Wie es vier linken Demonstranten mit einem Trick gelang, den Aufmarsch der Rechtsradikalen in Bad Nenndorf zu verkürzen.
Bad Nenndorf. Plötzlich - wie aus heiterem Himmel - ein lauter Knall. Sechs, sieben Schrecksekunden. Die zahlreichen Polizisten, die Anwohner auf ihren Balkonen und die friedlichen Protestler am Straßenrand gucken wie paralysiert auf den Ort des Geschehens. Beifall flammt auf. "Bravo", ruft eine ältere Bad Nenndorferin. "Das nenne ich Mut und Engagement." Und die Polizei hat keine Chance, auf den bis ins kleinste Detail geplanten Coup der Demonstranten zu reagieren.
Eine mit Blech und Holz verkleidete Stahlbeton-Pyramide, mehr als eine Tonne schwer und auf jeder Seite mit jeweils zwei armdicken, tiefen Löchern versehen, donnert von einem mit Absperrgittern beladenen Anhänger auf den Asphalt. Vier Männer - 23 bis 45 Jahre alt - mit schwarzen Kappen, Shirts und Stiefeln sowie olivgrünen Hosen sind kurz zuvor aus dem Kleinbus, der den Anhänger zog, gesprungen. Sie haben ihre Arme in die Löcher gesteckt und mit Kabelbinder fixiert.
Dies alles geschieht nur knapp 50 Meter vom Winklerbad in der Bad Nenndorfer Bahnhofsstraße entfernt, wo etwa 900 Neonazis jetzt eigentlich aufmarschieren wollen. Um 18 Uhr muss die Demonstration beendet sein. Die radikalen Rechten haben sich bereits vor einer guten Stunde am Bahnhof formiert. Sie kriegen von dem, was am Winklerbad passiert, nichts mit. Sie warten, dass ihr von einem 2000 Mann starken Großaufgebot der Polizei geschützter "Trauermarsch" zu dem ehemaligen britischen Militärgefängnis, in dem der Secret Service von 1945 bis 1947 Nationalsozialisten nachweislich gefoltert hat, endlich beginnen kann.
Die Neonazis wollen - so befürchten viele Anwohner und Lokalpolitiker, den Kurort (10 300 Einwohner) zwischen Hannover und Bielefeld als neuen Wallfahrtsort für ihre rechtsradikalen Ideen etablieren. Erst am Freitagabend hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg doch noch die Kundgebung des Bündnisses "Bad Nenndorf ist bunt" genehmigt. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Hannover allein das vom Landkreis Schaumburg ausgesprochene Verbot des "Trauermarsches" der Neonazis aufgehoben, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für das Bündnis angemeldete Gegendemonstration blieb zunächst verboten.
Am Bahnhof werden die Rechtsradikalen jetzt nervös. Die gesamte Straße ist für sie reserviert. Sechs Stunden lang. Zwei Stunden haben sie schon durch die Polizeikontrollen am Eingang verloren. Und noch immer dürfen sie nicht marschieren. Die Pyramide versperrt ihnen jetzt den Weg.
"Nazis haben in Nenndorf nichts zu suchen. Unser Ziel war es, wie ein Technik-Trupp der Polizei auszusehen. Deshalb die Verkleidung. Deshalb haben wir hinter die Windschutzscheibe unseres Busses gut sichtbar eine Ausgabe der Zeitung ,Polizei Heute' gelegt, ein Papierschild mit der Fantasieaufschrift Laba und ein ,Republik freies Wendland'-Wappen, das so ähnlich aussieht wie ein Polizeilogo", sagt einer der vier Demonstranten, deren Arme in der Holzpyramide stecken. "Wir haben viel Zeit mitgebracht und hoffen, dass wir durch unsere Aktion die Nazis aufhalten können", ergänzt ein anderer. Die vier Männer haben es geschafft, unbehelligt durch zwei Polizeisperren zu fahren. Kein Sicherheitsbeamter guckte genauer hin oder fragte nach Ausweis oder Auftrag. Tor auf und durch.
"Hut ab", sagt ein Polizist am Winklerbad hinter vorgehaltener Hand. "Ich hätte die auch durchgewinkt."
Dann rückt ein richtiger Technischer Einsatztrupp der Polizei an. Die Einsatzleitung will die Pyramide schnell von der Straße weghaben. Doch keine Chance. Trotz Trennschleifer und Schlagbohrer. Die Betonpyramide hält eineinhalb Stunden stand. Sie samt Demonstranten mit Gabelstapler abzutransportieren geht auch nicht - den vier Männern würde durch eine spezielle Konstruktion im Innern der Pyramide die Arme gebrochen. Kurzerhand beschließt die Einsatzleitung, einen menschlichen Schutzschild um die Pyramide zu bauen und die radikalen Rechten drum herumzuführen.
Am Ende hatten die Neonazis nicht einmal drei Stunden Zeit für ihren Aufmarsch, der eigentlich sechs Stunden dauern sollte. Die vier Aktivisten wurden - nachdem sie sich selbst befreiten, vorläufig festgenommen. Doch sie saßen nicht mal fünf Minuten hinter Gittern, sagt der auf Versammlungsrecht spezialisierte Strafverteidiger Sven Adam, 34, aus Göttingen. Die Aktion seiner Mandanten habe keine strafrechtliche Relevanz. Aber vielleicht eine gesellschaftspolitische. "Auch im nächsten Jahr werden wir nicht untätig zugucken, wenn die Nazis aufmarschieren", sagt einer der vier Pyramiden-Männer noch, bevor er nach einem "anstrengenden, aber lohnenden Tag" nach Hause geht: "Wir haben heute ein wichtiges Zeichen gesetzt."
Beim Aufmarsch der Neonazis und der Gegendemonstration mit etwa 2000 Teilnehmern wurden 20 Personen vorläufig festgenommen, sechs Beamte und mindestens zwei Demonstranten leicht verletzt. Gegen den Versammlungsleiter und die Teilnehmer der rechtsextremen Abschlusskundgebung wurden Strafverfahren eingeleitet, weil sie ein strafrechtlich relevantes Lied gesungen hatten.