Kiel. 120 Millionen Euro fehlen in der Kinderbetreuung. Personalschlüssel wird gesenkt. Was die Ministerin sagt. Widerstand der Kommunen.

Es war, wieder einmal, kein leichter Tag für Aminata Touré. Während sich im schleswig-holsteinischen Landtag die Opposition an der Sozialministerin abarbeitete und die Kita-Politik der grünen Politikerin scharf angriff, demonstrierten vor der Tür etliche Hundert Menschen aus sozialen Berufen gegen einen befürchteten Sozialabbau angesichts der Haushaltsmisere. Dazu aufgerufen hatten die Landesverbände der Arbeiterwohlfahrt und des Paritätischen. Unter den Demonstrierenden waren viele Kita-Eltern, die eine Beitragserhöhung befürchten – trotz fehlenden Personals und ständigen Ausfällen in der Betreuung der Kinder.

Zumindest den Kita-Eltern dürfte die schwarz-grüne Landesregierung an diesem Mittwoch mit einer Regierungserklärung Aminata Tourés die Sorgen vor höheren Gebühren genommen haben: „Wir werden die Beiträge nicht erhöhen“, versprach Touré, was zwischenzeitlich im Gespräch war. Auch rühre die schwarz-grüne Landesregierung die Gruppengrößen nicht an. Was sich aber ändert – und bis zu 100 Millionen Euro Einsparungen bringen soll –, ist der sogenannte Anstellungsschlüssel für die Fachkräfte in den Kitas. Man passe das Kita-System damit der Realität an, sagte die grüne Politikerin.

Kitas in Schleswig-Holstein: 120 Millionen Euro fehlen

Kitas und Krippen fehlt in Schleswig-Holstein ein dreistelliger Millionenbetrag – auch weil sich die Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP bei der Kita-Reform im Jahr 2020 verrechnet hat. So wurde das Weihnachtsgeld für die Erzieher in der auf Annahmen beruhenden Kostenkalkulation schlicht vergessen. Die Folge: „Wir haben eine Lücke von 120 Millionen Euro im Kita-System.“

Das betonte Touré am Mittwoch in Kiel. Der „Evaluationsbericht zum Kindertagesförderungsgesetz“, eine Art wissenschaftliche Inventur des Kita-Systems, listet auf, woran es im Norden fehlt – nämlich an Kitaplätzen (laut Bertelsmann-Studie mehr als 15.000), an Erzieherinnen und Erziehern, an Flexibilität und vor allem an Geld.

Dabei fließen immerhin Jahr für Jahr gut 1,8 Milliarden Euro in das Kinder-Betreuungssystem. 43 Prozent zahlt das Land, 37 Prozent finanzieren die Gemeinden und 20 Prozent die Eltern über Beiträge, die seit der Kitareform bei rund 230 Euro pro Kind bei einer Achtstundenbetreuung gedeckelt sind. Mit der Kita-Reform hatte die Jamaika-Koalition Schluss gemacht mit Kita-Gebühren, die in Teilen des Landes zu den höchsten in Deutschland gehörten.

Kita-Finanzierung: Land und Kommunen sollen je 20 Millionen Euro mehr zahlen

Nur reicht das Geld bei Weitem nicht, um die Kitas im Norden auskömmlich zu finanzieren, 120 Millionen Euro fehlen. Eine Möglichkeit, die Lücke zu schließen: Land, Kommunen und Eltern zahlen deutlich mehr. Möglichkeit Nummer zwei: Die Kosten müssen runter. Das Problem bei Variante 1: Versprochen ist im Koalitionsvertrag, dass die Elternbeiträge perspektivisch sinken und nicht steigen.

Aber in Folge einbrechender Steuereinnahmen und steigender Ausgaben fehlt der schwarz-grünen Regierung das Geld, das Problem komplett aus dem laufenden Haushalt zu lösen. Nach Tourés Plan sollen das Land und die Kommunen aber zumindest jeweils 20 Millionen Euro jährlich zusätzlich ins System schieben. Den Rest finanziert das Land über eine Absenkung der Standards, sprich des Anstellungsschlüssels. „Wir werden das System kostengünstiger machen“, kündigte Touré an.

Bislang müssen in jeder Gruppe zwei Fachkräfte arbeiten, in begründeten Ausnahmen dürfen die Kitas die befristete Absenkung auf 1,5 beantragen. Künftig sollen die 2,0 zwar Standard für die Kita sein, nicht aber für jede einzelne Gruppe. Die Kitas können von sich aus die Betreuung auf 1,5 Erzieher pro Gruppe senken, die dann auch nur noch bezahlt werden. Damit erhielten vor allem große Kitas mit mehreren Gruppen mehr Entscheidungsspielraum, das Personal dort einzusetzen, wo sie es am dringendsten benötigen. „Die Kitas werden flexibler“, sagte Touré. Durch diese Änderungen beim Anstellungsschlüssel glaubt die Sozialministerin, bis zu 100 Millionen Euro im Jahr einsparen zu können.

Kleinst-Kitas sollen mehr Personal bekommen

Zudem will die Landesregierung mehr Personal für die 237 kleinen Kitas im Land bereitstellen und 40 Millionen Euro allein durch Bürokratieabbau und mehr Freiheiten bei der Gestaltung der Räume und Außenflächen einsparen. Das ist der Plan. Nur ob die Kommunen den überhaupt mittragen wie die Kita-Reform vor vier Jahren, ist völlig offen.

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„Die von der Landesregierung verkündete Lösung basiert auf nicht belastbaren Annahmen und bedeutet eine Verschiebung der Lasten auf die kommunale Ebene“, kündigten die Kommunalen Landesverbände Widerstand an. Sie zweifeln Tourés Zahlen an: „Vermeintliche Einsparungen durch eine Anpassung von Standards oder der Finanzierungslogik müssen aber so ausgestaltet sein, dass die Entlastung wirkungs- und zeitgleich eintritt. Diesen Nachweis ist die Landesregierung weiterhin schuldig“, kritisieren die Kommunen. Ihr Fazit fällt vernichtend aus für die Landesregierung: „Was bleibt, ist vor allem die Erkenntnis, dass man entgegen den bisherigen Ankündigungen nicht an Gesamtlösungen interessiert zu sein scheint“, schreiben die Spitzenverbände.

SPD-Chefin spricht von Sozialabbau

Oppositionsführerin Serpil Midyatli von der SPD nannte die schwarz-grünen Pläne zur Konsolidierung der Kitas „Sozialabbau nach Kassenlage. Sie haben Mindeststandards in das Gesetz geschrieben und wollen diese jetzt unterschreiten“, griff die SPD-Politikerin Sozialministerin Touré und Ministerpräsident Daniel Günther direkt an. „Klären Sie endlich die Finanzierungsfragen, ohne neue Unsicherheiten und Zukunftsängste zu schüren“, kritisierten Midyatli, Christian Dirschauer vom SSW und Heiner Garg von der FDP die Kita-Finanzierung.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände blickt schon seit Monaten mit Sorge auf die Entwicklung. „Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Kita-Reform wesentliche Ziele nicht erreicht hat“, kritisiert die LAG. Kritisch sieht sie, dass ein erheblicher Teil der Finanzierungslücke über die Absenkung von Qualitätsstandards erwirtschaftet werden solle.