Die Mitglieder der Lübecker Bürgerschaft tagen aus Protest gegen die Sparpläne Schleswig-Holsteins vor dem Landeshaus in Kiel.
Kiel. Der Kampf um den Sparkurs in Schleswig-Holstein wird härter. Am Freitag forderte die Lübecker Bürgerschaft in einer kuriosen "Sondersitzung" vor dem Kieler Landeshaus den Erhalt der lübschen Uni. Schützenhilfe erhielt die schwarz-gelbe Regierung dagegen im Landeshaus. Der Landesrechnungshof will das Sparmesser noch tiefer ansetzen, etwa bei der Polizei stärker sparen und bei den Kirchen kürzen.
Die Bürgerschaft schrieb derweil Protestgeschichte. Die Politiker tagten erstmals seit Gründung Lübecks 1143 außerhalb der Stadtmauern, und das auf Klappstühlen unter freiem Himmel direkt vor dem Haupteingang der früheren Marineakademie. Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer (SPD) hakte zunächst wie vorgeschrieben die Formalien ab, stellte die Beschlussfähigkeit fest (51 von 60 Politikern waren da) und die Tagesordnung vor. Einziger Punkt: die Drucksache 546, in der alle Fraktionen den Erhalt der Medizinischen Uni fordern.
Die Kampfansage an Kiel formulierte Bürgermeister Bernd Saxe (SPD). "Wer die Axt an die Uni legt, muss wissen, dass die ganze Stadt wie ein Mann aufsteht." Der Beifall der Bürgerschaft wurde vom Sprechchor der 300 mitgereisten Studenten übertönt: "Lübeck kämpft, Lübeck kämpft." Uni-Präsident Peter Dominiak schlug in dieselbe Kerbe, warnte vom Rednerpodest davor, die Medizin-Studiengänge in Lübeck einzustellen und so die Uni "plattzumachen". Sprechen durfte Dominiak nur dank eines Tricks. Die Bürgerschaft machte die Debatte kurzerhand zu einer "Anhörung" und den Uni-Präsidenten zum Experten mit Rederecht.
Kritik an der schwarz-gelben Regierung gab es von allen sechs Fraktionen in der Bürgerschaft, also auch von CDU und FDP. Nach 90 Minuten ließ Schopenhauer über den Appell abstimmen. Alle Politiker hoben die Hände. Kritik an der PR-Sitzung wiesen die Lübecker zurück. Der Ausflug nach Kiel kostete zwar rund 8000 Euro, wurde aber aus einem Spendentopf bezahlt.
Punkten konnten die Lübecker bei der Opposition im Landtag. SPD-Chef Ralf Stegner ergatterte einen Stuhl am Rand der Bürgerschaft, einige Abgeordnete von Grünen und Linken streiften sich gelbe Protest-Shirts über. Abseits standen CDU-Abgeordnete, darunter Werner Kalinka. Er hatte im Abendblatt Zweifel an den Sparplänen angemeldet und wurde von der Bürgerschaft mit Beifall begrüßt.
Die Landesregierung überließ den Lübeckern das Feld. "Es gab keine förmliche Einladung", sagte ein Sprecher von Wissenschaftsminister Jost de Jager (CDU). Er will ab Herbst 2011 keine neuen Medizinstudenten in Lübeck mehr zulassen, so bis 2020 etwa 150 Millionen Euro sparen. Zudem soll das Uni-Klinikum in Kiel und Lübeck so schnell wie möglich privatisiert werden. Ob es dabei bleibt oder die Regierung einen "Plan B" in der Schublade hat, dürfte sich am Wochenende zeigen. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) trifft sich am Sonntag mit Saxe und Dominiak zu einem Krisengipfel. Carstensen ist in Bedrängnis. In Lübeck hängen in vielen Schaufenstern und Wohnungen Protestplakate, und am Mittwoch ist eine Großdemo vor dem Landeshaus geplant.
Für die Kieler Regierung sprang der Landesrechungshof in die Bresche. "Man darf das Forum nicht denen überlassen, die gegen Sparbeschlüsse protestieren", sagte dessen Präsident Aloys Altmann bei der Vorlage des Jahresberichts im Landeshaus. "Die Sparmaßnahmen sind wichtig und sie sind richtig." Schleswig-Holstein habe fast 25 Milliarden Euro Schulden und müsse drastisch sparen, um die beschlossene Schuldenbremse einzuhalten. "Das ist eine Herkulesaufgabe."
Das schwarz-gelbe Sparpaket reicht dem Rechnungshof nicht. Altmann forderte Nachbesserungen etwa bei der Polizei. Sie muss zwar Einschnitte verkraften, aber bis 2020 keine einzige Stelle abgeben. "Die Polizei wurde im eigenen Sud gelassen", sagte Altmann. Das sei "völlig unzureichend".
Auf dem Kieker hat der Rechnungshof auch die Kirchen, die über Staatsverträge vom Land Millionen erhalten. Altmann warb zudem dafür, schwarz-gelbe Tabus zu brechen, eine umfassende Kreis- und Verwaltungsstrukturreform einzuleiten, den Datenschutz einzudampfen und nach Vorbild Hamburgs die Grunderwerbssteuer um einen Punkt auf 4,5 Prozent anzuheben. Mehreinnahme: 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr.
Der Rechnungshof deckte in seinem Bericht auch Fälle von Verschwendung auf. So haben die Landtagsfraktionen in den vergangenen Jahren mehr als 90 000 Euro zweckwidrig verwendet, aus Steuergeldern etwa Parteiausgaben finanziert. "Skandalös" nannte Altmann eine weitere Praxis der Fraktionen. Sie hatten 2009 rund 800 000 Euro aus ihren Zuschüssen auf die hohe Kante gelegt und so Zinsen für Gelder kassiert, die das Land sich vorher bei den Banken teuer borgen musste.