP das Bündnis von CDU und Grüne komplettierte. Die Jamaika-Koalition konnte zwischen 2017 und 2022 aus dem Vollen schöpfen. Die Koalitionspartner gönnten einander Erfolge, und politische Streitigkeiten lösten sie mit Geld. Das mit dem Geld ist Geschichte.
Streit intern auszufechten, statt ihn wie die Ampel-Regierung in Berlin nach außen zu tragen, hatte Günther und seiner Jamaika-Koalition außergewöhnlich hohe Zufriedenheitswerte in Umfragen eingebracht. An der unaufgeregten und nach außen harmonischen Regierungsarbeit halten CDU und Grüne fest – trotz der Haushaltsmisere und des Abgangs von Finanzministerin Monika Heinold in diesem Sommer.
„Die Zwischenbilanz der ersten zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün ist absolut positiv, die Zusammenarbeit mit den Grünen funktioniert sehr gut“, bilanziert der Regierungschef. Auch Schleswig-Holstein – wie der Bund und die anderen Länder – müsse auf neue wirtschaftliche und finanzpolitische Realitäten reagieren. „Ich glaube, dass die Menschen daher Verständnis dafür haben, wenn ein Koalitionsvertrag nicht mehr 1:1 umgesetzt wird.“ Heißt: Schwarz-Grün werde nicht alle Versprechen halten können, sagt Günther.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Finanzpolitik
Zwölf Jahre lang war Monika Heinold von den Grünen Finanzministerin des Landes. Zuletzt hatte die 65-Jährige genug davon. Zum Bedauern Günthers verkündete die stellvertretende Ministerpräsidentin in diesem Sommer ihren Rücktritt. Heinold galt mir ihrer ruhigen, ausgleichenden Art als stabilisierendes Element in dem Bündnis der beiden so unterschiedlichen Parteien.
Sie hatte es den Regierungspartnern leicht gemacht, geschmeidig durch die Haushaltskrise zu kommen: So nahm das Land allein im laufenden Jahr trotz Schuldenbremse gleich drei Notkredite über insgesamt 1,5 Milliarden Euro auf. Heinolds Nachfolgerin ist Silke Schneider. Die Richterin hat der Regierung einen Sparkurs verdonnert. Insgesamt eine Milliarde Euro muss Schwarz-Grün in den nächsten Jahren sparen. So wird an den Klassengrößen geschraubt, das Geld für Tierheime gestrichen, eine Justizreform gestartet.
Der Regierungschef spricht von einem „Konsolidierungskurs mit Augenmaß“. Schwarz-Grün spare das Land nicht kaputt. „Wir investieren – in die innere Sicherheit, die Bildung, in unsere Kitas, in die Justiz oder in den Bereich Wohnungsbau. Trotz des Spardrucks kommen wir zu guten Ergebnissen und zeigen, dass Politik handlungsfähig ist“, sagt Günther. „CDU und Grüne haben viel zu spät erkannt, dass sie sparsamer haushalten müssen. Jetzt müssen sie schmerzhafte Einsparungen vornehmen“, kritisiert Christopher Vogt, FDP-Partei- und -Fraktionschef.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Innen- und Sicherheitspolitik
Von Sabine Sütterlin-Waack, der auch bei der Opposition geschätzten CDU-Innenministerin, heißt es, sie hätte nichts dagegen, wie Monika Heinold die Regierungsbank zu verlassen, um mehr Zeit für die Familie zu finden. Nur will Ministerpräsident Daniel Günther die 66-Jährige nicht gehen lassen, und sie ist zu pflichtbewusst, es trotzdem zu tun. Zu wichtig sind die Themen, die in ihrem Ministerium zusammenlaufen: Polizei, Verfassungsschutz, Katastrophenschutz fallen in die Zuständigkeit der CDU-Politikerin.
Sütterlin-Waack hat nach der tödlichen Messerattacke von Brokstedt mit zwei in der Bahn ermordeten jungen Leuten auf Landesebene und bundesweit über die Innenministerkonferenz zügig Konsequenzen aus dem Behördenversagen eingeleitet, das der Tat vorausging. Unter ihrer Verantwortung wird bei der Landespolizei eine zweite Einsatzhundertschaft aufgebaut, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur Terrorabwehr werden ausgeweitet. In Vorbereitung ist die Nutzung künstlicher Intelligenz durch die Polizei, der Einsatz von Gesichtserkennungs-Software zum Abgleich mit Datenbanken, und der Informationsaustausch zwischen Behörden soll verbessert werden.
Nach den Messerangriffen von Brokstedt im Januar 2023 sowie Mannheim und Solingen in diesem Jahr misst das schwarz-grüne Kabinett dem Thema Innere Sicherheit eine ganz andere Bedeutung bei als zum Regierungsstart. So hat das Kabinett gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg einen Bundesratsantrag gestartet, der vor dem dreifachen Messermord von Solingen noch am Widerstand der Grünen gescheitert wäre. In dem Antrag ging es auch um schnellere Abschiebungen und mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz.
Neben dem Thema Innere Sicherheit verantwortet Sütterlin-Waack als Innenministerin aber auch das Thema Wohnen. Hier überwiegt die Kritik an ihrer Arbeit. Der Wohnungsbau stockt, was allerdings kein rein schleswig-holsteinisches Problem ist. Laut Mieterbund fehlen im Land rund 75.000 Sozialwohnungen. Und Geld für die Sanierung der Ortskerne („Städtebauförderung“) will die Regierung auch nicht mehr aus dem Landesetat zahlen. Künftig soll der Landesanteil aus dem Topf des Kommunalen Finanzausgleichs genommen werden – das ist Geld, das den Kommunen ohnehin zusteht. Das nennt die FDP „dreist“. Das Land lasse die Kommunen im Stich.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Wirtschaftspolitik
Für Wirtschafts- und Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen, den Dänen in Günthers Kabinett, läuft es nicht gerade rund. Zwar ist der eloquente Bartträger gern gesehener Gast bei Markus Lanz und Co., aber zu Hause leidet er wie alle Ministerinnen und Minister unter den finanziellen Zwängeligkeiten eines hoch verschuldeten Landes, das bislang über seine Verhältnisse lebt. Die Einnahmen steigen langsamer als erhofft, die Ausgaben galoppieren davon, und die konjunkturelle Lage verschlechtert sich zusehends. Nach einer Umfrage der IHK bewertet nur jedes vierte Unternehmen (24 Prozent) die Situation als gut. 25 Prozent der Firmen sprechen von einer schlechten Lage, und jeder dritte Betrieb rechnet mit einer Verschlechterung.
Massive Kritik von Parteien, Gewerkschaften und Kommunen handelte sich Madsen für die Ausdünnung der Fahrpläne bei der Bahn ein. Um zu sparen, hat der CDU-Politiker vor allem spätabends und am Wochenende Zugverbindungen gestrichen. Auf Madsens Habenseite stehen Initiativen zur Entbürokratisierung (auch über den Bundesrat). Was Madsen so beliebt im Land macht: Er ist kein Politiker deutscher Ausprägung. Wenn er sich ärgert, sagt er das. Wenn er sich richtig ärgert, fallen solche Sätze: Die Deutsche Bahn möge keine Tickets mehr verkaufen, sondern Eintrittskarten für die Museumsbahn. Meist klingen seine Aussagen nicht nach dem Politiker Madsen, sondern nach dem Möbelverkäufer, der er mal war. Klar, direkt, schnörkellos.
Die Opposition arbeitet sich zunehmend an Madsen ab. Sie hat ihm einmal Arbeitsverweigerung vorgeworfen und – erfolglos – einen Missbilligungsantrag in den Landtag eingebracht. „Es fehlen neue Impulse durch den Wirtschaftsminister. Günther und Madsen sprechen immer wieder zu Recht vom notwendigen Bürokratieabbau, tun jedoch mit der Grundsteuerreform, dem Energiewende- und Klimaschutzgesetz und dem Landeswassergesetz das genaue Gegenteil und verteuern das Bauen und Wohnen zusätzlich“, kritisiert FDP-Politiker Vogt.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Bildungspolitik
Eine Bildungsstudie mit schlechten Noten für schleswig-holsteinische Schülerinnen und Schüler nach der anderen fällt in die Verantwortung von Karin Prien, der CDU-Bildungsministerin. Egal, ob Grundschüler oder Jugendliche die weiterführende Schulen besuchen – meist landen Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein auf hinteren Plätzen, wenn das Bildungsniveau bundesweit verglichen wird. Zuletzt hatte das Münchner Ifo-Institut für seinen Bildungsmonitor bundesweit folgende Frage gestellt: „Welche Schulnote würden Sie den allgemeinbildenden Schulen in Ihrem Bundesland geben?“ Vorne liegen Bayern, Sachsen und Hamburg. Schleswig-Holstein landet auf Platz 10.
Während Schleswig-Holstein in vielen Bildungstests abbaut, legt Hamburg seit Jahren zu. Nach dem „PISA-Schock“ hatte Hamburg – anders als das Nachbarland – konsequent reagiert und das Personal an Grundschulen in sozial schwierigen Lagen aufgestockt, Klassen verkleinert, zusätzliche Fördermöglichkeiten geschaffen, verpflichtende Nachhilfe für schlechte Schüler eingeführt. Die Kompetenzen in Deutsch, Mathematik und Englisch werden jedes Jahr in den Klassenstufen 2, 3, 5, 7, 8 und 9 mit standardisierten Tests überprüft, das Sprachvermögen jedes viereinhalb Jahre alten Kindes getestet. Wer durchfällt, wird ein Jahr lang in der Vorschule sprachlich gefördert. Schleswig-Holstein hinkt hier Jahre hinterher.
Schleswig-Holstein kürzt 2025 im Bildungsbereich, in dem es die Unterrichtsversorgung von 101 auf 100 Prozent senkt. Das entspricht umgerechnet rund 200 Lehrerstellen. „Dass die Regierung den Bildungsbereich ins Visier nimmt, zeugt von einer völlig falschen Prioritätensetzung“, kritisiert SPD-Chefin Midyatli. Wer angesichts schlechter Ergebnisse in Rankings bei der Bildung kürze, „spart an den Kindern und gefährdet damit die Zukunft unseres Landes.“ Der Eindruck verstärke sich, dass die Landesbildungsministerin nur noch darauf warte, nach Berlin zu wechseln, sagt FDP-Politiker Vogt. Karin Prien ist stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU. Sie wird als Ministerin im Schattenkabinett von CDU-Bundeschef Friedrich Merz gehandelt.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Sozial- und Migrationspolitik
Aminata Touré ist so etwas wie der Shootingstar im Kieler Kabinett. Als Landtagsvizepräsidentin und normale Abgeordnete endete für die Grüne die vergangene Legislaturperiode – jetzt ist sie Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung und seit wenigen Wochen zudem stellvertretende Ministerpräsidentin. Die Verantwortung ist groß, steuert Touré doch zwei große Projekte. Scheitert die selbstbewusste 32-Jährige bei den Themen Migration und Kitareform, dann scheitert die Kieler Landesregierung.
„Wir wollen eine Erhöhung des Personalschlüssels in dieser Legislaturperiode. Jede und jeder muss sich Kinderbetreuung leisten können: Die Elternbeiträge werden weiter reduziert.“ So steht es im Koalitionsvertrag. Die Realität ist eine gänzlich andere. Es fehlt an Erzieherinnen und Erziehern, an Kitaplätzen – laut einer Bertelsmann-Studie rund 15.000 –, an einer auskömmlichen Finanzierung der Einrichtungen, und an Gebührensenkungen ist überhaupt nicht zu denken. Stattdessen klagen Eltern über Ausfälle und geschlossene Kitas, Erzieher über schwierige Arbeitsbedingungen. 110 Millionen Euro fehlen für eine auskömmliche Finanzierung der Kitas. Schwarz-Grün will die Lücke schließen, indem Land und Kommunen jeweils 20 Millionen Euro zusätzlich geben. Die verbleibenden 70 Millionen will Touré durch „Anpassungen“ der Kitastandards zusammenbekommen. Laut Sozialministerium stellt das Land im kommenden Jahr 757 Millionen Euro für Kitas bereit – so viel wie noch nie, sagt Touré, die im Mai ihr erstes Kind erwartet.
Die Politikerin der Grünen hat das Sozialministerium von Heiner Garg übernommen. Für den FDP-Experten ist die Kitareform „ein Schlag ins Gesicht aller Fachkräfte, denn die Landesregierung hatte ihnen eine weitere Verbesserung der Qualität versprochen. Stattdessen öffnet Schwarz-Grün die Tür für einen dauerhaft abgesenkten Betreuungsschlüssel.“
Tourés Eltern stammen aus Mali. Sie waren 1991 nach einem Putsch nach Deutschland geflohen und kamen in einem Flüchtlingsheim unter. Jahrelang hangelte sich die Familie von einer Duldung zur nächsten, permanent von Abschiebung bedroht. Das prägt. Insofern drängten die Grünen in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU darauf, die Zuständigkeit für die Integration aus dem Innenministerium zu lösen und bei der neuen Sozialministerin Touré anzudocken. In der Zwischenzeit ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Schleswig-Holstein Zuflucht suchen, massiv gestiegen. Die Kommunen, wissen kaum, wie sie die Menschen dauerhaft unterbringen sollen. Das gesellschaftliche Klima hat sich nicht zuletzt nach den Messerattacken in Solingen und Mannheim verändert. Abschiebungen sollen vereinfacht und beschleunigt werden, Asylverfahren sind an den Außengrenzen geplant. Was Touré lange politisch bekämpft hat, muss sie jetzt umsetzen. Jedenfalls, wenn es in die Zuständigkeit des Landes fällt. Die Opposition wirft der grünen Ministerin einen „Zickzackkurs“ in Migrationsfragen vor.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Umwelt- und Agrarpolitik
Aus 1 mach 2: In Günthers erstem Kabinett kümmerte sich ein Ministerium um die Themen Landwirtschaft, Energiewende, Natur und Umwelt, jetzt sind es zwei. Der grüne Tobias Goldschmidt verantwortet die Umweltpolitik, der CDU-Politiker Werner Schwarz, ein ehemaliger Bauernpräsident, die Agrarpolitik.
Die beiden kommen sich immer wieder ins Gehege: beim Wolfsmanagement, der Gänseplage, einem „Nationalpark Ostsee“. Der grüne Goldschmidt hatte die Idee vorangetrieben, größere Teile der schleswig-holsteinischen Ostseeküste in einem Nationalpark unter strengen Schutz zu stellen – gegen den massiven Widerstand von Fischern, Wassersportlern, Kommunen, Hoteliers, Landwirten und größeren Teilen der CDU. Spätestens, als der Ministerpräsident im Sommer 2023 auf Fehmarn niedergebrüllt und -geträllert wurde, war klar: Goldschmidts Plan ist gescheitert. Stattdessen gibt es jetzt quasi „Ostseeschutz light“. Auf Goldschmidts Habenseite steht, dass ein Pilotprojekt zur Bergung der Weltkriegsmunition aus der Ostsee gestartet ist, das allerdings der Bund komplett finanziert. Und dass die Netzentgelte und damit die Strompreise im kommenden Jahr sinken. Dafür hatte Schleswig-Holstein viele Jahre gekämpft.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Justiz- und Gesundheitspolitik
Ein Politikneuling verantwortet seit zweieinhalb Jahren die Themen Justiz und Gesundheit: Kerstin von der Decken, eine Professorin für Völker- und Europarecht. Zwei große Reformen beschäftigen die sachlich und ruhig auftretende CDU-Politikerin vor allem: Karl Lauterbachs Krankenhausreform und deren Auswirkungen auf die schleswig-holsteinische Kliniklandschaft sowie ihre eigene Justizreform. Von der Decken gilt als eine der profiliertesten Gegnerinnen des SPD-Bundesgesundheitsministers. Sie warnt vor „ökonomischen Fehlanreizen“, sieht die medizinische Versorgung in Teilen gefährdet, greift Alleingänge Lauterbachs scharf an, betont aber auch, dass es zu einer großen Klinikreform kommen muss, um Krankenhausmedizin auskömmlich zu finanzieren und Klinikinsolvenzen zu vermeiden.
Auf Landesebene hat die CDU-Politikerin eine Justizreform gestartet, mit der sie größere Teile des Berufsstands gegen sich aufgebracht hat. Um Ausgaben zu senken, will sie die bislang dezentralen Sozial- und Arbeitsgerichte an einem Ort zusammenlegen. Im Gespräch ist Neumünster. Die Finanzrichter, bislang in Kiel angesiedelt, sollen dann in frei werdenden Räumlichkeiten in Schleswig unterkommen. Im nächsten Schritt steht eine Reform der Amtsgerichte an. Das Hauptproblem: Die Reform der Arbeits- und Sozialgerichte wurde, so empfinden es die Betroffenen, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossen und dann zunächst per Mail verkündet. Die Gegenwehr von Richter, Sozialverbänden, Gewerkschaften und Parteien ist groß.
Zweieinhalb Jahre Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein – die Staatskanzlei
Daniel Günther hat noch nicht genug. Seit 2017 Ministerpräsident, hat er vor wenigen Tagen erst beim Talk im Berliner Kabarett „Distel“ von der großen Freude am Job, der Abneigung gegenüber der Berliner Politik und seinen gerade mal 53 Jahren gesprochen, die er am Ende der Legislaturperiode alt sein wird. Zu jung sei das, um in Rente zu gehen. Und so spreche einiges für eine dritte Amtszeit, sagte der CDU-Politiker. Sofern die Wählerinnen und Wähler mitziehen.
Jetzt ist er mitten in der zweiten. Auch wenn das Thema Umweltschutz und Erderwärmung laut Umfragen bundesweit deutlich an Bedeutung verloren hat – Günther hält an den grün-schwarzen klimapolitischen Zielen als einem Schwerpunkt in der laufenden Legislaturperiode fest. Schleswig-Holstein soll demnach bis 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland transformiert werden. „Wir sind voll auf Kurs beim Ausbau der erneuerbaren Energien, unsere Windkraftziele erreichen wir schneller als geplant, bei der Wärmeplanung sind wir weiter als viele andere Länder“, bilanziert Günther.
Naturgemäß fällt das Urteil der Opposition anders aus. Von den klimapolitischen Zielen sei die Landesregierung Lichtjahre entfernt, behauptet FDP-Chef Vogt. „Wenn CDU und Grüne so weitermachen, wird Schleswig-Holstein kein klimaneutrales Industrieland, sondern maximal ein industriefreies Klimaland werden.“ Und Serpil Midyatli, die Oppositionsführerin von der SPD, wirft Günthers Kabinett vor, die großen Probleme nicht zu lösen. Man habe das Gefühl, dass Öffentlichkeitsarbeit und das Produzieren schöner Bilder in den sozialen Medien der Landesregierung wichtiger sei, als die großen Herausforderungen anzugehen.
Neben dem Klimaschutz ist das Thema Innere Sicherheit inzwischen von zentraler Bedeutung. Gemeinsam mit Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen – auch hier regiert Schwarz-Grün – hat Günther zuletzt demonstriert, dass auch mit einem grünen Regierungspartner konservative Sicherheitspolitik machbar ist. Danach sah es zu Beginn der Regierungszeit nicht aus. Daniel Günther bemühe sich zusehends, die konservativere Seite zu bedienen, urteilt der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen. „Am Anfang hatte man den Eindruck, nur die Grünen wollen sich profilieren“, sagt der Parteienkenner. „Günther gefiel sich darin, den ideellen Gesamtvater der ganzen Veranstaltung zu geben.“ Dieses Bild wandele sich, sagt Knelangen. Günther bekomme angesichts der klaren Machtverhältnisse Druck, CDU-Positionen durchzusetzen.
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Günther hingegen betont lieber, was ihn mit den Grünen verbindet, statt das Trennende herauszustellen. „Die Koalition eint das Thema Zusammenhalt in der Gesellschaft. Hier in Schleswig-Holstein haben wir keine Radikalen im Parlament, weil wir zeigen, dass man über die Parteigrenzen hinweg verantwortungsvoll Politik machen kann“, sagt der Regierungschef. „In unserer Koalition zeigen wir, dass auch unterschiedliche Parteien sehr gut zusammenarbeiten und Lösungen finden können, ohne sich zu streiten oder auseinanderdividieren zu lassen. Das ist unser schleswig-holsteinischer Weg und den werden wir auch die nächsten zweieinhalb Jahre genau so weitergehen“, sagt Günther, der sich auch mit dem SPD-Bürgermeister von Hamburg, Peter Tschentscher, sehr gut versteht.
FDP-Landeschef Christopher Vogt nimmt Günther das nur bedingt ab. „Sein wichtigstes Ziel ist es, dass seine Koalition ihre große Uneinigkeit nicht öffentlich austrägt. Das mag mit Blick auf die gescheiterte Ampel-Koalition geschickt sein, sorgt aber immer mehr für politischen Stillstand, der unser Bundesland zurückwirft“, sagt Vogt, der Günthers Staatskanzleichef Dirk Schrödter in die Kritik mit einbezieht. Schrödter regiere sehr stark in die Ministerien hinein, halte sich dabei aber mit Kleinteiligem auf. (Mit: dpa)