Geesthacht. Im Interview äußert sich Olaf Schulze zu schleppenden Planungen, ZOB-Umbau, Schulentwicklung und Neuordnungen beim Verkehr.
Geesthacht, die größte Stadt im Kreis Herzogtum Lauenburg, wächst weiter. Die Zahl der Einwohner wird bald die Marke von 35.000 erreichen. Allein 2022 wurden 410 neue Wohnungen genehmigt, 122 davon als geförderte Sozialwohnungen. Das Investitionsvolumen lag bei rund 90 Millionen Euro. Durch die vor allem von privaten Investoren angeschobenen Bauprojekte kommen auf die Stadt massive Folgekosten zu, weil die öffentliche Infrastruktur Schritt halten muss. Auf Bürgermeister Olaf Schulze und seine Verwaltung wartet also weiterhin viel Arbeit – in einer Welt, in der aktuell Krise auf Krise folgt. Der Bürgermeister äußert sich im Interview mit unserer Zeitung.
Energiekrise, Inflation, Corona, Ukraine-Krieg – Herr Schulze, 2022 war die Welt, war Deutschland im Dauerkrisen-Modus. Wie stark sind die Auswirkungen auf Geesthacht und die Verwaltung?
Olaf Schulze: Wir sind wegen Corona seit drei Jahren im Krisenmodus. In diesem Jahr kamen dann alle Dinge auf einmal. Das trifft uns in der Stadt und auch im Rathaus. Wegen der Energiekrise kommen mehr Bürgerinnen und Bürger zu uns, die Zuschüsse wie zum Beispiel Wohngeld benötigen. Wir mussten unsere Planungen für einen Strom-Blackout intensivieren und wegen der Flüchtlingssituation schauen, wie wir die vielen Menschen unterbringen können, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen werden. Und das muss alles „mal eben schnell“ gemacht werden. Das hat die Lage verschärft und führt dazu, dass andere Projekte nicht so schnell umgesetzt werden können.
Viele Vorhaben ziehen sich seit Langem hin. Was muss passieren, damit sich etwas ändert?
Neue Gesetzgebungen oder Vergabeverfahren – alles wird komplizierter. Selbst, wenn ich nur Material fürs Rathaus einkaufen will. Ich weiß, dass man transparente Verfahren haben will, um Korruption zu vermeiden. Aber wenn es einfacher ginge: Das wäre schön!
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Nehmen wir die Beantragung von Fördermitteln. Da muss jede Rechnung im Prozess eingereicht werden. Das bindet Personal. Es würde doch reichen, wenn nur die Abschlussrechnung vorgelegt werden müsste. Oder auch die Fristen, die der Bund oder das Land vorgeben: Die sind teilweise so kurzfristig, dass wir es als Kommune gar nicht in der vorgegebenen Zeit schaffen können. Insgesamt müssten Prozesse, wie ein Planfeststellungsverfahren bei unserer Ortsumgehung, einfach schneller laufen, ohne die Bürgerbeteiligung einzuschränken.
Vor diesem Hintergrund: Hat sich Geesthacht mit dem Wachstum auf bald 35.000 Einwohner und den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Infrastruktur zu viel vorgenommen?
Wenn wir einmal nur beim Verkehr bleiben: Auch hier wäre es für Städte wichtig, wenn wir mehr Flexibilität hätten. In 20 Jahren werden wir eine andere Art von Mobilität haben, da müsste sich auch die Straßenverkehrsordnung schneller verändern.
Was meinen Sie?
Derzeit ist die Straßenverkehrsordnung stark auf den Autoverkehr ausgerichtet. Kommunen müssten mehr Handhabe bei der Einrichtung von Tempo-30-Zonen haben. Dann könnten wir zum Beispiel innerstädtisch bis auf die Hauptstraßen überall Tempo 30 einrichten oder Fahrradfahrern mehr Vorrang geben.
Bleiben wir beim Verkehr: Die Verschwenkungen an Dösselbuschberg und Marksweg bei den Schulen in der Oberstadt führen dazu, dass dort regelmäßig morgens Chaos herrscht. Wenn es irgendwann die Umgehungsstraße gibt, ist dort mit noch mehr Verkehr zu rechnen. In Frankreich gibt es in vielen Orten in regelmäßigen Abständen Höcker auf der Fahrbahn, die wirksam die Geschwindigkeit verringern, und gleichzeitig fließt der Verkehr. Das wäre in der Oberstadt auch sinnvoll.
Auch das erlaubt die Straßenverkehrsordnung nicht. Wenn am Auto etwas kaputtgeht, wäre die Stadt haftbar. Deshalb musste vor Jahren der Höcker am Heuweg zurückgebaut werden.
In anderen Ländern gibt es viel mehr Kreisverkehre. Dort rollt der Verkehr. Die Stadt hat jüngst zwei neue Mini-Kreisel in der Rathausstraße gebaut und gute Erfahrungen gemacht. Mir fallen mehrere geeignete Stellen für weitere Kreisel ein: die Post-Kreuzung, bei McDonald’s an der Wärderstraße oder an den Ausfahrten der B404 Am Schleusenkanal. Wäre das nicht was?
Wir prüfen in der Tat, wo weitere Kreisverkehre möglich sind. Manchmal habe ich einfach nicht genug Flächen für einen Kreisverkehr. Dänemark ist für mich ein gutes Beispiel. Dort wird flexibel mit Kreiseln und Ampeln gearbeitet, je nachdem was besser ist. Wir arbeiten gerade ein Mobilitätskonzept für die Stadt aus. Wegen der Sperrung der Elbbrücke und der fehlenden Lkw laufen die Verkehrszählungen erst 2023. Generell wäre es eine Möglichkeit, mehr mit Einbahnstraßen zu arbeiten – auch um Platz im Verkehrsraum zu gewinnen. Zeitnah werden wir uns hier die Stein- und Dünenstraße anschauen.
Es kneift besonders an der Post und am ZOB. Wie kann der Verkehr dort entlastet werden?
Derzeit läuft alles über die Post-Kreuzung. Der Bereich wird sich erst entspannen, wenn wir die Ortsumgehung haben. Hier sind wir wieder bei dem Punkt, dass die generellen Planungen beschleunigt werden müssen. Aber: An der Post wäre der Platz für einen Kreisel vorhanden. Und zum ZOB: Den müssten wir normalerweise vergrößern. Derzeit fehlt der Platz, weil ein Eigentümer sein Grundstück nicht verkauft hat. Inzwischen ist das Grundstück nicht mehr als Wohnfläche ausgewiesen, und die Stadt hat ein Vorkaufsrecht. Sobald es uns gehört, können wir den ZOB erweitern.
Anderes Thema: Braucht Geesthacht nach dem Anstieg auf 35.000 Einwohner eine neue Schule?
Dafür haben wir einen Schulentwicklungsplan ausgearbeitet, der Anfang 2023 vorgestellt werden soll. Um nicht zu viel vorwegzunehmen: Geesthacht hat alle Schularten und genug Schulplätze für Kinder. Wir würden auch gar nicht die benötigten Lehrkräfte bekommen. Ich habe mir stattdessen mal den Spaß erlaubt und die Einzugsradien der Schulen angeschaut. Von der Hafencity bis zur Buntenskampschule ist es nicht weiter als vom Heuweg zum Silberberg oder von Teilen der Oberstadt für Grundschule dort.
Aber die Buntenskampschule platzt doch schon jetzt aus allen Nähten.
Genau. Wir müssen schauen, wo wir die bestehenden Schulen erweitern können, etwa indem wir die Räume der Volkshochschule nutzen.
Das würde wiederum bedeuten, dass die Volkshochschule umziehen muss. Was passiert eigentlich mit dem Seniorenzentrum Am Katzberg, wenn das städtische Altenheim in die Hafencity umgezogen ist?
Das Seniorenzentrum Am Katzberg wird wohl bis 2025 genutzt. Bisher hatten wir in der Verwaltung keine Kapazität, uns damit konkret zu beschäftigten. Ich bin da wirklich offen. Vorrangig wäre eine Kita. Vielleicht passiert auch etwas im sozialen Bereich.
Sie sprechen es an, und damit sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs: Manche Projekte scheitern daran, dass nicht alle Stellen im Rathaus besetzt werden können. Ist die Handlungsfähigkeit der Verwaltung deshalb eingeschränkt?
Wir sind in einem Bereich, wo wir das noch aushalten können. Gleichzeitig versuchen wir, uns bei der Personalsuche breiter aufzustellen. Wir haben jetzt einen Imagefilm auf Youtube, planen Plakataktionen und Anzeigen auf anderen Plattformen. Man darf zudem nicht außer Acht lassen, dass es auch bei den Ausschreibungen wie z.B. bei Baumaßnahmen hakt. Es dauert länger bis wir einen Anbieter finden. Manchmal gibt es auch gar kein Angebot. Richtig ist aber auch, dass wir realer bewerten müssen, was wir tatsächlich schaffen können.
Letzte Frage: Bei der Reaktivierung des Bahnanschlusses haben sie zwar nicht das Heft des Handelns in der Hand, aber was unternehmen Sie, um die unendliche Geschichte voranzubringen?
Die Stadt Kiel will für 1,1 Milliarden Euro ein Straßenbahnnetz aufbauen, für das Bund und Land zu 90 Prozent aufkommen sollen. Ich finde, dass dann auch 100 Millionen für die Geesthachter Bahn drin sein müssen. Wir haben mit dem Helmholtz-Zentrum einen wichtigen Forschungsstandort und sind ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Ich hoffe, dass ich Wirtschaftsminister Claus Madsen davon überzeugen kann. Zumindest hat er meine Einladung angenommen und kommt 2023 nach Geesthacht.
Zur Person: Olaf Schulze wurde 26. Mai 1967 in Geesthacht geboren und lebt im Stadtteil Tesperhude.Er ist liiert mit der SPD-Politikerin Nina Scheer, die als Direktkandidatin des Wahlkreises Lauenburg Süd/Stormarn-Süd im Deutschen Bundestag sitzt. Nach dem Hauptschulabschluss arbeitete er zunächst als Gas- und Wasserinstallateur, wurde dann Gewerkschaftssekretär und saß ab 2005 als Abgeordneter im schleswig-holsteinischen Landtag. 2015 gewann er mit 60 Prozent die Bürgermeisterwahl gegen Mitbewerber Karsten Steffen (CDU). Schulze wurde 2021, diesmal ohne Gegenkandidat, wiedergewählt und erhielt 90,2 Prozent Zustimmung.