Niedersachsen. 39 Rudel streifen durch das Land – und die Population wächst exponentiell. Sie reißen auch Rinder und Pferde. Die Politik reagiert.

Die Zahl der Wölfe in Niedersachsen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Nach Angaben des Niedersächsischen Umweltministeriums gibt es aktuell 39 Wolfsrudel, ein Wolfspaar und zwei residente, also dauerhaft ansässige Einzelwölfe im Bundesland, was etwa 350 Tieren insgesamt entspricht. Eine Zahl, die mit dem Bestand in ganz Schweden vergleichbar ist. Dort gab es laut dem Naturschutzbund Nabu im Winter 2020/2021 36 Rudel und 21 Paare.

In Niedersachsen wird das sogenannte Wolfsmonitoring im Auftrag des Umweltministeriums von der Landesjägerschaft Niedersachsen übernommen. Sie dokumentiert entsprechend die Populationsentwicklung, Sichtungen von Wölfen und Risse durch die Tiere, die in Deutschland teilweise stark dezimiert waren und seit Ende der 1990er-Jahre als streng geschützte Art gelten.

Wolf in Niedersachsen – Population wächst exponentiell

Laut Landesjägerschaft Niedersachsen wächst die Anzahl der nachgewiesenen Wolfsterritorien in Deutschland jährlich um rund 32 Prozent. Aktuell befinde sich die Population in der Phase des exponentiellen Wachstums und werde weiterhin stark ansteigen, bis in mehreren Gebieten die Nahrungsverfügbarkeit erreicht ist. Während es im Monitoringjahr 2014/2015 noch 32 Wolfsrudel im Land gab, waren es 2017/2018 bereits 77. Bis 2020/2021 stieg die Zahl auf 158 Wolfsrudel in Deutschland.

Die inzwischen wieder gut angewachsene Wolfspopulation in Niedersachsen sorgt allerdings seit Längerem für Diskussionen um das Konfliktmanagement zwischen Mensch und Tier. „Das Land Niedersachsen steht zum Schutz des Wolfs als Art“, heißt es vom Umweltministerium. Dennoch müsse der Artenschutz gegen andere, „ebenso schutzwürdige Interessen“ wie die Sicherheit des Menschen und der von Nutztieren wie Schafen oder Gehegewild abgewogen werden.

Wölfe reißen teils auch Rinder und Pferde

Laut Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft Niedersachsen sind neben Angriffen auf Schafe oder Gatterwild auch Risse von Rindern oder Pferden bekannt. Übergriffe, bei denen der Wolf amtlich als Verursacher festgestellt wurde, würden mittlerweile fast im gesamten Bundesland stattfinden, nur der Süden sei noch wenig betroffen. Im Monitoringjahr 2014/2015 zählte die Landesjägerschaft 123 Nutztiere, die von Wölfen oder infolge eines Wolf­übergriffs getötet wurden. Im Jahr 2017/2018 waren es 383, den Höchststand bildet das Jahr 2019/2020 mit 1078 Fällen. 2020/2021 waren es mit 804 allerdings wieder weniger, 2021/2022 fiel die Zahl erneut auf 685.

Auch über Sichtungen in von Menschen bewohnten Gebieten wird diskutiert: In der vergangenen Woche etwa wurde ein Wolf in der Nordstadt von Hannover gemeldet. Während Meldungen über Wölfe in Dörfern regelmäßig vorkämen, sei es nach Angaben des Umweltministeriums neu, dass ein Wolf so tief in belebte Bereiche einer Stadt eindringe.

Niedersachsen will Bejagung der Wölfe ausweiten

„Das Vorkommen eines Wolfs in dicht besiedelten Bereichen wie der Innenstadt von Hannover zeigt, dass wir mit zunehmendem Wolfsbestand auch in dicht bebauten Bereichen mit Wölfen rechnen müssen“, so der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) in der vergangenen Woche. „Bei einem ,üblichen‘ Lehrbuchverhalten meidet der Wolf den Menschen.

Junge Wölfe, die ihr Rudel verlassen und den Menschen nicht als Gefahr erfahren, können jedoch keine Scheu vor dem Menschen lernen. Da kann dann die Neugier über ein eventuelles Nahrungsangebot in der Eilenriede, der Leinemasch oder anderer Grünflächen auch überwiegen.“ Menschen seien laut Ministerium bisher nicht verletzt worden.

Trotzdem möchte das Ministerium die Bejagung der Tiere künftig ausbauen. Grundsätzlich dürften gesunde Wölfe aktuell nicht getötet werden. Der Abschuss sei durch das Bundesnaturschutzgesetz eingeschränkt. Tiere, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten, dürften nach aktuellem Rechtsstand allerdings „letal entnommen“ werden, das heißt, einzelne Wildtiere dürfen gezielt getötet werden. Dies gelte auch für Wölfe, die wiederholt empfohlene Herdenschutzmaßnahmen für Nutztiere überwunden haben und bei denen Gefahr besteht, dass sie erhebliche oder ernste wirtschaftliche Schäden anrichten.

39 bekannte Wolfsrudel in Niedersachsen

Bei der Vorstellung einer neuen Wolfspopulationsstudie im Juli sagte Umweltminister Lies: „Heute zählen wir 39 bekannte Wolfsrudel in Niedersachsen. Der Anteil Niedersachsens am biologisch erforderlichen Mindestbestand ist also längst erreicht. Mit einer zunehmenden Wolfsdichte rückt somit eine andere Grenze in den Fokus: der Akzeptanzbestand, also die Zahl von Wölfen, die in der Kulturlandschaft von den Menschen noch hingenommen wird.“ Ziel eines Bestandsmanagements sollte laut Lies daher eine Quote von schadenverursachenden Wölfen sein, die über die Aufnahme in das Jagdrecht „ohne langwierige Einzelgenehmigungen“ entnommen werden können.

Der Naturschutzbund Nabu Niedersachsen kritisierte die Ausführungen. Für eine Entnahme von Einzeltieren sei ausschließlich entscheidend, ob diese tatsächlich gelernt hätten, empfohlene und zumutbare Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Wenn letzteres passiert, sei eine Entnahme dieser Tiere auch nach Ansicht des Nabu sinnvoll. Eine Abschussquote sei dagegen „vollkommen sinnfrei, weil durch die Zerstörung von Rudelstrukturen sogar erhöhte Nutztierrisse die Folge sein können“, hieß es.

„Die einzige dauerhafte Lösung zum Schutz von Nutztieren und des nach EU- sowie Bundesrecht streng geschützten Wolfes kann nur in der Umsetzung konsequenter und fachgerechter Herdenschutzmaßnahmen bestehen“, so Holger Buschmann, Landesvorsitzender des Nabu Niedersachsen. Bisherige Abschüsse hätten „immer die falschen Individuen getroffen und keinerlei Wirkung erzielt“.