Hamburg. Mutmaßlicher Täter ist syrischer Flüchtling. Er hätte längst abgeschoben werden sollen. Auch in Hamburg gibt es viele Ausreisepflichtige.

Nach dem islamistischen Terroranschlag von Solingen sind noch viele Fragen offen. Diese alle zu beantworten wird dauern. Sicher ist: Der mutmaßliche Täter hätte gar nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Er war ausreisepflichtig und sollte nach Bulgarien abgeschoben werden. Es ist nicht das erste Mal, dass ein ausreisepflichtiger Geflüchteter einen Anschlag begeht. Auch in Hamburg ist das schon passiert. Was sagen die Zahlen? Wie viele Menschen halten sich hier unerlaubt auf? Und warum scheitern Abschiebungen?

Einen Überblick liefert das monatliche „Lagebild Flüchtlinge“. Aktuell gibt es 8795 ausreisepflichtige Menschen in Hamburg (Stand Ende Juni). Der Großteil besitzt eine Duldung, hält sich also legal hier auf: Das sind 6322 Menschen. Die übrigen 2473 Personen müssten Deutschland eigentlich verlassen – tun es aber aus verschiedenen Gründen nicht.

Wie gefährdet ist Hamburg nach dem Anschlag in Solingen?

Die Zahl der Ausreisepflichtigen ist im vergangenen Jahr zwar insgesamt um 19 Prozent gesunken, das liegt aber am deutlichen Rückgang der Zahl von Menschen mit Duldung. Die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen ohne Duldung bleibt seit fünf Monaten mit knapp 2500 auf gleichem Niveau. Vor einem Jahr waren es 2752 und damit nur ein paar Hundert mehr als jetzt.

Bei den Abschiebungen ist Hamburg vor allem auf Freiwilligkeit angewiesen: Von den 132 Rückführungen im Juni waren die meisten freiwillig: nämlich 91. Das geht ebenfalls aus dem Lagebild hervor. Nur 26 Menschen wurden in einen Drittstaat abgeschoben. 19 mussten zurück in ihr Herkunftsland.

Die Grafik der Stadt Hamburg zeigt Gründe auf, warum Menschen, die abgeschoben werden sollten, blieben.
In Hamburg sind zuletzt weniger Menschen ausreisepflichtig gewesen als noch im vergangenen Jahr. (Stand 31. Juli 2024) © Stadt Hamburg

Hamburg: Die meisten bekannten Islamisten sind gewaltbereit

Laut Hamburger Verfassungsschutz gibt es in unserer Stadt 1840 Islamisten. Der allergrößte Teil von ihnen ist gewaltorientiert, nämlich 1520. Die Zahl der Salafisten beläuft sich auf 450. Salafisten gehören der sunnitischen Glaubensrichtung an – genau wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Von den Salafisten werden 205 als Dschihadisten geführt. Dschihadisten sind Teil der ultrakonservativen Salafisten. Der bewaffnete Kampf ist ihr Hauptmittel. Die Zahl der gewaltbereiten Islamisten steigt kontinuierlich und schnell an: Seit 2015 hat sich die Zahl fast verdreifacht: von 580 auf 1520. Auch das geht aus dem Verfassungsschutzbericht hervor.

Radikalisierung via TikTok und Co: Viele junge Islamisten

Islamismus ist ein wachsendes Problem. Der Verfassungsschutz beobachtet unter den Islamisten seit Jahren „die größten Steigerungszahlen“, wie es im aktuellen Bericht heißt. „Auch im Jahr 2023 sind die Zahlen wieder gestiegen.“ Dabei ist eine Gruppe besonders anfällig: „Wir haben es hier vermehrt mit jüngeren Menschen zu tun, die in Gestalt popkultureller Influencer gezielt versuchen, junge Muslime anzusprechen, die in Deutschland geboren und sozialisiert wurden“, schreibt der Verfassungsschutz.

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Wie das Abendblatt aus Sicherheitskreisen erfuhr, klagte der mutmaßliche Täter von Solingen gegen seine Abschiebung nach Bulgarien. Es war das für sein Verfahren zuständige Ankunftsland in Europa. Eine Abschiebung sollte trotzdem stattfinden, scheiterte aber, weil der Mann beim ersten Versuch nicht in seiner Unterkunft angetroffen wurde. Warum später offenbar nicht mehr nachgefasst wurde, der Syrer sich fortan frei in NRW bewegen konnte und später sogar den amtlichen Schutzstatus bekam, muss geklärt werden.