Schwarzenbek/Büchen. Bislang sind in Schleswig-Holstein nur wenige Tiere sesshaft. Viele Angriffe auf Weidetiere gehen auf durchziehende Wölfe zurück.
Tierhalter in Bundesländern wie Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen müssen sich bereits etwa eineinhalb Jahrzehnte damit auseinandersetzen, dass der Wolf nach seiner Ausrottung im 18. und 19. Jahrhundert wieder zurückkehrt. Obwohl in Schleswig-Holstein gesichert erst ein Wolfsrudel in einem Waldgebiet im Kreis Segeberg lebt, ein weiteres Paar dauerhaft im Sachsenwald, herrscht Uneinigkeit, wie der Schutz von Schafherden und anderen Weidetieren gestaltet werden soll. Dies wurde jüngst im Herzogtum Lauenburg deutlich, als ein Experte des Landes in einer Ausschuss-Sitzung des Kreises die Verantwortung dafür den Tierhaltern zuwies.
Was anwesende Landwirte und Züchter erzürnte, waren Äußerungen, Wolfsrisse seien für Betroffene häufig ein gutes Geschäft. Der finanzielle Schaden wird ersetzt. Der Referent hatte die Situation aus Sicht des Landes beleuchtet, dabei erläutert, unter welchen Umständen Kiel finanzielle Unterstützung zur Abwehr von Wolfsangriffen leistet. In ausgewiesenen Präventionsgebieten, darunter den Kreisen Herzogtum Lauenburg und Segeberg, fördert Kiel den Kauf von wolfssicheren Schutzzäunen, in besonderen Fällen auch von Herdenschutzhunden.
Wolfsangriffe: Schafzüchter kritisieren das Land
An den Aufbau- und Unterhaltungskosten beteilige sich das Land dagegen nicht, diese seien der Eigenanteil der Züchter beziehungsweise Tierhalter, so der Referent. Dies verärgerte anwesende Tierhalter ebenso wie die Erklärung, in erster Linie seien die Schafhalter für Risse durch Wölfe verantwortlich: Sie hätten ihre Tiere nicht ausreichend geschützt, damit womöglich auch gegen das Tierschutzgesetz verstoßen.
„Das passt so gar nicht zur Erklärung von Referent Thomas Gall, auch die geforderten Schutzmaßnahmen könnten Wolfsrisse nicht vollständig verhindern“, kritisiert Ingo Westphal, Vizevorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion. Wer so argumentiere oder meine, Wölfe seien vor allem „ein emotionales Problem“, dürfe sich nicht wundern, dass er als Ansprechpartner für Tierhalter nicht infrage komme.
Schafzüchter: Forderungen am Schreibtisch erdacht
Fraktionskollege Michael Sauerland, selbst Schafzüchter mit rund 200 Tieren, setzte sich gegen die Äußerungen des Referenten zur Wehr. „Welcher Tierhalter reagiert denn mit Gleichgültigkeit, wenn er auf seiner Weide gerissene und übel zurichtete sterbende Tiere findet? Ich kenne keinen.“
Er selbst betreibt seine kleine Zucht auf einem Dauerareal hinter festen Zäunen, die zusätzlich mit Strom gesichert sind. Viele Herden wanderten aber. „Der Artenschutzreferent sollte sich mal die Zeit nehmen und nur ein bis zwei Wochen mitziehen. Wenn er dann jeden Tag einen geforderten, 1,20 Meter hohen Schutzzaun um eine Herde aufbaut, weiß er sehr schnell, dass diese Forderung am Schreibtisch erdacht wurde, das ist ohne zusätzliches Personal nicht zu leisten“, so Sauerland.
Wildernde Hunde machen Wölfen Konkurrenz
„Um von Schafhaltung leben zu können, benötige ich mindestens 500 bis 600 Muttertiere. Nach einem zwölfstündigen Arbeitstag soll ich dann noch Zäune freischneiden, damit wachsendes Grün nicht die Stromzufuhr unterbricht?“, fragt Sauerland.
Die Mehrzahl der Risse von Weidetieren geschieht im Land fernab des bekannten Rudels im Kreis Segeberg und des Sachsenwaldes. Folgerung: Meist sind es umherziehende und durchziehende Wölfe, die in Schleswig-Holstein Weidetiere töten. Oder wildernde Hunde: Auf sie gingen im Berichtszeitraum von Mai 2023 bis April 2024 in Schleswig-Holstein elf getötete Schafe und Rinder bei sechs gemeldeten Attacken auf Weidetiere zurück. Im gleichen Zeitraum konnten Wölfen 16 getötete Weidetiere bei acht Attacken zugeschrieben werden.
Wandernde Wölfe für viele Attacken verantwortlich
Die Mehrzahl dieser tödlichen Angriffe hat sich in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde (4), Nordfriesland (3) und Dithmarschen (2) zugetragen, gleichauf mit Dithmarschen folgen erst die Kreise Segeberg und Herzogtum Lauenburg mit je zwei verzeichneten Attacken auf Weidetiere. Ein ganz anderes Bild zeigen die gemeldeten Risse von Wild, die zweifelsfrei Wölfen zugeordnet werden können. Diese stammen im Berichtszeitraum alle aus den Kreisen mit bekannter Wolfspopulation, aus Segeberg und Herzogtum Lauenburg.
Jens Matzen, hauptamtlicher Wolfsbetreuer in Schleswig-Holstein, hat die Tendenz bereits bestätigt: Altwölfe geben ihre Erfahrungen an den Nachwuchs weiter, die Wölfe aus dem Segeberger Forst und dem Sachsenwald seien mit Blick auf Nutztierrisse unauffällig.
Verband: Land muss Herdenschutz dauerhaft fördern
Seit dem ersten Auftauchen von Wölfen in Schleswig-Holstein vor rund zehn Jahren stehe der Landesverband Schleswig-Holsteinischer Schaf- und Ziegenzüchter im Austausch mit dem Land, sagt Geschäftsführerin Janina Brusa. „Seitdem drehen wir uns im Kreis. Von Beginn an hat das Land den Einsatz von Herdenschutzzäunen gefordert. Wir sagen, das ist ohne dauerhafte Unterstützung nicht zu leisten, bedeutet es doch etwa eine Vervierfachung der Arbeit.“
Was für einen Hobby-Züchter, der eine kleine Herde fest auf seiner Fläche halte, möglicherweise noch darstellbar sei, überfordere viele Schafhalter, deren Herden als Landschaftspfleger oder Deichschützer im Einsatz seien. Nach jedem Weiterziehen die Schutzzäune neu zu setzen, sei ohne zusätzliches Personal nicht zu leisten.
Einigkeit: Herdenschutzhunde sind kein Allheilmittel
Auch zum Thema Herdenschutzhunde stehe der Verband im Austausch mit dem Land, bestätigt Brusa. Die kräftigen Kangals, Pyrenäenhunde oder Kuvasz könnten jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz kommen, sind beide Seiten einig. Zu beschützende Herden müssen durch Zäune zusammengehalten werden, die gebe es an den Deichen an der Nordseeküste nicht im notwendigen Umfang.
„Woher soll ein Herdenschutzhund denn wissen, dass ein heimkehrender Wattwanderer oder ein Spaziergänger am Deich – am besten noch mit Hund – keine Gefahr für seine Herde darstellt?“, assistiert Sauerland. Die Kosten für Schutzhunde, die mit ihrer Herde von klein an leben, seien zudem hoch, etwa 1000 Euro je Tier im Jahr.
Je Herde sind mehrere Schutzhunde notwendig
Um eine Schafherde gegen mehrere Wölfe sichern zu können, seien zudem mindestens drei Tiere notwendig, weiß Janina Brusa. Sauerland: Werde der Schaftbestand in mehreren kleineren Herden gehalten, damit die kleinen Flächen nicht zu schnell abgeweidet werden, erhöhe sich der Bedarf und damit die Kosten noch.
Aktuell sei die Zahl gemeldeter Wolfsattacken im Land rückläufig, bestätigt Brusa. Auf solche Zeiten folgten jedoch immer wieder „Riss-Serien, die vor allem auf durchziehende Wölfe zurückzuführen sind“.
„Opfer von Wolfsattacken werden zu Tätern gemacht“
Sauerland sieht eine weitere Ursache für rückläufige Zahlen: „Die Opfer von Wolfsattacken werden zu Tätern gemacht.“ Beim ersten Zwischenfall folge eine Prüfung, ob der Schutz ausreichend gewesen sei und möglicherweise ein Rüffel. „Beim zweiten Mal folgt ein Ordnungswidrigkeitenverfahren und möglicherweise ein Verbot der Tierhaltung gegen die betroffene Person.“ Und nicht nur das: Werden Tierhalter bezichtigt, den Schutz von Schafen und Ziegen zu vernachlässigen, landen sie nach Wolfsattacken schon mal vor Gericht.
Wölfe durch Bejagung massiv reduzieren
Etwa 2000 Wölfe sollen inzwischen in Deutschland leben, auf gut 20.000 wird die Zahl in Europa geschätzt. Mit mehr Geld lasse sich der Konflikt nicht lösen, meint Sauerland. Er fordert die Bereitschaft, über Wolfsmanagement nicht nur zu reden, sondern ihre Zahl durch Bejagung massiv zu begrenzen.
„In Schweden wird eine Obergrenze von 400 Tiere als ausreichend für eine stabile Wolfspopulation angesehen, alles darüber wird bejagt.“ Ob eine solche Zahl tatsächlich ausreichend für eine dauerhaft gesunde Population ist, darüber gehen die Meinungen jedoch weit auseinander. Befürworter argumentieren, über große Strecken wandernde Wölfe würden die genetische Vielfalt sicherstellen.
Wachsende Wolfszahlen gefährden Weidehaltung
Zumindest weiteres Wachstum der Wolfspopulation müsse eingedämmt werden, fordert Sauerland. „Wir können nicht einerseits für mehr Weidehaltung unserer Nutztiere plädieren und andererseits der wachsenden Zahl Wölfe tatenlos zusehen.“ Bei steigenden Wolfsattacken würden sonst immer mehr Kühe und Schafe in Ställe gesperrt, statt ins Freie zu dürfen. Zugleich drohten damit in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaften verloren zu gehen, und damit Lebensraum für viele Arten, die darauf angewiesen seien.
Schleswig-Holstein ist kein Wolfsland
Jäger Andreas Bärwald hält es dagegen, wie auch viele Wolfsexperten, für wahrscheinlich, dass die Zahl der Wölfe in Schleswig-Holstein nur geringfügig wächst. „Schleswig-Holstein ist, anders als Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, kein Wolfsland, dafür ist unsere Landschaft zu stark gegliedert.“ Auch das Nahrungsangebot spiele natürlich eine wichtige Rolle. In seinem Jagdgebiet im Raum Breitenfelde verzeichneten bislang Wildkameras keine Aufnahmen von Wölfen.
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Wolfsnachweise aus Ämtern Büchen und Schwarzenbek-Land
Ganz anders im Amt Schwarzenbek-Land, zu dem der Sachsenwald gehört, und im Südosten des Kreises. Im Raum Büchen haben Wildkameras im Beobachtungszeitraum 2023 bis 2024 fast 40-mal Wölfe abgelichtet, dazu meldet die Statistik diverse Funde von Wolfslosung (Kot) und einige Wildtierrisse.
Experten nehmen an, dass neben Tieren, die beiderseits der Grenze leben, wandernde Jungwölfe zur hohen Zahl beitragen. Nachdem sie ihr Rudel verlassen mussten, legen sie auf der Suche nach einem Partner und einem geeigneten Platz für eine eigene Familie nachts bis zu 70 Kilometer und mehr zurück.