Fahrenholz/Harburg. Die Schleusen und Nadelwehre auf dem Wasserweg zwischen Elbe und Lüneburg verfallen. Retter kämpfen für ihren Erhalt. So ist die Lage.
- Entlang der Ilmenau sind mehrere maritime Lost Places zu entdecken
- Die stillgelegten alten Schleusen und Wehre verfallen, obwohl sie unter Denkmalschutz stehen
- Aus Harburg starten Skipper demnächst zu einer Solidaritätsfahrt, um die Schleusen zu retten
Die Ilmenau war einst ein wichtiger Wasserweg. Heute zieht der größte Heidefluss nur noch Radler, Spaziergänger und vereinzelte Paddler an. Schiffe sucht man vergebens. Sie können die aufgegebene Bundeswasserstraße nach Lüneburg nicht mehr befahren. Vor mehr als zehn Jahren wurden die drei Schleusen in Fahrenholz, Wittorf und Bardowick stillgelegt. Sie stehen unter Denkmalschutz, wie auch die historischen Nadelwehre an ihren Seiten. Seit Jahren kämpft der Förderverein Historische Ilmenau für den Erhalt der Baudenkmäler. Die Schifffahrtsverwaltung hat andere Pläne.
Still ruht der Fluss. Ihrer Funktion beraubt und mit Zäunen abgeschirmt von der Öffentlichkeit liegen die alten Schleusen da. Eine Machbarkeitsstudie kam 2012 zu dem Ergebnis, dass der Neubau von Schleusen und Wehren, die die heutigen Bauwerke ersetzen würden, rund 20 Millionen Euro kostet. Ein Betrag, den die Wasserstraßenverwaltung des Bundes (WSV) angesichts des überschaubaren Schiffsverkehrs vor zur Schließung der Anlagen für zu hoch hielt. Für den Förderverein geht es nicht um Neubau, sondern um Instandsetzung.
Lost Place: Wildwasserstrecke statt Schleusenbetrieb?
Beides geschieht nicht. Stattdessen möchte die WSV ihre unpassierbare Wasserstraße entwidmen und einen naturnahen Wasserlauf daraus machen. Aus den drei Schleusen sollen schluchtartige Fischaufstiege werden: Auf dem Schleusenboden abgelagerte Steine (Sohlgleiten) würden zu Wildwasserstrecken, über die Fische die Höhenunterschiede der Staustufen besser überwinden könnten. Heute nehmen sie mit Mühe die veralteten Fischtreppen.
Nicht nur aus historischen und touristischen Gründen, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels sollte die Ilmenau durch Wehre und Schleusen regulierbar bleiben, sagt dagegen Gustav Rieckmann vom Förderverein: „Mit den Nadelwehren können wir in Trockenzeiten Wasser zurückhalten und im Winter Hochwasser durch starke Niederschläge, wie wir es am zweiten Weihnachtstag hatten, gezielt abführen. Wenn dort nur Sohlgleiten wären, rauscht das Wasser unreguliert durch.“
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1908 passierten mehr als 2500 Schiffe die Schleusen
Das wichtigste Anliegen des Vereins, ein Zusammenschluss vieler Akteure entlang der Ilmenau, bleibt, die historische Schifffahrtsstraße wieder mit Leben zu füllen. Anno 1908 passierten alten Aufzeichnungen zufolge 1975 Frachtschiffe und 541 Dampfmotorboote die Schleusen und transportierten zusammen gut 53.500 Tonnen Fracht. Die Ilmenau verband die Salzstadt Lüneburg mit Hamburg und über den Ilmenau-Stecknitz-Kanal mit der Ostsee und der Hansestadt Lübeck.
Noch heute liegt im alten Lüneburger Hafen am Stint ein Nachbau des Ewertyps, der 400 Jahre lang als maritimer Lastenesel diente. Flussabwärts fuhren die Frachtschiffe, mit Lüneburger Salz oder Gemüse aus Bardowick beladen, mit der Strömung zur Ilmenau-Mündung bei Elbkilometer 599. Richtung Lüneburg musste dagegen spätestens ab Fahrenholz getreidelt werden. Sechs „Treidelbauern“ zogen einen Ewer die Ilmenau hinauf, bei Windunterstützung reichten weniger. Viele Schiffe waren mit Holz beladen, das der Saline als Brennstoff diente.
Vor rund 60 Jahren endete die Frachtschifffahrt auf dem Heidefluss
Bis um 1960 herum nutzten Frachter die Ilmenau, zuletzt zur Versorgung einer Spanplattenfabrik in Lüneburg und eines Sägewerks in Adendorf. Doch vor rund 60 Jahren endete die Frachtschifffahrt auf dem Heidefluss. Es gab noch touristische Fahrten. Auch Sportboote waren unterwegs. 2012 wurde es endgültig still auf dem Fluss. Damals wurde die Schleuse Wittorf, die größte der drei Ilmenau-Schleusen mit einer Hubhöhe von 1,80 Metern, außer Dienst gestellt. Seitdem ist der Schifffahrtsweg verloren.
„Der Fluss droht in Vergessenheit zu geraten, die kostbaren Nadelwehre und Schleusen sind in einem schlechten Zustand“, sagt Stefan Arndt. Er hat zwei historische Schiffe, den Schlepper „Omka“ und den Kutter „Gina“, im Harburger Binnenhafen liegen. Mit seinem dritten Schiff, dem kleineren Hafenschlepper „ALW 55“, will Arndt am 1. Mai zusammen mit weiteren Skippern die Ilmenau hochfahren, um für den Erhalt des historischen Wasserweges zu demonstrieren. An der ersten Schleuse – Fahrenholz – ist Endstation.
Im Harburger Binnenhafen startet eine Solidaritäts-Flottille
„Wir starten um 8.30 Uhr im Binnenhafen und werden mit auflaufendem Wasser nach etwa drei Stunden in Fahrenholz sein“, sagt Arndt. „So wie es früher die Adlerschiffe auf ihren beliebten Ausflügen von Harburg nach Lüneburg machten.“ Eine reine Vergnügungsfahrt werde es nicht werden, sagt der Skipper, eher eine Protestfahrt. „Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen. Um die Ilmenau zu retten, fahren wir bei jedem Wetter los.“
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„Es werden mindestens fünf, sechs weitere Schiffe dabei sein, nicht nur aus dem Binnenhafen, auch aus Hamburg, zum Beispiel vom Museumshafen Oevelgönne“, kündigt Arndt an. Nach zwei Stunden wird in Fahrenholz wieder abgelegt, weil später bei Ebbe die Wassertiefe nicht mehr ausreicht. Dann wird die Schleuse Fahrenholz wie ihre beiden Geschwister wieder in einen Tiefschlaf fallen.
Da die Ilmenau nicht mehr unterhalten wird, schwindet allmählich die für Schiffe nötige Wassertiefe. Die im Förderverein Historische Ilmenau zusammengeschlossenen Aktiven wollen nicht nur die Schifffahrt wiederbeleben, sondern auch die historischen Schätze retten. Weil sich politisch nichts bewegt, hat der Verein vor Weihnachten an das Kultusministerium in Hannover und damit an den niedersächsischen Denkmalschutz gewandt. Rieckmann: „Die Unterhaltung der Denkmäler wird mindestens grob fahrlässig, womöglich sogar vorsätzlich unterlassen. Wir sind gespannt, wie die Fachleute vom Denkmalschutz das sehen.“
Ilmenau: Bei starker Flut sind in Fahrenholz die Nadeln in Gefahr
Die alten Nadelwehre sind eine Rarität. Die historischen Wehre bestehen aus Holzlatten (Nadeln), die per Hand eingesteckt oder gezogen werden, um den Wasserstand des Flusses zu regulieren – viel Arbeitsaufwand, der nicht mehr in die Zeit passt. Das Fahrenholzer Wehr hat zum Beispiel rund 450 Nadeln. Am westlichsten Wehr macht sich der Tideeinfluss der gut zehn Kilometer entfernten Elbe bemerkbar. Wenn die Flut zu stark aufläuft, müssen alle Nadeln gezogen werden, damit sie nicht auf- und wegschwimmen. In ganz Niedersachsen gibt es nur noch vier funktionsfähige Nadelwehre. Drei an der Ilmenau, eines an der Aller.
Mit einem sogenannten Scoping-Verfahren will sich die Wasserstraßenverwaltung mit anderen betroffenen Behörden darüber abstimmen, was eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Vorfeld der Schleifung der Staustufen beinhalten soll. Ansprechpartner ist das Wasser- und Schifffahrtsamt Lauenburg. „Auf das Scoping-Verfahren warten wir seit zehn Jahren“, sagt Gustav Rieckmann. „Wir werden immer wieder vertröstet.“ Vieles spricht dafür, dass der Dornröschenschlaf der Ilmenau vorerst anhält.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist erstmals im Juni 2023 erschienen und wurde von uns nach einer inhaltlichen Überarbeitung und Aktualisierung neu veröffentlicht.