Bad Nenndorf zeigte Flagge gegen Rechts: Fast 1000 Menschen kamen zur DGB-Kundgebung. Zuvor marschierte die gleiche Anzahl Neonazis.

Bad Nenndorf. Bei einem Neonazi-Aufmarsch im niedersächsischen Kurort Bad Nenndorf und einer Gegendemonstration des DGB sind am Sonnabend insgesamt 17 Menschen festgenommen worden. Ihnen würden Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Landfriedensbruch, Körperverletzung oder Widerstand vorgeworfen, teilte die Polizei in Niemburg/Schaumburg am Abend mit. Demnach wurden unter anderem gegen den Versammlungsleiter und die Teilnehmer der rechtsextremen Abschlusskundgebung Strafverfahren eingeleitet, weil sie ein strafrechtlich relevantes Lied gesungen hatten.

Der Zug der etwa tausend Rechtsextremen hatte sich wegen der Störungen und der Polizeikontrollen erst mit mehrstündiger Verspätung in Bewegung gesetzt. Im Jahr 2006 hatten sich Neonazis erstmals in Bad Nenndorf zu einem sogenannten Trauermarsch getroffen, weil es in der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg ein Verhörzentrum der britischen Truppen gab, in dem nachweislich deutsche Häftlinge misshandelt wurden.

Etwa 300 Linksextremisten hätten immer wieder in kleinen Gruppen versucht, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen und auf die Zugstrecke der Neonazis zu gelangen, erklärte Gesamteinsatzleiter Frank Kreykenbohm. Dabei seien mehrere Polizeibeamte verletzt worden.

Nach Polizeiangaben verlief eine Protestkundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit etwa 900 Teilnehmern ohne Vorkommnisse. Sie bildeten unter anderem Sitzblockaden, die sie nach der Aufforderung durch die Polizei aber wieder auflösten.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hatte die Protestveranstaltung eines breiten Bündnisses gegen Rechts erst am Freitagabend genehmigt und damit eine Verbotsentscheidung des Landkreises Schaumburg aufgehoben. Genehmigt wurde allerdings nur eine stationäre Kundgebung.

„Bad Nenndorf ist bunt“ – Ein kleiner Kurort in Niedersachsen

„Ich habe Angst“, sagt Ingrid Kramer und hat Tränen in den Augen. Die Rentnerin steht an ihrer Haustür und beobachtet den Ausnahmezustand in ihrem Heimatdorf Bad Nenndorf. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Rund 1.000 Neonazis halten an diesem Samstag in dem Kurort bei Hannover bereits zum fünften Mal ihren jährlichen „Trauermarsch“ ab. Eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ angemeldete Gegendemonstration ist dagegen nur eingeschränkt und erst verspätet erlaubt worden.

Am Abend zuvor zeigt Bad Nenndorf noch ein anderes Bild. Marie Schöwe schmückt ihren Vorgarten mit bunten Vereinswimpeln und Tüchern. Auch die 74-Jährige ist überrascht von dem diesjährigen Rummel. Sie wohnt nur wenige hundert Meter von dem Bahnhof entfernt, an dem am nächsten Tag Hunderte Neonazis anreisen werden. „Ich finde es aber wichtig zu zeigen, dass Bad Nenndorfer nicht so denken“, sagt die Rentnerin.

Eine Woche lang hat sich das Bündnis in dem 10.000 Einwohner-Ort auf die Gegendemonstration vorbereitet. Schüler haben Schilder gemalt und Plakate geklebt. In fast allen Häusern und Schulen, die die Straße säumen, sind bunte Fahnen und Tücher an den Fenstern angebracht. Die Plakate und Banner mit dem Leitspruch des Bündnisses „Bad Nenndorf ist bunt“ hängen an jeder Hauswand. Kinder malen mit farbiger Kreide „Nazis raus“ auf den Asphalt.

Doch am Donnerstagabend hat das Verwaltungsgericht Hannover die Gegendemonstration verboten. Zur Begründung hieß es, die Einsatzkräfte der Polizei reichten nur für eine Kundgebung aus und die Rechten hätten ihre Veranstaltung zuerst beantragt. Die Neonazis veranstalten seit 2006 einen „Trauermarsch“ zum ehemaligen britischen Militärgefängnis Wincklerbad im Ort. Sie haben die Veranstaltung bis 2030 angemeldet.

Auf einer Kundgebung am Freitagabend spricht der leitende evangelische Theologe Andreas Kühne-Glaser das aus, was viele bewegt. Ein solches Urteil dürfe sich nicht wiederholen. „In was für einem Land leben wir denn?“, fragt der Superintendent. Dafür erntet er viel Applaus.

Zu diesem Zeitpunkt wissen die Bürger noch nicht, dass die Veranstaltung ihres Bündnisses doch noch in einer Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg genehmigt wird. Zwei Stunden dürfen sie am Samstagmorgen eine Kundgebung abhalten. Das Gericht gibt damit teilweise einer Beschwerde des Gewerkschaftsbundes gegen das Demonstrationsverbot statt.

Am Morgen kommen zunächst rund 500 Menschen zu einem ökumenischen Gottesdienst. Klaviermusik klingt durch die Gärten und verleiht der Feier die Atmosphäre eines Kurkonzerts – wären da nicht vermummte, schwarz gekleidete Demonstranten am Rand. Als die Gemeinde kräftig das Lied anstimmt „Herr, gib mir Mut zum Brücken bauen“, sind im Hintergrund die Hufen einer Polizeireiterstaffel zu hören. Die Strecke der Neonazis ist von 2.000 Polizisten weiträumig abgesperrt worden.

Als „skandalös“ bezeichnet anschließend der DGB-Regionsvorsitzende Sebastian Wertmüller die Umstände der Kundgebung, zu der rund 1.000 Menschen erscheinen: „Man muss sich mal vorstellen: Die jüdische Gemeinde Nenndorfs beispielsweise darf nur nach langen Auseinandersetzungen vor Gericht eine Minikundgebung mitgestalten, während die braunen Horden in weißen Hemden durch die Bahnhofstraße spazieren.“

Währenddessen durchfahren einige Linksextreme, die sich als Polizisten getarnt haben, die Absperrungen und ketten sich an einer Pyramide auf der Marschroute der Neonazis fest. Rund 30 Einwohner unterstützen sie mit einer Sitzblockade. Sie singen Friedenslieder, Zuschauer klatschen laut Beifall. Drei Stunden müssen die Rechtsextremen am Bahnhof warten, bevor sie unter lauten Trommeln, mit schwarzen Fahnen und gesenkten Blicken losmarschieren dürfen.

Marie Schöwe hat sich mittlerweile einen Gartenstuhl in den Vorgarten geholt und sitzt in der Sonne. Angst hat sie keine, denn sie werde ja schließlich gut von der Polizei beschützt, sagt sie. Vor ihrem Haus stehen die Einsatzkräfte jetzt dicht an dicht. „Es kamen hier schon viele Leute vorbei, die mir einfach die Hand gedrückt und mir gesagt haben, wie toll sie das finden, was ich hier mache“, sagt sie stolz. Ingrid Kramer hat sich dagegen schon vor Stunden in ihr Haus zurückgezogen.